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Abrechnung mit der eigenen ParteiBerliner Spitzen-Piratin meutert

Cornelia Ottos Bilanz nach drei Jahren harter Arbeit für die Piraten: Sie ist ausgelaugt, hat nichts erreicht und konnte sogar ihre Miete nicht mehr zahlen.

Cornelia Otto findet, ihre Partei solle keine „psychosoziale Selbsthilfegruppe“ sein. Bild: dpa

BERLIN taz | Cornelia Otto war die Spitzenkandidatin der Berliner Piraten für die Bundestagswahl – jetzt rechnet sie mit ihrer Partei ab. „Ich halte die zunehmende Kluft zwischen dem, was wir propagieren und dem, wie wir uns verhalten, nicht mehr aus“, schreibt sie in ihrem Blog. „Es war schwer genug, diese kognitive Dissonanz, diese Kluft im Wahlkampf aktiv zu überbrücken.“ Von ihren Parteikollegen fordert sie: „Wir müssen unsere Versprechen endlich halten.“

Einer der Gründe für Ottos Unzufriedenheit: „Wir fordern Mitbestimmung für alle – blockieren alle parteiinternen Lösungen, die diese ermöglichen würden.“ Die im Jahr 2006 gegründete Partei hatte es nach jahrelanger Diskussion erst im Mai 2013 geschafft, auf einem Bundesparteitag ein Verfahren für parteiinterne Online-Abstimmungen zu beschließen. Damit könnte die Partei theoretisch ihre Mitglieder über politische Positionen abstimmen lassen. Das Verfahren ist in der Praxis allerdings so kompliziert, dass es bisher noch kein einziges Mal angewendet wurde.

„Wir müssen insgesamt politischer werden“, schreibt Otto. „Die aktuelle politische Situation könnte himmelschreiender nicht sein.“ Und es könne doch nicht ernsthaft sein, schreibt Otto, dass die Basis sich auf einem Parteitag mit Satzungskram beschäftige, während die große Koalition die Vorratsdatenspeicherung beschließt.

Otto schreibt, sie habe „drei Jahre vollen Einsatz gegeben an Kraft, Zeit, Energie und Geld, bis an die Grenzen und darüber hinaus.“ Ihre persönliche Bilanz ist allerdings verheerend: „Verzweifelt versuche ich einen Anhaltspunkt dafür zu sehen, dass meine politische Arbeit wenigstens irgend einen Impact, irgend welche Spuren hinterlassen hat. Doch das einzige, was ich finde, ist ein Krater – in mir.“ Nun benötige sie eine Pause, um diesen Krater wieder zu füllen, „mit schönen Dingen und mit Sinn“. Die Partei mit ihrern Strukturen erweise sich „sich immer mehr als (selbst-)zerstörerisch und (selbst-)ausbeutend“.

Keinen Urlaub machen können

Auch finanziell hat sich Ottos Engagement nicht gelohnt: „Wir fordern Existenzsicherheit für alle – und verweigern sie unseren Verantwortungsträgern.“ Die Piraten hatten es auf einem Parteitag im November ausdrücklich abgelehnt, ihre Vorstandsmitglieder zu bezahlen. Nur wer von staatlicher Unterstützung abhängig ist, soll künftig Geld erhalten, um auf Hartz IV verzichten zu können.

„Nach dem Wahlkampf habe ich leider keinen Urlaub machen können, sondern musste sofort beginnen, mir nen Job zu suchen und die Bachelorarbeit zu schreiben“, schreibt Otto. Sie habe zudem ihre privaten Ersparnisse aufgebraucht gehabt, so dass sie zeitweilig mit ihrem Mietanteil drei Monate im Rückstand war.

Besonders die parteiinternen Streitereien haben Otto offenbar aufgerieben: „Wir fordern einen neuen Politikstil – und schaffen es nicht einmal, miteinander klarzukommen.“ Sie kritisiert jene Basismitglieder, die jedem Verantwortungsträger mit Misstrauen begegnen: „Manch einer sollte auch mal sein Verhältnis zu Macht überdenken. Wir sind eine Partei. Eine Partei kämpft darum, Macht und Einfluss zu gewinnen. Das ist der einzige und ausschließliche Zweck einer Partei.“ Viel zu oft würden Entscheidungen persönlich genommen „und enden in überschäumender Emotionalität“. Sie wünsche sich „mehr Respekt und Anstand und weniger Emotionales. Wir sind keine psychosoziale Selbsthilfegruppe.“

Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Jahr 2011 hatte die Piratenpartei 8,9 Prozent geholt. Bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr waren es nur noch 2,2 Prozent. Die Partei muss somit bangen, ob es ihr gelingt, im Mai bei der Europawahl die Drei-Prozent-Hürde zu knacken.

Siehe auch

taz-Interview mit Cornelia Otto vor der Bundestagswahl: „Werden gegen harte Wände rennen.

Korrektur

In der zuerst veröffentlichten Version hieß es in der Unterzeile und im Artikel, Cornelia Otto könne derzeit ihre Miete nicht mehr zahlen. Das war falsch. Richtig ist: Cornelia Otto konnte nach dem Wahlkampf ihre Miete zunächst nicht mehr zahlen, derzeit kann sie dies allerdings wieder. Ich bitte, den Fehler zu entschuldigen - Sebastian Heiser

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11 Kommentare

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  • ohne heulen c.Otto, nich im Bundestag, keine 10 000 Euro im Monat..., jetzt jammern, ich kann meine Miete nicht zahlen..., können viele nicht...,

  • D
    derschreiber

    @GAST

    Es ist ein himmelweiter Unterschied ob Kritik erlaubt ist und geäußert wird und dem was in der Piraten Partei manchmal los ist.

    Es gibt einen Unterschied zwischen konstruktiver Kritik und den Streitereien die uns diese Partei zeigt.

    Die Piraten haben mehr Bundesvorsitzende vernichtet als die SPD!

    Es gäbe dafür 2 Erklärungen, entweder sind die Leute die gewählt wurden inkompetent, oder aber das Klima in der Partei hat sie zerstört.

    Auch finde ich die Kritik von Frau Otto objektiv und gerechtfertigt.

    Aber ich will nicht alle Fehler bei den Piraten suchen, vielleicht HABEN sie ja etwas gegen die Vorratsdatenspeicherung unternommen, nur die Medien haben es schlicht nicht gesendet weil die Fast Drei Prozent (FDP) und die Alten für Deutschland mehr Einschaltquoten versprachen…

  • T
    T.V.

    Die "Spitze" könnte eine Art Ultimatum anstrengen, daß entweder mehr Leute ehrenamtlich aushelfen oder (wenn sich nicht genug dafür finden) diejenigen die über ihre sinnvoll mögliche Zeit hinaus für die Partei arbeiten entsprechend entlohnt werden.

     

    Geht es so weiter wie bisher, wird nur das Klischee der Generation Internet-Loser bestätigt, die alles wollen aber nichts geregelt bekommen.

  • E
    entropy

    "Das Verfahren [basisentscheid] ist in der Praxis allerdings so kompliziert, dass es bisher noch kein einziges Mal angewendet wurde."

     

    Diese Aussage trifft nicht zu. Das Verfahren ist genauso wenig kompliziert wie Volksentscheide oder Mitgliederentscheide in anderen Parteien.

    Es verzögert sich lediglich die Umsetzung des Verfahrens, weil unabhängig vom Verfahren die hohen Datenschutz- und Sicherheitsanforderungen der Partei einen sehr hohen Aufwand darstellen. Von der handvoll Ehrenamtlichen, die in ihrer Freizeit an der Umsetzung arbeiten, kann genauso wenig wie von Frau Otto Übermenschliches erwartet werden. Zum Vergleich: andere Parteien investieren in viel kleinere Projekte schon mal eine halbe Million Euro (z.B. FDP New democracy).

  • G
    gast

    lieber sebastian heiser, liebe leute von der taz,

     

    vorweg: ich bin kein pirat und keine piratin und halte distanz zu jeder politischen partei.

     

    mir scheinen "die" piraten so ziemlich die einzige mir bekannte partei zu sein, bei der einzelne mitmachende derart offen kritik üben. (üben dürfen?)

     

    und mit dem blick darauf finde ich es nicht okay, dass so eine kritik aus den eigenen reihen wie in diesem taz-beitrag wieder einmal derartig hochbewertet wird, dass ein eigener artikel dazu entsteht.

     

    ich finde das unfair und insgesamt macht ihr damit mehr meinungsfreiheit und den mut dazu kaputt, als dass es irgendetwas produktives oder gutes erzielt.

     

    außerdem aus meiner sicht nicht okay: im beitrag hätte durchaus erwähnt werden müssen, dass eure zitate aus dem teil von cornelia ottos blog stammen, den sie - von ihr selber so reflektiert - mit viel emotionen im bauch geschrieben schon vor einigen wochen geschrieben hat.

     

    alles in allem ist das hier also aus meiner sicht kein journalistisch fairer oder konstrutiver beitrag.

     

    würde mich freuen, wenn meine kritik ernst genommen wird.

     

    beste grüße! :)

  • R
    R4mbo

    [Zitat]Auch finanziell hat sich Ottos Engagement nicht gelohnt: „Wir fordern Existenzsicherheit für alle – und verweigern sie unseren Verantwortungsträgern.“[/Zitat]

    Es gibt genug Leute die das ehrenamtlich machen wollen. Aber halt nicht in dem Ausmaß. Ich persönlich bin mit Frau Otto zufrieden. Mit ihren Interviews, Talkshow-Auftritten, war alles gut. Nur hat sie das so ausgelaugt wie sie jetzt ist. Sie hat sich bemüht, aber im Bundestag sitzen wir trotzdem nicht. Das hätte aber nicht so laufen müssen. Wenn die Presse gescheit mit uns umgehen würde! Diese hat anscheinend keine Zeit für tiefgründigen Journalismus, und möchte die Inhalte einer Partei lieber von einem Verantwortungsträger übermittelt bekommen als selbst in die Partei reinzuschauen, zu schauen welche Programmpunkte in Entwicklung sind, welche Arbeitsgruppen daran beteiligt sind, und welche Argumente da ausgetauscht werden. Die Presse ist von den anderen Parteien das Befragen von Köpfen gewohnt, aber einer basisdemokratischen Partei werden sie damit nicht gerecht. Sie könnte eine neue, wesentlich höhere Qualität politischer Berichterstattung schaffen und es würde unsere Vorstände entlasten. Wenn die Presse Interesse an so einer Vorgehensweise signalisiert, werden auf Seiten der Piratenpartei sicher auch Strukturen geschaffen die das besser ermöglichen. Möglichkeiten gibt es aber schon. Zum Beispiel hier: https://lqfb.piratenpartei.de/lf/unit/show/1.html oder man geht auf einen Parteitag und schnappt sich …höflich in den Pausen die Antragsteller, die dort ihre Programmpunkte präsentieren und vielleicht noch Leute die sich an der Diskussion beteiligen. In den Programmen stehen die Punkte, auf die sich die Partei einigen konnte. Das sollte für Wähler am Wichtigsten sein, und alles andere außenrum ist nur Theater! Bei einer basisdemokratischen Partei braucht man keine Abgeordneten oder Vorsitzenden um sich über diese Programmpunkte und ihre Entstehung zu informieren.

    • @R4mbo:

      Und dann fassen wir uns alle an den Händen und tanzen Ringelrein ...

       

      Von der Presse zu verlangen, sich "höflich in den Pausen die Antragsteller" zu schnappen ist doch totaler quatsch:

       

      Zum einen will mit den meisten Antragsstellern nicht mal die eigene Parteibasis reden,

       

      und zum anderen ändert sich nicht die Welt nur weil eine Splitterpartei das so möchte.

       

      Wer etwas Verändern will, hält sich solange an die Spielregeln, bis er sie selbst ändern kann. Zu erwarten, dass die restlichen 98 Prozent der Bevölkerung ihre Regeln ändern, weil die Piraten noch ein bisschen im Sandkasten spielen wollen, ist meiner Meinung nach hochgradig naiv.

       

      Und das ist genau der Grund, dass man diese Partei nicht wählen kann, selbst wenn es höchste Zeit ist, dass jemand dem Theme "Digitale (Bürger)Rechte" endlich die notwendige Aufmerksamkeit widmet.

      • R
        R4mbo
        @Peterchens Mondfahrt:

        Hallo Herr Mondfahrt :)

         

        Wenn auf Parteitagen über Anträge Diskutiert wird, bleiben die Pro und Contra Mikros leer? Ja? Auch wenn, ändert das nichts an den Informationen die die Presse von den Antragstellern holen kann.

         

        Dann geht es nicht um das ändern der Welt, es geht mir speziell um den Umgang der Presse mit Parteien, und damit mein ich nicht irgendwelchen Höflichkeitskram, sondern die Art und Weise wie sich die Presse über Parteien, vor Allem deren Inhalte informiert. Ich halte das von mir geschilderte Vorgehen für besser als die Art und Weise die bisher galt.

         

        Die restlichen 98 Prozent der Bevölkerung soll nicht ihre Regeln ändern. Die Presse soll ihre Regeln ändern und die Bevölkerung soll davon profitieren. Und im Sandkasten spielen? Du solltest die Partei echt ein bisschen ernster nehmen. Aber OK, du kannst dir gerne weiter irgendwelche Köpfe reinziehen die versuchen so viel wie möglich mit sowenig Bedeutung wie möglich von sich zu geben. Viel Spaß.

  • Hat sie das wirklich so gesagt?

    "Eine Partei kämpft darum, Macht und Einfluss zu gewinnen. Das ist der einzige und ausschließliche Zweck einer Partei.“

     

    Der verfassungsmäßige Auftrag politischer Parteien ist neben der Teilnahme an Wahlen die Mitwirkung an der politischen Willensbildung. Vom "Kampf um Macht" als ausschliesslichem Zweck steht weder etwas im Grundgesetz, auf das sich die Piraten so gerne berufen, noch im Parteiengesetz.

    Was ist da im Moment wieder los?

    Gerade hat doch erst ein Kollege Pöbel-Pirat im NRW-Landtag wieder ein Ding losgelassen (http://www.piratenpartei.de/2014/01/10/debatte-um-hinterzimmer-in-nrw-unsere-demokratie-ist-in-der-krise/), wollen die amtierenden und gewesenen Mitglieder der Parteielite unseren Laden jetzt pünktlich zur Europawahl endgültig zu Klump zusammenschiessen?

    • @Eric Manneschmidt:

      Genau wegen Menschen wie Ihnen, wird diese Partei niemals irgendetwas verändern:

      "Vom "Kampf um Macht" als ausschliesslichem Zweck steht weder etwas im Grundgesetz, auf das sich die Piraten so gerne berufen, noch im Parteiengesetz."

       

      Setzen Sie doch vor das Wort "Macht" einfach noch den Zusatz "Gestaltungs", dann sollte Ihnen klar werden worum es geht. Denn eine Partei, die nicht Gestalten will, ist auch keine Partei, sondern ein Kaffeekränzchen!

  • I
    Ingenieur

    Da gebe ich Frau Otto vollumpfänglich recht. Ich glaube, die anderen Parteien haben keine Angst (mehr) vor uns (Piraten) weil wir eben unsere politischen Ziele aus unserem Parteiprogramm gar nicht umsetzen.

    mfg, Thomas