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Unternehmerische Verantwortung160 Seiten Missstände

Task-Force stellt fest: Die Papenburger Meyer-Werft hat über die prekäre Lage ihrer Werkvertragsarbeiter großzügig hinweggesehen.

Blick in die Meyerwerft: Luxus-Schiffe schrauben für Armutslöhne. Bild: dpa

HANNOVER taz |Kurz nach dem Tod zweier rumänischer Werkvertragsarbeiter bei einem Brand in einer Massenunterkunft wurde sie eingesetzt. Am Dienstag nun hat die so genannte Task Force ihren ersten Bericht zur Situation der Werkvertragsbeschäftigten beim Papenburger Schiffbauer Meyer-Werft vorgelegt.

Auf 160 Seiten schildert das Expertengremium, beauftragt von der Werft in Abstimmung mit Niedersachsens Wirtschaftsministerium, die prekäre Lage der meist osteuropäischen Arbeitskräfte: Über 12 Stunden hätten sich die Leihkräfte der 21 überprüften Personaldienstleister in der Regel auf der Werft aufgehalten.

23,55 Stunden-Schichten

Der Brand von Papenburg

Mitte Juli gerät in Papenburg ein Wohnhaus in Brand, in dem auf 400 Quadratmeter rund 30 Werkvertragsarbeiter der Meyer Werft untergebracht sind.

Zwölf Menschen befinden sich zum Zeitpunkt des Brandes im Haus. Zwei rumänische Arbeiter schaffen es nicht rechtzeitig nach draußen und sterben an Rauchvergiftung.

Die Brandursache konnte die Staatsanwaltschaft Oldenburg nicht eindeutig aufklären, sie hat ihre Ermittlungen Mitte November eingestellt.

Weiterhin ermittelt wird wegen des Verdachts auf Menschenhandel.

Im Einzelfall sogar bis zu 23,55 Stunden, eingesetzt in Doppelschichten, wie die Task Force schreibt, der Niedersachsens einstiger Justizminister Walter Remmers (CDU), die Meyer-Geschäftsführung, der Betriebsrat und die Gewerkschaft IG Metall angehören.

Wie solche Einsätze bezahlt wurden, bleibt unterdessen auch für das Gremium undurchsichtig: Es hatte nur unvollständige Lohnunterlagen vorliegen. Vertraglich festgehalten seien mit den Werkvertragsunternehmen meist die Konditionen der Herkunftsländer.

Quittieren unter Zwang

Für rumänische Arbeiter etwa, die im Rahmen der EU-weiten Dienstleistungsfreiheit entsendet wurden, gelte rumänisches Arbeitsrecht: Monatlicher Mindestlohn 173,80 Euro plus 35 bis 50 Euro Tagespauschale für eine 40-Stunden-Woche. Was tatsächlich gezahlt wurde, lässt sich kaum rekonstruieren: So wurden Arbeiter teils angewiesen, nach Barauszahlungen ihre Unterschrift unter Quittungen zu setzen, die mit weißen Blättern verdeckt waren.

Methoden wie diese würden aus „Angst und Unsicherheit“ akzeptiert, heiß es in dem Papier. Unliebsame Beschäftigte würden entweder ins Herkunftsland zurückgeschickt oder ihnen drohe bei Kündigung Obdachlosigkeit: Häufig stellten die Unternehmen auch die Unterkunft. In einem Fall sei ein Arbeiter ohne Geld am Bahnhof Oldenburg ausgesetzt worden – und habe eine Woche festgesessen, bis Geld von seiner Familie eintraf.

Ein Klima, das die Recherchen der Task Force nicht eben erleichtert hat: Die Werkvertragsbeschäftigten seien „sehr zurückhaltend“ gewesen. In einem Fall kriegten Beschäftigte während eines Gesprächs mit dem Betriebsrat Drohanrufe vom Chef. Auch der Betriebsrat indes bekam nahe gelegt, er solle aufpassen, was er sage – „es seien Bilder von ihm gemacht worden“.

Herr Meyer wusste natürlich von nichts

Die Meyer-Werft selbst will von derlei lange nichts gewusst haben. Die Werft hat zwar keine direkte vertragliche Verantwortung für die rund 1.500 bei Sub- und Sub-Sub-Unternehmen angestellten Menschen. Den Problemen, über die Medien monatelang berichteten, wurde aber aus Sicht der Task Force „im Rahmen der allgemeinen sozialen Verantwortung viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt“.

Konsequenzen zog der Schiffbauer erst nach dem tödlichen Brand im Juli: Wochen später legte er eine Sozialcharta gegen Lohndumping und Diskriminierung vor. Zudem schloss er mit Betriebsrat und IG Metall einen Tarifvertrag für Werkvertragsarbeiter, der 8,50 Euro Stundenlohn und Mindeststandards bei der Unterbringung vorsieht.

Auch Kommunen gucken weg

Aber auch die Kommunen, bei denen die Arbeiter zumeist gemeldet sind, hätten den „kritischen Wohnbedingungen“ und „eventuellen Überbelegungen“ in den Unterkünften „keine Aufmerksamkeit geschenkt“, schreiben die Experten. Inzwischen werden Ordnungs- und Baurecht häufiger kontrolliert, das Land hat einen Erlass zur Gebäudesicherheit angekündigt.

Bis ins Frühjahr 2014 setzt die Task Force ihre Arbeit fort. Das dürfte nötig sein: Laut dem Bericht sanken nach dem Brand zwar die Einsatzzeiten. Aber auch im August verbrachte fast die Hälfte der Arbeiter mehr als zehn Stunden täglich auf der Werft.

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3 Kommentare

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  • Was kann die in Hannover sitzende Inlandskorespondentin für die Bebilderung? Über Arbeitsabläufe urteilen, von denen mensch keinen Ahnung hat, ist arrogant. "Visueller Manipulationsversuch" wäre aber ein lustiger Name für eine Kunstschule. Mal im Ernst: Ganz schön zynisch, bei einem Text, in dem es um Überausbeutungsverhältnisse geht, auf denen der profitträchtige Erfolg nicht nur der Meyer-Werft basiert, nur über die Bebilderung zu reden. Es könnte ja auhc mal an die Opfer, die entrechteten ArbeitsmigrantInnen (sehr großes I) gedacht werden.

  • K
    Kommentator

    Sie sollten sich für Ihren neuerlichen visuellen Manipulationsversuch schämen, Frau Havlicek!

     

    Durch die Frau auf dem Foto als eine von nur zwei fotographierten Angestellten der Meyer-Werft suggerieren Sie ein geschlechtsspezifisch ausgeglichenes Beschäftigungsverhältnis.

     

    Das ist mitnichten so. Ihre Suggestion ist schlicht falsch. Gerade in der Produktion, wo das Bild aufgenommen wurde, arbeiten praktisch ausschließlich Männer. Hauptgrund hierfür ist, dass es sich um schwere Arbeit handelt, die die allermeisten Frauen weder erledigen können noch wollen.

     

    Besonders zynisch wird Ihr Manipulationsversuch dadurch, dass Sie niemals ein geschlechtsspezifisch paritätisches Foto genommen hätten, wenn es nicht um die Opfer unfairer Arbeitsbedingungen ginge, sondern bspw. um die Korruption einer Führungsriege, obwohl unter den Opfern dieser Arbeitsbedingungen genauso wenig Frauen zu finden sind, wie in vielen Chefetagen. Sie hätten sich sogar dann für ein Bild mit lauter Männern entschieden, wenn für ein negatives Vorkommnis mehrheitlich Frauen verantwortlich waren.

     

    So viel zu Ihrem Verständnis der journalistischen Sorgfaltspflicht.

     

    In anstrengenden, gefährlichen, herausfordernden oder innovativen Berufen werden auch künftig fast nur Männer arbeiten, da sie wesentlich mehr Fähigkeiten, Qualifikationen, Routine und Lebensenergie in die Erwerbstätigkeit investieren (müssen) als Frauen, um sozial geachtet zu werden - insbesondere von Frauen. Ob sie dafür Respekt und Anerkennung erhalten, liegt auch an Ihrer Bereitschaft zu einer anständigen Berichterstattung.

    • S
      Schiffsbeobachter
      @Kommentator:

      Was reitet den/die "Gast-Kommentator/in" mit dem Hinweis auf "visuelle Manipulationsversuche"?

      Vielleicht wäre mal ein Bezug auf den Inhalt des Artikels angebracht gewesen? Achso, dafür muss man natürlich lesen können... So bleibt es bei der betrachtung von Fotos - von jemanden, der/die seine/ihre Bildung aus Comics bezieht, ist leider nichts anderes zu wrwarten.

      Thema verfehlt, setzen, sechs!