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Kolumne Deutsch-Sowjetische FreundschaftDankbar für die Sklavenarbeit

Kolumne
von Markus Völker

Die Jugend der Welt lässt sich vom IOC bereitwillig ausbeuten. Während die Volunteers hart schuften, sitzt der Verband auf seinen Millionen.

Glücklich über eine kurze Pause: Freiwillige in Sotschi. Bild: dpa

S OTSCHI taz Müde trottet das Heer der willigen Helfer am Morgen durch die olympische Landschaft. Es ist noch dunkel, aber sie sind schon wieder bereit. In ihren blauen Jacken mit den bunten Ornamenten machen sie sich auf den Weg zu ihren Einsatzorten. 25.000 Freiwillige rackern bei Olympia, unentgeltlich. Die Generation Praktikum muss nicht bezahlt werden, um sich gut zu fühlen. Die olympischen Momente sind es, die sie mitnehmen als harte Währung.

Die langen Arbeitszeiten und das strenge Regime der Organisatoren empfindet kaum einer von ihnen als Zumutung. Sie kleben eifrig Tape über unerwünschte Sponsorenlogos und stehen stundenlang in der Kälte an einer Bushaltestelle. Die Freiwilligen von Sotschi sind zwar nicht so überschwänglich freundlich wie in Peking, aber ohne sie würde der olympische Betrieb nicht laufen.

Das IOC hat Glück, dass es eine olympische Jugendbewegung gibt, die sich so problemlos ausbeuten lässt. Solange die bienenfleißigen Volunteers schuften, muss das IOC nicht an die eigenen Reserven von 686,9 Millionen Euro gehen. Es gibt natürlich auch deutsche Volunteers. Der Sportbund von Brandenburg und Baden-Württemberg hat für Deutsche mit Migrationshintergrund ein Programm aufgelegt. So ist Evgheni Kirzner ans Schwarze Meer gekommen. „Ich wurde gewarnt, dass wir keine regelmäßigen Arbeitszeiten haben, aber dafür bin ich bei Olympia dabei“, sagt er.

Mit 16 ist er von Transnistrien, das völkerrechtlich zu Moldawien gehört, nach Deutschland gekommen. Evgheni spricht gut Russisch, weswegen er als Fahrer und Übersetzer im Bergdorf Krasnaja Poljana arbeiten darf. Der 28-Jährige hat es gut erwischt. Manchmal arbeitet er nur halbtags. „Mit der postsowjetischen Mentalität kenne ich mich gut aus“, sagt er. Die Freundlichkeit der Russen habe ihn überrascht, in Moldawien seien sie anders drauf gewesen. „Das ist hier eigentlich wie in Europa.“

Mit den Sportarten kennt er sich noch nicht so gut aus. Er sei einmal beim „Hochsprung“ gewesen, erzählt der Informatikstudent aus Karlsruhe. War er also auch bei den Sommerspielen in London? Das Missverständnis klärt sich schnell auf. Er meint den Halfpipe-Wettbewerb, wo sie ja auch manchmal über drei Meter hoch über den Rand der Pipe hinausspringen. Evgheni schläft kaum. Er will nichts verpassen, alles aufsaugen. „Länger als ein paar Stunden zu schlafen, wäre eine Schande.“ Es ist schließlich Olympia.

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Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.
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4 Kommentare

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  • Muss Alles immer böse und Ausbeutung und ungerecht sein? Der Bericht ist doch eigentlich positiv: Diesen Freiwilligen ist es die einmalige Erfahrung wert, zu arbeiten und Opfer zu bringen. Sie bekommen, was sie möchten für eine Leistung, die sie gern erbringen - ist das nicht das Idealbild einer funktionierenden postmaterialistischen Arbeitswelt?

     

    Aber nein, das pöse IOC mit seinen noch pöseren Bonzen profitiert davon, also kann das nicht gut sein und braucht eine reißerische Überschrift mit "Sklavenarbeit" zuoberst und den "Millionen" des IOC gleich darunter. Immer schön die Reizknöpfchen der versammelten Klassenkämpfer drücken...

     

    Nur zur Info: Sklavenarbeit zeichnet sich in allererster Linie dadurch aus, dass sie eben NICHT freiwillig von frei entscheidenden Menschen erbracht wird. Und die Freiwilligen arbeiten für das Organisationskomitee in Sotschi und nicht für das pöse IOC.

     

    Mir ist schon klar, dass es am Ego eines aufrechten Links-Materialisten kratzt, einzugestehen, dass auch Menschen, die nicht reich sind, manchmal einfach wichtigeres zu tun haben, als ihren gerechten Anteil am Volkseinkommen zu sichern. Aber ist es so schwer, diese Einstellung einfach mal zu akzeptieren, wenn man sie schon so eindeutig und selbstbewusst erklärt und vorgelebt bekommt?

    • H
      Holger
      @Normalo:

      Ja, es ist sehr schwer, zu akzeptieren, dass ein Heer von kostenlosen Freiwilligen die großen wirtschaftlichen Gewinne erst ermöglicht, nicht nur bei Olympia.

       

      Daran ist nämlich die zunehmende Akzeptanz erkennbar, rein marktwirtschaftliche Argumentationen einfach zu schlucken und damit die bereits jetzt krassen Gesellschaftsgegensätze zu verstärken.

       

      Verständnis des etablierten Begriffs "Generation Praktikum" mit seinen vielschichtigen gesellschaftlichen Ausprägungen wird dabei vorausgesetzt. Dabei geht es mitnichten "einfach mal um ein nettes, aber kostenloses Praktikum".

      Ich könnte auch kürzer formulieren: Wer bei Gesellschaftskritik heute noch an "Klassenkampf" denkt, hat 3 Jahrzehnte verschlafen.

      Ihr Pseudonym soll aber vermutlich andeuten, dass ein solcher Tiefschlaf normal ist.

      • @Holger:

        Ich weiß nicht, wer hier was verschlafen hat. Die Kolumne zitiert ausschließlich junge Menschen, die sich ihre Tätigkeit ausgesucht haben und froh über die Entscheidung sind. Warum behandeln Sie die wie unmündige Opfer, die nicht wissen, was sie da tun? Wissen Sie es wirklich (nachweisbar) so viel besser? Oder ist diese lebensbejahende Einstellung bar jedes Gerechtigkeitswahns einfach nur zuviel für einen ideologisch verengten Horizont?

         

        Sie denken, "Klassenkampf" sei ein Begriff von vorgestern? In einer Beziehung stimmt das sicherlich: Heute ist es eher "Klassengenörgel" - meist aus ziemlich komfortabler wirtschaftlicher Situation heraus. Aber ansonsten sind doch Kampfbegriffe wie "die Reichen" oder der Hinweis auf die Reserven von Institutionen wie dem IOC nur ein anderer Anstrich für das, was früher unter dem Namen "herrschende Klasse" als Feindbild diente. Und "krasse Gesellschaftsgegensätze" sind der neue Name für den Anspruch auf wirtschaftliche Gleichstellung mit dieser Klasse.

         

        Hier sind nun Leute, die das alles nicht interessiert. Sie wollen Teil von etwas Großem, Schönen sein und eine Erfahrung fürs Leben machen - und sind damit im Zweifel auch besser für den Job geeignet als Jemand, der nur seine Stunden abreißen und die Lohntüte einstreichen will. Lassen Sie sie doch einfach!

         

        Diese Freiwilligen befinden sich nämlich im krassen Gegensatz zu den - wirklich - ausgebeuteten - Menschen, die für Geld die Spiele vorbereiten sollten und denen man dieses Geld gegen ihren Willen(!) vorenthalten hat, weil man der Stärkere ist. DA sollte die Kritik ansetzen. Bei den Freiwilligen ist sie fehl am Platze und setzt die Kritiker ins Unrecht. Denn sie setzen sich zwangsläufig dem Verdacht aus, dass es ihnen nicht wirklich um die Wünsche der Freiwilligen geht sondern um die Millionen des IOC, die sie ihm nicht gönnen.

  • W
    W.Punkt

    Danke für die Infos zu Entlohnung, Unterbringung, Verpflegung, den Vergleich mit vorherigen Austragungen, die Einholung offizieller Statements und die Zitate von Kritikern. Was sagt denn die ILO dazu, was der Deutschen Sportjugendbund oder sowas in der Art?

     

    Oder ist das ganze doch mehr als unfundierter Kommentar gedacht!?

     

    Das geht doch besser.