piwik no script img

Kolumne WutbürgerWarten, bis der Arzt kommt

Kolumne
von Isabel Lott

Hat der Zug gerade mal vier Minuten Verspätung, ist sofort Krawall angesagt. Aber beim Arzt werden alle wieder ganz devot.

Im Wartezimmer lässt es sich gut über die eigene Gesundheit sinnieren. Dabei helfen Broschüren mit kassenfremden Leistungen Bild: dpa

D ie Deutschen haben den Ruf, pünktlich zu sein. Wer Orte des Widerstands gegen diese Tugend sucht, sollte einfach mal zum Arzt gehen.

Sobald ich eine Arztpraxis betrete, habe ich das Gefühl, eine lästige Bittstellerin zu sein. Es geht hier nicht um den normalen Hausarzt, bei dem alle ohne Anmeldung vorbeikommen, um ihre Krankschreibung abzuholen. Da kann ich es akzeptieren, dass ich erst mal warten muss. Interessanterweise ist dieser aber zackiger unterwegs als die Fachärzte. So scheitere ich seit Jahren an dem Versuch, zu einem Hautarzt ins Behandlungszimmer vorzudringen.

Das Spiel in diesen Praxen ist immer dasselbe: Völlig abgehetzt, aber pünktlich stehe ich vor dem Tresen der medizinischen Fachangestellten. Die ist gern genauso schlecht gelaunt, wie sie bezahlt wird. Nachdem sie sich endlich meiner erbarmt, verlangt sie meine Karte, meistens ohne von ihrem Bildschirm hochzuschauen, und schickt mich ungerührt ins Wartezimmer. Die Bude ist schon gut gefüllt mit Patienten, die stoisch in abgeranzten Zeitschriften und Broschüren blättern. Würden wir auf dem Bahnsteig stehen und der Zug hätte vier Minuten Verspätung, wäre Krawall angesagt. Aber beim Doktor werden alle ganz devot.

taz am wochenende

Als der Völkermord in Ruanda begann, machte unsere Autorin, Tochter einer Tutsi, dort gerade Urlaub. Zwanzig Jahre später blickt sie zurück – und nach vorn. Wie Ruandas neue Generation versucht, ihr Land neu zu erfinden, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 5./6. April 2014. Außerdem: Warum Maos Notizen zum Partisanenkrieg beim Computerspielen helfen. Und: Der Lyriker Yahya Hassan war gerade volljährig, als sein Gedichtband ein Bestseller wurde. Ein sonntaz-Gespräch über fehlende Vaterliebe und den Hass der Islamisten. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Da ich etwas ungeduldig bin und Termine ernst nehme, frage ich alle fünf Minuten nach, wie lange das noch dauert und warum sie ihren Betrieb nicht im Griff haben. Nach meinem fünften Auftritt ist die Stimmung zwischen mir und dem Personal so vergiftet, dass ich besser gehe.

Inzwischen habe ich herausgefunden, dass meine Zwischenlagerung der Versuch ist, mir kassenfremde Leistungen anzudrehen. Auf einem Ärzteportal wird darauf hingewiesen, dass der Patient ins Wartezimmer muss – ob er will oder nicht –, denn dort könnte er, während er über seine Gesundheit nachdenkt, mit entsprechenden Broschüren gewinnbringend angeregt werden.

Mich regt das vor allem auf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Meine Hausärztin schaut bei jedem Termin zu allererst auf die Uhr und entschuldigt sich, wenn ich mehr als 10min nach der ursprünglich vergebenen Uhrzeit bei ihr im Zimmer sitze (was meistens nicht der Fall ist).

     

    Ich empfinde Verallgemeinerungen wie in diesem Artikel als wenig konstruktiv.

  • Das lässt sich noch steigern. In den großen Kliniken ist es nach meiner Beobachtung noch schlimmer als beim Facharzt. Ein Termin = ein Arbeitstag.

     

    Habe zu meiner aktuellen Erfahrung gebloggt http://ulaya.blogspot.com/2014/02/arztliche-wartezeiten.html

  • Ich musste neulich 2 Stunden beim Kardiologen warten.

    Eine halbe Stunde durfte ich mich nett mit der einzigen Patientin, die mit mir im Wartezimmer saß unterhalten, danach wurde ich aufgerufen, im Vorraum zum Sprechzimmer Platz zu nehmen.

    Das hab ich dann auch - und zwar 1 Stunde und 30 Minuten!

    Vor mir war EIN Patient. Als der raus kam aus dem Arztzimmer, konnte ich hören, wie der Herr Doktor telefonierte - über eine Stunde lang - PRIVAT!

     

    Als ich dann endlich ging, meinte ich am Empfangstresen, dass 2 Stunden warten zu viel seien. Daraufhin bekam ich zur Antwort: "aber nicht beim Kardiologen, schließlich könnte ich nicht wissen, wieviele Patienten vor mir waren" - oh je!

    • @Rossignol:

      @Rossignol: !!! 5 !!! Stunden !!! MIT !!! Termin beim Orthopäden.

      Und Ihre Dame am Empfangstresen war doch noch nett. Die Meisten verhalten sich, als verwalten sie die Termine für Gottvater persönlich.

  • Was für ein Quatsch! Der einzige Grund warum man bei Fachärzten wartet, sind also die sogenannten Eagle-Leistungen. Zugegeben, diese stellen ein großes Problem dar, weil ahnungslose Patienten zu meist sinnloser, teurer Diagnostik (wären sie sinnvoll, würden sie erstatten werden) überredet werden. Aber das Phänomen der vollen Wartezimmer hat wohl eher etwas mit Ärztemangel zu tun...