Berliner Breakdance-Crew Flying Steps: Tanz nach oben
B-Boying im Bundestag: Wie eine Berliner Breakdance-Crew sich in ein internationales, erfolgreiches Unternehmen verwandelt hat.
BERLIN taz | Vartan Bassil nimmt einen Schluck Wasser, überlegt kurz und legt los. „Mein Traum ist es, irgendwann eine Las-Vegas-Show zu machen, so wie Cirque du Soleil,“ sagt der Berliner Choreograf. „Die Leute sollen sagen: ’Ey wenn du da rein gehst, machst du nichts falsch. Da kriegst du die weltbesten Tänzer und eine richtig gute Show geboten‘.“ Man glaubt Bassil aufs Wort, wenn er das sagt, sieht man ihn schon hinter den Kulissen der Showbühne des MGM Grand Hotels Anweisungen erteilen.
Noch sitzt er aber auf einem Stuhl in seiner Tanzschule in Berlin-Kreuzberg. Er trägt ein weißes Paar Sneakers und ein Baseball-Cap mit dem Logo des Energy-Drink-Herstellers Red Bull. Er lacht viel und spricht schnell, sehr schnell, als würde ihm die Zeit davonrennen. Bassil, der 1975 im Libanon geboren wurde und mit acht Jahren nach Deutschland kam, fing als Jugendlicher mit dem B-Boying an – ein szeneinternenes Synonym für „Breakdance“. Irgendwann gründete er gemeinsam mit Freund Kadir Memis die Breakdance-Crew Flying Steps. Als sie das erste Battle of the Year gewannen, eine Art Breakdance-Weltmeisterschaft, wurden sie über Nacht zu Stars der Szene. Das war 1994.
Inzwischen sind die Flying Steps keine Breakdance-Crew mehr, sondern ein Unternehmen. 15 Büroangestellte und 30 Tänzer stehen hinter dem Namen. Letztes Jahr wurde die großräumige Flying Steps Academy am Berliner Moritzplatz eröffnet, wo Menschen ab sechs Jahren Kurse in diversen Tanzstilen wie Breakdance, Hip Hop, New Style, Popping oder Dance Hall besuchen können – und auch Ballettkurse.
Mit dem klassischen Tanz kam Bassil erstmals 2010 in Berührung, als die Vorbereitungen für die Tanzshow „Flying Bach“ begannen, für die auch eine Balletttänzerin gecastet wurde. Unter der künstlerischen Leitung von Opernregisseur Christoph Hagel choreografierte Bassil eine 70-minütige Breakdance-Performance zu Johann Sebastian Bachs „Wohltemperiertem Klavier“. Jeder Tänzer stellte eine Stimme dar. Die Show war ein großer Erfolg und tourt noch immer um die Welt.
„Red Bull Flying Illusion“: Premiere 21.3. um 20.15 Uhr im Berliner Tempodrom. Weitere Termine: 22.–24. 3. Berlin, 25.–27. 4. Frankfurt/Main, 9.–11. 5. Oberhausen, 30. 5.–1. 6. Hamburg, 20.–22. 6. Stuttgart, 27.–29. 6. Köln.
In der Mitte der Gesellschaft
„Unser Anspruch war es, einem älteren Publikum und der sogenannten Hochkultur zu zeigen, wie kunstvoll Breakdance sein kann. Bach war für uns so eine Art Brücke, um verschiedene Generationen zusammenzubringen,“ sagt Bassil im Konferenzraum der Tanzschule. Sein Blick wandert immer wieder zu den jungen Tänzern, die sich hinter der Glaswand aufwärmen. Ein Tänzer umarmt eine junge Frau. Es sieht aus, als würde er ihr Mut zusprechen.
Früher habe sich Bassil bei Elternabenden seiner Tochter ein bisschen geschämt, wenn andere Eltern nach seinem Beruf fragten: „Da wurde ich immer schräg angeguckt, wenn ich gesagt habe, ich mache Breakdance.“ Nachdem die Flying Steps nicht nur zur besten Sendezeit im Privatfernsehen, sondern auch in der Neuen Nationalgalerie und im Bundestag aufgetreten sind, hat Bassil endlich das Gefühl, dass Breakdance in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.
Heute kommen auch die Klassenkameraden seiner Tochter in die Academy, um Breakdance zu lernen. Es sind viele Kinder aus besser situierten Familien dabei, immerhin kosten die Kurse zehn Euro pro Stunde. Als Bassil vor über zwanzig Jahren mit dem tanzen anfing, gab es derlei Angebote nicht. Damals trainierte man in Jugendclubs im Berliner Arbeiterviertel Wedding und schaute sich Moves aus Tanzfilmen wie „Beat Street“ ab, auf VHS- oder Betamax-Kassetten.
Empfohlener externer Inhalt
Aus der Subkultur haben die Flying Steps ein durchkommerzialisiertes Konzept für Familienunterhaltung entwickelt. Die Vorbereitungen für die nächste große Bühnenshow „Flying Illusion“ laufen auf Hochtouren. Mit dabei ist wieder der Hauptsponsor Red Bull. „Ohne so einen Großkonzern im Rücken, wäre diese Show nicht realisierbar gewesen,“ sagt Bassil und schätzt sich glücklich, dass seine Visionen unterstützt und ihm kaum reingequatscht werde.
Großkonzern im Rücken
Okay, hier und da müsse das Logo präsent sein, etwa auf den Kostümen der TänzerInnen oder auf dem Showplakat. „Das gehört halt dazu,“ meint Bassil und zuckt mit den Schultern. Immerhin liegen die Produktionskosten im Millionenbereich. Damals bei „Flying Bach“ waren es gerade mal 30.000 Euro.
In einer Halle im weniger besiedelten Norden der Hauptstadt laden die Flying Steps zu einer Preview von „Flying Illusion“. Der Raum wird verdunkelt, ein finsterer Beat erklingt. Die wuchtigen Hip-Hop-Instrumentals mit orchestralem Sound haben die Brüder Vevan und Ketan Bhatti produziert. Ein würfelförmiger Käfig landet auf der Bühne. Einzelne TänzerInnen in schwarzen Outfits, samt Cape und Hut, steigen aus.
Sie haben jeweils einen kurzen Soloauftritt, um zu zeigen, was sie draufhaben. Diese Hälfte der Besetzung nennt sich Dark Illusions. Sie repräsentieren das Böse, das nach zehntausend Jahren wieder aus der Unterwelt zurückkehrt. Die Flying Heroes, also die Guten, tragen blau und müssen bis Sonnenaufgang die bösen Mächte von der Erde vertreiben. Auf dem Spiel steht nichts weniger als das Schicksal der Menschheit.
„Ich bin ein großer Fan von Star Wars und den Marvel-Filmen. Liebe, Verrat, Hass, Kampf – diese ganze Sache um Gut und Böse gehört bei jeder guten Story dazu,“ sagt Bassil, der die Geschichte konzipiert hat und diesmal die künstlerische Leitung allein übernimmt. Mithilfe des Illusionisten Florian Zimmer und hochwertigen technischen Spezialeffekten wird Magie erzeugt, sozusagen als Leitmotiv der Show.
Trainer und Bruder
In einer Szene kämpft ein Tänzer der Flying Heroes gegen seinen eigenen Schatten, weil der vom Bösen übernommen wurde. In einer anderen schweben eine böse Tänzerin und ein guter Tänzer, die sich in einander verliebt haben, in der Luft, ohne das man eine Befestigung an ihren Körpern bemerken würde.
Nach der Preview dirigiert Bassil seine Crew für die Pressefotos, gibt ihnen genaue Anweisungen, wer wo stehen soll. Etwas unbeholfen schauen die TänzerInnen ihn auch immer wieder fragend an. Für sie scheint er beides zu sein: der knallharte Trainer, der unbedingt seine Visionen umsetzen möchte. Und zugleich der große Bruder, der mit ihnen scherzt und stets um Rat weiß. Die TänzerInnen, die zwischen 21 und 33 Jahre alt sind, kommen aus der Schweiz, aus Frankreich, Portugal, Griechenland, Kongo und Deutschland. Viele von ihnen haben einen Migrationshintergund.
Stilistisch stammen sie nicht nur aus dem B-Boying, sondern auch aus den Bereichen Popping, Locking und House. Augewählt habe Bassil nur TänzerInnen, die ihn persönlich überzeugt hätten, Die Szene sei ja überschaubar. Dass unter den zehn Leuten nur zwei Frauen sind, findet er persönlich problematisch, doch sei die Urban-Dance-Szene eben immer noch eindeutig ein Jungsverein.
Klare Sache Welttournee
Für die Choreografie von „Flying Illusion“ sind die beiden B-Boys Benny und Lil Rock verantwortlich, Bassil kümmert sich eher ums große Ganze. „Am wichtigsten ist uns aber, dass jeder Tänzer seinen eigenen Style mit reinbringt, die selbstkreierten Moves zeigt. Davon lebt Hip-Hop nun mal.“
Sechs Monate lang, also für die Dauer der Proben und die ersten Deutschlandshows, seien die TänzerInnen gebucht. Sie bekommen eine Wohnung gestellt, Verpflegungskosten, sowie extra Proben- und Showhonorar. „Je nachdem wie die Show läuft, wird ihr Engagement in diesem Projekt weitergehen.
Teil der Flying Steps Company werden sie aber auf jeden Fall bleiben,“ erklärt Bassil. Nach dem Erfolg von „Flying Bach“ dürfte eine Welttournee klare Sache sein. Doch Bassil bleibt auf dem Boden: „Ich bin da kritisch. Man kann die beste Werbung der Welt schalten, doch am Ende entscheidet nur das Publikum darüber, ob die Show gut ist, oder nicht.“
Am Empfang der Tanzschule warten zwei Mitarbeiter von Red Bull. Sie sind zum ersten Mal da. Bassil begrüßt sie mit einem Klaps auf die Schulter und beginnt mit großen Gesten vom Fortschritt der Proben zu erzählen.
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