piwik no script img

Die Knigge-FrageWie wehrt man das Du ab?

Einmal nicht aufgepasst, wird man ab-, um- und weggeduzt. Komisch, dass man ältere Schlipsträger so adressieren soll wie Freunde.

DU hast keine Wahl... Bild: dpa

In einer Zeit virtueller Nähe und hierarchischer Annäherungen, einer Zeit, in der Seehofer und Gabriel einander „der Horst“ und „der Sigmar“ geworden sind, verabschieden sich selbst Versicherungen („Hilft dir immer“) und Banken („Die Bank und Du“) vom Sie. Wie soll man in dieser Zeit, mit tränigen Augen auf den Trümmern der letzten Siez-Bastionen stolpernd, noch mit Anstand ein Du ablehnen?

„Ich freue mich über das Angebot und die entgegengebrachte Wertschätzung, bitte aber um die Chance, Sie noch besser kennenzulernen“, schlägt Hans-Michael Klein vor, Vorsitzender der Deutschen Knigge-Gesellschaft. Das sagt sich hübsch auf, keine Frage. Aber diese Strategie funktioniert nur in einem begrenztem Rahmen.

Man denke sich etwa in ein helles Agenturbüro, Zimmerpflanzen rundherum, die Hand des Geschäftsführers jovial auf der eigenen Schulter, er, dynamisch: „Hi, ich bin Jan, willkommen in unserem Team! Wir können doch Du sagen? Wir duzen uns alle!“ Wohlmeinendes Gekicher ist dem gewiss, der da um Kennenlernchancen bittet.

Ich finde es vollkommen unproblematisch, als Vierundzwanzigjähriger geduzt zu werden. Aber doch sonderbar, wenn ich wie damals im Agenturbüro auf einmal einen Schlipsträger, schweinereich, fünfundzwanzig Jahre älter, genauso adressieren soll wie liebe Freunde, meine Familie und halbwegs gleichrangige Kollegen. Das Du ist nur dann angenehm und sinnvoll, wenn sprachliche und reale Hierarchie annähernd deckungsgleich sind. Ein Du von Herzen hingegen lässt sich jederzeit verschmerzen.

taz.am wochenende

Von wegen 20.15 Uhr: Das Fernsehen, so wie wir es kannten, ist tot. Wie zwei Unterhaltungsprofis versuchen, es wiederauferstehen zu lassen, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 26./27. April 2014. Außerdem: Warum Leipzig das neue Berlin ist. Wie zwei Schulen in der Sexualmedizin um den Umgang mit Transsexuellen kämpfen. Und: Preisgekrönte Fotos von ägyptischen Bodybuildern und ihren Müttern. Am Kiosk, //www.taz.de/!114771/:eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Die Zeit großer Gesten ist jedenfalls vorbei. „Wollen wir uns duzen?“, einst mit ehrfürchtigem Ernst sehnsüchtig angetragen wie ein Heiratsantrag, ist heute nur noch rhetorische Formel. Einmal nicht aufpasst, wird man wider Willen ab-, ein-, um- und weggeduzt. So wie der tragische Protagonist in einem Max-Goldt-Gedicht, der, nachdem er im Buschwindrosenwäldchen vergeblich die Liebe gesucht hat, ungeduscht, geduzt und ausgebuht in einer überfüllten U-Bahn weh nach Hause fahren muss.

Mut zum Konter

Indes zeigen sich Siezerinnen und Siezer total unbeeindruckt: Jeder vierte Deutsche hat nach der Umfrage eines Kaffeeherstellers schon mal ein angebotenes Du abgeschmettert. Eine Heiratsofferte nur jede achte. Gar vierzig Prozent aller über Siebzigjährigen brüstete sich damit, mal einen jungen Duzenden „energisch zurechtgewiesen“ zu haben.

Was nun noch nicht die Ausgangsfrage beantwortet. Wie genau macht man’s am besten, wenn einem ein respektvolles Sie besser von den Lippen geht als ein dahingeheucheltes Du? Simples Zutrauen in die Nehmerqualitäten der Voreiligen: Wer munter rumduzt, der wird ein herzliches „Nein, danke“ verkraften.

Oder Mut zum Konter. Ehrlich und selbstverständlich, festen Blickes und gebügelten Hemdes, fragen: „Wollen wir uns siezen?“

Haben Sie eine Benimm-Frage? Mailen Sie an knigge@taz.deknigge@taz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

22 Kommentare

 / 
  • Zwar ist mir das ranschmeißerische Du bislang kaum einmal begegnet - an die folgende zutreffende Zurückweisung besagter Zudringlichkeit gilt es sich freilich zu erinnern: "Für Dich, Deutschland, immer noch Sie!"

  • 'Du' und 'Sie' ist reine Gewohnheit, nichts anderes. Das hat weder mit Respekt noch Vertrautheit oder Distanz zu tun. Wie erklärt ihr euch sonst, dass es im Englischen, und anscheinend auch im Skandinavischen kein 'Sie' gibt? Und trotzdem sind diese Menschen gewiss nicht vertrauter oder distanzierter mit ihren Artgenossen als Deutsche oder Franzosen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier mit kaum Aussicht darauf, dass sich das mal ändert. Was einmal drin ist, ist drin. Und sei es ein 'Sie'.

    • @bouleazero:

      Kulturelle Geschichte schlägt sich eben in Sprachen nieder. Das Sie gerät in der aktuellen Entwicklung unter die Räder. Und die aktuelle Entwicklung ist eben eine, in der z.B. die Werbung Dich marktschreierisch und distanzlos über das DU invadiert. "Geh jetzt sofort los und hol dir das neue blablabla, DU bist doch nicht blöd". Geht sowas auch mit Sie? Wäre irgendwie unpassend, weil im Sie-Modus ein anderer Grundton herrscht, höfliche Distanz statt Invasion. Sollte eine Kultur das aufgeben oder kultivieren? Mutti hätt sicher gern, dass sich in ihrem Kindergarden alle duzen! Gemeinwam für ein ftarkef Oiroopa!

      • @Undskyldig:

        Schön gesagt!

    • 7G
      738 (Profil gelöscht)
      @bouleazero:

      Ihm Englischen gibt es sehr wohl ein "Sie". Die Engländer und Amerikaner siezen sich nämlich immer. Das vertrauliche "thou" ist ausgestorben.

      • D
        D.J.
        @738 (Profil gelöscht):

        Nicht ganz. Geduzt (thou) wird zuweilen noch Gott. Wobei das selbst den Englisch Sprechenden kaum bewusst ist.

      • @738 (Profil gelöscht):

        das englische "you" entspricht sehr wohl und zweifelsfrei dem "Du", was auch dadurch bestaetigt wird das sich im Englischen die Menschen immer mit Vornamen anreden.

        Ausserdem. wenn du es schon so genau nimmst, muesstest du "you" mit "ihr" oder "euch" uebersetzen.

        • @Raeuber Alibabas:

          Das stimmt leider so nicht. Die Anrede mit dem vollen Vornamen ist durchaus mit dem Siezen zu vergleichen. Erst die abgekürzte Form des Vornanamens ist zwischen Freunden üblich und würde dem deutschen Duzen entsprechen. Den Chef also mit "Robert" anzusprechen, ist noch lange nocht so vertraut, wie es sich für deutsche Ohren anhört. Von seinen Freunden wird Robert nämlich "Bob" genannt, was dann als Zeichen der besonderen Vertrautheit gilt. Das Siezen gibt es auch in mehreren Stufen: Voller Vorname ist sozusagen "Siezen light", Mr./Mrs, bzw. "Sir/Madam" das förmliche Siezen. Also gibt es auf der anderen Siete des Atlantik sozusagen drei Stufen, was die Sache duchaus kompliziert macht.

  • Das damalige Bestätigungsschreiben für mein Taz-Abo begrüßte mich so:

     

    " Wir bei der taz haben beschlossen, alle unsere Leser zu duzen. Solltest Du damit nicht einverstanden sein, dann lies doch bitte ganz einfach dieses Du als Sie.

    Schöne Grüße von

    Deiner taz-Aboabteilung"

  • Ihr täuscht euch, wenn ihr euch einbildet, Siezen hätte grundsätzlich etwas mit Konservatismus zu tun. Tatsächlich geht es beim Siezen um Respekt. Und Respekt gegenüber seinen Mitmenschen und sich gegen den Mainstream oder aufgesetzte Heuchelei zu stemmen ist progressiv!

     

    Es geht ja auch nicht gegen das natürliche "Du", das unter Freunden, bei Kollegen auf gleicher Wellenlänge und bei echter Sympathie völlig selbstverständlich ist und sich von selbst herausbildet. Es geht hier um das aufgesetzte Zwangs-Duzen von Typen, die im Grunde nur verklemmte Spießbürger sind und sich dadurch total hipp geben und anbiedern wollen.

     

    Wieso sollte ich mir bitteschön von solchen Typen ein "Du" vorschreiben oder aufzwingen lassen?

    • @tazzy:

      Tazzy, warum sollte ich mir von Dir ein 'Sie' vorschreiben oder aufzwingen lassen?

      • @bouleazero:

        Vielleicht weil Sie die nötige gute Erziehung mitbringen oder vielleicht, weil Sie die Nähe, die durch das Du ausgedrückt wird, den Menschen vorbehalten, die Ihnen wirklich nahe sind.

    • 9G
      970 (Profil gelöscht)
      @tazzy:

      Exakt - es geht um Respekt und Distanz. Tugenden, die nicht konservativ sind, sondern in vielerlei Hinsicht angemessen.

       

      Ein Geschäftspartner wird z.B. gesiezt, weil man damit die Ernsthaftigkeit des Geschäfts ausdrücken kann. Deshalb ist IKEA auch kein Geschäft, sondern ein Ramschladen, der dies allein in der Kundenansprache deutlich macht!

      • @970 (Profil gelöscht):

        Nun ist IKEA, als eines der erfolgreichsten Familienunternehmen der Welt, weder auf Skandinavischen Sprachen noch auf Englisch auf ein "Sie" angewiesen, egal mit wem sie in der Welt reden!

        Aber die Deutsche Angst und Bequemlichkeit und Faulheit vor Fremdsprachen haben sie schön mit ihrem Post ausgedrückt!

        • 9G
          970 (Profil gelöscht)
          @Axel Munshine:

          Schreiben Sie für den Laden, oder weshalb wird das "erfolgreichste Familienunternehmen" hier so schön betont?

           

          IKEA ist doch einfach zu faul, korrekt zu übersetzen. Und bleibt bequem und ängstlich beim "du", weil's so schön "skandinavisch" ist, Produkte aus China unter diesem Label in die Wohnzimmer der Welt zu pressen.

           

          Angst vor Fremdsprachen? Quod licet Iovi non licet bovi.

  • Ich finde in gewissen Lebenslagen das "Sie" durchaus sehr angebracht. Und im Zweifelsfalle sowieso.

    Während meiner Ausbildung duzten sich natürlich die Azubis und die relativ einfachen Angestellten. Die gehobene Etage wurde gesiezt. Schön für beide Seiten, denn man sagt einfach viel schneller "Du Arschloch/Idiot" als "Sie Arschloch/Idiot". Das "Sie" hat nicht nur mit Respekt zu tun, sondern auch mit Distanz. Und ich möchte nicht mit allen vertraut genug für die Duzebene sein. Das inzwischen sehr ausgeprägte Duzverhalten (auch in der Firma, für die ich derzeit tätig bin), suggeriert eine eigentlich gar nicht vorhandene Vertrautheit nebst Vertrauen. Somit entwertet der Duzwahn die Vertrautheit, wie soziale Foren die Freundschaft (für viele) entwertet haben (jeder Bekannte ist gleich ein Freund, ts, ts, ts). Vertrauen, Vertrautheit und Freundschaft entstehen über längere Zeiträume.

  • Ich bin 29, und der Meinung dass das "Sie" nicht mehr zeitgemaess ist. Respekt laesst sich auf so viele andere Arten ausdruecken.

    Ich kann mir gut vorstellen dass die Mehrheit der unter 40 oder vielleicht gar 50 jaehrigen, dass aehnlich sehn wie ich?!

    Insofern hoffe ich dass die Siez-Form, die auch ein grammatikalischer Albtraum fuer nicht Muttersprachler ist, immer seltener gebraucht wird.

    • 9G
      970 (Profil gelöscht)
      @Raeuber Alibabas:

      Ich hoffe auf's Gegenteil, aber das wirst du auch noch merken, warum Sie hier einem Fehler aufsitzen, der eine sprachliche Besonderheit internationalisieren möchte, die Gestaltungsfreiräume der Kommunikation möglich macht.

    • @Raeuber Alibabas:

      Ich lebe in Dänemark. Hier gibt es kein "Sie". Ich Duze meinen Chef und rede ihn mit Vornamen an. Respekt habe ich aber mehr vor ihm als jemals in Deutschland vor Typen, die sich hinter dem "Sie" versteckten...

      Ich glaube, nicht umsonst sind die Dänen das glücklichste Volk der Welt, und bei erneuerbaren Energien Weltführend!

  • 3G
    372 (Profil gelöscht)

    Das hab ich schon 1997 in der Schule versucht. Unser 68er-Lehrer hats aber uns allen aufgedrückt.

     

    Irgendwie langweiliger Text, der nicht auf taz-szenetypische Dus eingeht, finde ich.

  • Das 'Sie' ist so 2000 and late... das braucht niemand mehr.

  • Echt jetzt, die Anpreisung von "Sie" in der taz mit dem Kniggeratgeber? Noch konservativer geht es ja kaum, CDU-Wähler dieser Welt vereinigt euch!

     

    Wer der Meinung ist, er braucht ein "Sie" um respektiert zu werden, hat wohl ganz andere Probleme. Respekt kann nämlich auch beim per Du herrschen. Man schaue sich auch mal die nordischen Länder an, wo ja auch Lehrer geduzt werden, und ich stelle fest dass dort noch kein Chaos ausgebrochen ist.