piwik no script img

Kommentar Populismus in EuropaWas die Rechten stark macht

Robert Misik
Kommentar von Robert Misik

Ungarn ist ein Fall für sich. Und doch folgt der Sieg von Fidesz und Jobbik einem europaweiten Muster. Die etablierte Politik hat versagt.

Ungarn driftet ab, nach rechts: Premier Viktor Orbán. Bild: dpa

V ierundvierzig Prozent holt der autoritäre Populist Viktor Orbán bei der ungarischen Parlamentswahl und damit auch gleich eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Die Rechtsradikalen von der Jobbik-Partei fahren noch einmal 20,5 Prozent zusätzlich ein. Das Wahlbündnis um die Sozialisten und die Grünen kommt demgegenüber auf schlappe 26 Prozent. Ungarn driftet ab.

Orbán hat nach seinem Wahlsieg vor vier Jahren das Land umgebaut, die Medien unter seine Kontrolle gebracht, die Zivilgesellschaft mit stetigen Attacken mundtot gemacht und die Opposition aufgerieben. Sein neuerlicher Kantersieg ist also auch Ausdruck davon, dass es in Ungarn längst nicht mehr mit fairen, also demokratischen Mitteln zugeht.

Ungarn ist ein Fall für sich – und doch auch ein Zeichen unserer Zeit. Orbáns Aufstieg verdankt sich dem Unvermögen der ungarischen Linken und dem Frust der Ungarn über die Vor-Orbán-Eliten. Dieses Muster lässt sich heute in vielen Ländern Europas beobachten: Der Rechtspopulismus stilisiert sich als Fürsprecher der einfachen Leute gegen die abgehobenen Eliten. Er bringt sich in Stellung gegen blutleere Technokraten, aber auch gegen die klassischen Parteien der Linken, denen die populistische Rede unterstellt, dass sie sich längst nicht mehr um die „normalen Leute“ kümmern, sondern lieber Banker retten.

Der Populismus ist immer in Radikalopposition – gegen „die da oben“, sogar dann, wenn er regiert. Auch der Nationalismus, den er schürt, ist immer ein Nationalismus, der sich „von unten“ imaginiert, ein Nationalismus von bedrohten Schwachen gegen mächtige Ausländer.

Ungern in Ungarn

Bilder zum Faschismus in Ungarn gibt es hier.

Die sitzen aus seiner Sicht etwa in Brüssel. Deswegen ist Anti-EU-Ressentiment auch unverzichtbarer Bestandteil seiner Rhetorik. Er lebt von der Aggression, die sich aus Ängsten speist. Er mobilisiert (reale oder gefühlte) Schwache, und das Treten nach unten, auf noch Schwächere – auf Zuwanderer, Roma und andere –, gehört dazu.

Die geistigen Brüder und Schwestern von Orbán und Jobbik werden auch bei den EU-Wahlen zulegen – die FPÖ in Österreich, der Front National in Frankreich, die Ukip in Großbritannien, die Wilders-Partei in den Niederlanden und andere.

Auch wenn sich die Umstände nicht überall gleichen, so ist der Aufstieg des Rechtspopulismus stets Symptom eines Versagens der etablierten Politik.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.
Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • 6G
    6474 (Profil gelöscht)

    "Erstaunlich ist einfach nur, dass jemand so eine Show mitten in der EU, mitten in Zentral-Ost-Europa abziehen kann, ohne dafür Sanktionen einstecken zu müssen."

     

    absolut richtig.aber das ist halt auch ein problem der EU.

    man kümmert sich um energiesparlampen,verkehrschilder und multinationale konzerne.aber menschenrechte?-egal

  • Orban versteht es einfach, Abgrenzungsgefühle, Hinterhältigkeit, Nationalstolz und Populismus miteinander zu verbinden. Er war ja schon mal gescheitert, da hat er erkannt: Demokratie ist nur dann gut, wenn man immer wieder gewinnt, ja gewinnen muss, wenn die Gegner chronisch kalt gestellt sind. Deswegen hat er sich etwas ausgedacht, dass einfach funktioniert: Abgrenzungsgefühl, emmotionaler Trieb und Stolz bei seinen 'Ungarn' fördern, im Kontrast dazu macht er Minderheiten, allen voran Roma und Sinti das Leben zur Hölle. Er sorgt für 'Schuldige', für Randgruppen und Entrechtete - Sündenböcke.

     

    Warum war Deutschland nach 1933 nicht in einem Bürgerkrieg? Warum sind so viele SPD-Wähler auf Hitler reingefallen? Es ist immer das gleiche Spiel.

     

    Erstaunlich ist einfach nur, dass jemand so eine Show mitten in der EU, mitten in Zentral-Ost-Europa abziehen kann, ohne dafür Sanktionen einstecken zu müssen. Orban hat sich sogar eine eigene Propaganda-Maschine gebastellt und im Parlament forderten schon rechte Abgeordente, man solle Juden-Listen erstellen. Ich kann nur sagen: Dieses Ungarn ist ein sehr großes Problem für die glaubwürdigkeit der EU.

     

    Wenn dieses Beispiel Schule macht, dann werden noch mehr EU-Staaten irgendwann da reinfallen. Umterm Strich läuft Ungarn 2014 in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht kaum anders ab als in 2001 oder 2005. Orban schafft sich seine Freiräume und macht das Land zu einem Gefängnis für Oppositionelle und Linke. Daneben ist er noch zu Reichtum gelangt und verfolgt eine krude Reich-Gut-Politik, im Kontrast zu seinen Äußerungen gegen Eliten. Diese Winkelzüge waren auch bei der NSDAP und Hitler zu beobachten.

     

    Echte Probleme mit der EU hatt Orban bisher nicht, das wird wohl auch so bleiben. Anscheinend ist nur noch der gemeinsame Markt von Interesse - der Rest ist egal. Wer sich dann z.B. in Frankreich über Sinti und Roma als verarmte Einwanderer beklagt, der zeigt, wie es um die EU steht.

  • 6G
    6474 (Profil gelöscht)

    es gibt nicht einen grund warum die rechte auf dem vormarsch ist,sondern mehrere.

     

    die gesellschaft hat sich in den 80ern und 90ern immer mehr entpolitisiert.gerade in den 90ern nach dem fall der mauer, gab es gefühlt so wenig weltpolitische konflikte wie selten.

    nach dem 11 september war politik wieder überall,aber ohne einen theoretischen unterbau bei den meisten leuten.

     

    also sucht das dumme volk nach einfachen losungen die es versteht.

    der kapitalismus ist nicht einfach zu verstehen.vor allem dann nicht wenn man das prinzip verinnerlicht hat,weil man nichts anderes kennt.

    es ist auch nicht im interesse der großen parteien die systemfrage zu stellen.die wirtschaftskrise ist eine systemkrise die im kapitalismus gar nicht ausbleiben kann.

     

    die rechte bietet diese einfachen antworten für das frustierte volk und die EU tut ihr bestes um als bürokratiemonster wahrgenommen zu werden.

     

    die linke hat es bie allen verfehlungen der letzten jahren auch schwerer, komplizierte zusammenhänge einfach und verständlich darzustellen.

  • Was „die Rechten” stark macht, eine Neuauflage des Irrsinns des vergangenen Jahrhunderts zunehmend in Möglichkeitsweite rückt, ist:

     

    1) dass es „links“ nix mehr gibt, ausser bigotten Scheinlinken.

     

    Und

     

    2) dass es niemanden gibt, der reinen Wein einschenkt und sagt: „Leute, die ganze Wahldemokratie haben wir auf die Schutthalde gefahren, denn unsre Un- bzw. Nicht-Politik hat die Macht längst transnationalen u/o oligarchen Konzerninteressen zugespielt, die den Demokratie[=Volksherrschaft]rest logischer Weise progressiv abbauen. Wir müssen alles anders machen, nochmal von vorne beginnen.“

    (Am besten per basisdemokratischem dezentralisierten [Räte-] System.)

     

    Und DANN hätten die Leute – zumindest jene die über RTL, Bild- und Kronenzeitung hinausdenken – wieder eine Alternative zu den Schreihälsen und Starkmännern und potentiellen Schlächtern „der Rechten“.

     

    Aber das ginge, bei ein bisschen Volks-WILLEN auch ohne Urnen und Zettel. Siehe Chiapas. Oder Barcelona vor dem Franco-Putsch.

  • Es ist in der Tat ernüchternd und desillusionierend, was aus der großartigen Idee der Europäischen Union geworden ist: Ein verkommener Machtapparat der Kartelle. Nun gehen die Uhren wieder rückwärts, die Faschisten übernehmen...

    Das letzte Mal kostete das die Menschheit 60.000.000 Tote.

  • Nein, es ist ein Versagen von Menschen, die zu bequem sind, um sich ernsthaft für Politik oder für gesellschaftliche Zusammenhänge zu interessieren, die keine Toleranz gegenüber den Andersartigen kennen, die nur ihre eigenen Pfründe verteidigen wollen, die ängstlich und schwach sind und deshalb nach einem starken Partner rufen, der ihnen das abnimmt, was sie selbst nicht gewillt sind, zu leisten.

    Nicht nur etablierte Politiker haben versagt, sondern der Mensch an sich - wie so oft in der Geschichte.

    Wie meinte Marx: Geschichte wiederholt sich, entweder als Farce oder als Tragödie.

  • Es ist vor allem auch ein Zeichen für das Versagen der Linken, die wirklichen Schmarotzer der Gesellschaft effektiv zu benennen und mit politischen Mitteln ihrer Basis zu entziehen.

     

    Ich möchte endlich mal eine Kampagne hören, die das FDP-Schlagwort "Leistung muss sich lohnen" vom Kopf auf die Füße stellt: Was kann ein Mensch denn bitte leisten, damit er ein Einkommen von mehr als ein paar Hundertausend Euro im Jahr im wirklichen Sinne des Wortes VERDIENT hat? Was kann ein Mensch in seinem Leben wirklich SELBST geleistet haben, dass er es verdient hat, ein Vermögen von mehr als ein paar dutzend Millionen Euro zu besitzen?

     

    Menschen, die nur dadurch Geld bekommen, dass sie viel Geld haben sind die wahren Schmarotzer unserer Gesellschaft. Sie sind diejenigen, die mit ihren fluktuierenden Geldmassen das Finanzsystem destabilisieren. Sie sind diejenigen, die die Masse der Gesellschaft ausbeuten - denn wenn jemand mehr bekommt, als er eigentlich verdient hat, müssen andere dafür weniger bekommen, als sie verdient haben.

     

    Es wird Zeit, dass sich linke Parteien endlich sowohl vor dem Angst vom Kommunisten-Stigma, als auch von alter links-dogmatischer Logik befreien und hier intelligente Lösungen entwerfen.

     

    Das kapitalistische Prinzip des "Leistung muss sich lohnen" ist das, was unsere Gesellschaft ins Laufen bringt. Es ist der Grund, warum der Kommunismus gescheitert ist. Und es ist der Grund, warum die Marktwirtschaft scheitern wird, wenn nicht endlich wirklich nur die Leistung belohnt wird und nicht der Besitz und die Machtposition.

     

    Fortsetzung im nächsten Kommentar

    • @Sonne am Morgen:

      Ich wünsche mir eine starke linke Partei, die einerseits ein solches marktwirtschaftliches Leistungsdenken vertritt - und dafür am Markt liberale Voraussetzungen schafft. Und die andererseits auch sehr konsequent die Voraussetzungen dafür schafft, dass keine Leistung auch nicht bezahlt wird: Das Schuldenproblem ist das größte Problem unserer heutigen Wirtschaft. Einem Schuldenberg steht immer auch ein gleich großer Berg an Vermögen gegenüber, Vermögen das Geld abwirft, ohne dass der Besitzende etwas dafür leistet.

       

      Alle Vermögen über z. B. 50 Millionen Euro müssen zu 100% dem Staat zugeführt werden. Dann gibt es keine Staatschulden mehr und die Reichen müssen für ihr Geld arbeiten, wie jeder andere auch. Ähnliches gilt für Machtpositionen in der Wirtschaft: Um hier Ausbeutung zu verhindern ist nicht nur ein Mindestlohn, sondern auch ein all inclusive Maximallohn notwendig.

       

      Warum gibt es keine linke Partei, die solche Positionen vertritt? Sowohl SPD als auch Grünen würde das auf Basis Ihrer Tradition gut ins Gesicht stehen - und auch der Linken, wenn sie sich eingesteht, warum die DDR aus wirtschaftlicher Sicht gescheitert ist.

       

      PS: Das hier soll ein Denkanstoß sein und kein allumfassendes Konzept. Das solche Ideen in einer globalisierten Welt weitere Fragen aufwerfen, ist mir bewusst.

  • D
    D.J.

    Es stimmt schon. Die Rechte speist sich nicht zuletzt aus dem beklagenwerten Zustand der Linken in vielen Ländern. Weniger belehrende Überheblichkeit wäre da von Nutzen. Nur ein akuelles Beispiel: Wenn V. Beck (Grüne) gestern in einer Diskussion (Hart aber Fair) sich darüber emört, dass organiserte Migranengewalt thematisiert wird, und dies damit begründet, dass doch nach wie vor die Mehrheit der Kriminellen Deutsche seien und die Mehrheit der Migranten nicht kriminell, dann ist dies eine Mischung aus Banalität und Arroganz, die leider weit verbreitet ist unter manchen Linken.

    Da eine liberale Gesellschaft eine relativ starke Linke dringend braucht, sehe ich dennoch die Entwicklung nicht mit Schadenfreude, sondern mit großer Sorge.

  • A
    ama.dablam

    Immer wieder schön zu lesen, wenn Journalisten allen möglichen Dritten, meist mehr oder weniger definierten gesellschaftlichen Gruppen (hier: die etablierte Politik, was immer das sein mag) mit geradezu gespenstischer Vorhersehbarkeit "versagen" vorwerfen, und dann selbst nicht mal ein paar fehlerfreie Zeilen hinbekommen...