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Islamisten werden stärkste Opposition

Bei den Parlamentswahlen in Ägypten erringen die Muslimbrüder fast zwanzig Prozent der Sitze. Die Partei von Präsident Mubarak sackt von 90 auf 70 Prozent ab. Über die Einschätzung der Muslimbrüder gehen die Meinungen auseinander

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

Die ägyptische Muslimbruderschaft hat ihre Präsenz im Parlament versechsfacht. Laut inoffiziellem Endergebnis werden die Islamisten nach sechs Wahlgängen in allen Teilen des Landes auf mindestens 87 Sitzen in der Madschlis al-Schaab Platz nehmen. Sie bilden mit 20 Prozent den bisher größten Oppositionsblock der parlamentarischen Geschichte des Landes am Nil.

Bisher hatte die Regierungspartei dank Wahlmanipulation stets fast 90 Prozent der Sitze inne. Diesmal muss sich die Nationaldemokratische Partei (NDP) von Präsident Husni Mubarak mit 73 Prozent zufrieden geben. Die Muslimbrüder, die nur in einem Drittel der Wahlbezirke angetreten sind, hätten wohl noch mehr Sitze gewonnen, hätte die NDP nicht alle staatlichen Register gezogen und die Polizei als Wahlhelfer eingesetzt. Vor vielen Wahllokalen wurden die Anhänger der Muslimbrüder am Eintritt gehindert. Vor allem in den Städten des Nildeltas war es am letzten Wahltag am Mittwoch zu regelrechten Straßenschlachten gekommen, bei denen sechs Menschen ums Leben kamen.

„Das Ergebnis kam als eine echte Überraschung, nicht nur für die Regierung, sondern auch für uns“, sagt der stellvertretende Chef der Muslimbrüder, Muhammad Habib, in einem Gespräch mit der taz. Und das, fährt er nicht ohne Stolz fort, „obwohl unsere Anhänger mit Gewalt am Wählen gehindert und über tausend von ihnen verhaftet wurden“. Wie aber werden sich die islamistischen Abgeordneten verhalten, für die es keine Trennung zwischen Religion und Politik gibt? Habib versucht, Ängste vor den Muslimbrüdern zu zerstreuen. Er gibt sich als Demokrat und beschreibt die Muslimbrüder als einen Teil der ägyptischen Reformbewegung. „Wir können nicht über das islamische Recht, die Scharia, reden, ohne das unsere politischen Rechte garantiert sind“, erklärt er.

Für den ägyptischen Historiker Salah Eissa haben die Muslimbrüder Kreide gefressen. „Sie präsentieren sich taktisch zurückhaltend als ein Partner der Reformbewegung, der weder die Regierung noch international provoziert“, meint der Chefredakteur der Kulturzeitschrift Al-Qahira. Was die Einführung der Scharia, also ihr langfristiges strategisches Ziel, bedeute, darüber höre man derzeit nichts von ihnen. Auch wenn die Muslimbrüder nun gestärkt im Parlament sitzen, glaubt Eissa nicht, dass sie ihre Zurückhaltung aufgeben werden. „Sie werden vielleicht ein paar Dinge der öffentlichen Moral aufgreifen, über ein paar freizügige Filme oder Bauchtanzschulen diskutieren wollen. Was sie wirklich beabsichtigen, werden wir erst erfahren, wenn sie an die Macht gekommen sind“, sagt Eissa.

Habib wehrt sich gegen solche Vorwürfe. „Jeder redet darüber, was wir vielleicht beabsichtigen“, meint er. „Lasst uns einfach unseren Platz im politischen System einnehmen, und dann können später die Wähler entscheiden und uns zur Rechenschaft ziehen.“ Inhaltlich bleibt er zurückhaltend. Demokratie, Pluralismus und Gewaltenteilung – all das umfasst für ihn die Parole „Islam ist die Lösung“. Aber, wendet Habib ein: „Der Gesetzgeber darf kein Gesetz erlassen, dass den Grundlagen der Scharia widerspricht, dagegen würden wir opponieren.“ Ein Grundsatz, der übrigens auch in Artikel 2 der ägyptischen Verfassung festgelegt ist, auf den sich die Muslimbrüder gerne beziehen.

Profitiert haben Ägyptens Islamisten, die zum Marsch durch die Institutionen angetreten sind, auch von einem Protestpotenzial, dass nach ihren eigenen Angaben bis zu 20 Prozent ihrer Stimmen ausgemacht hat. Wael Khalil, ein junger Aktivist der oppositionellen Kifaja-Bewegung, hat ebenfalls die Muslimbrüder gewählt, obwohl der linke Oppositionelle, der gerne mal ein Bier trinkt, wenig mit ihnen gemeinsam hat. „Dem autokratischen Regime eine Niederlage zuzufügen war meine Priorität“, rechtfertigt er sich. Wenn Mubaraks Partei erneut 90 Prozent der Sitze erhalten hätte, dann hätte man jegliche Illusionen über Wahlen und Veränderung aufgeben können. „Die Muslimbrüder sind besser als gar keine Opposition“, fasst er zusammen.

Eissa bleibt skeptisch gegenüber Islamisten als Reformpartner. „Wenn sich die Muslimbrüder als die Partei Gottes ansehen, was sind dann alle anderen politischen Kräfte in Wirklichkeit für sie?“, fragt er, „gottlos?“

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