: Laib mit Seele
WAS GEBACKEN KRIEGEN Brot selbst zu machen ist mühselig. Das Werk der Bäcker soll „immaterielles Weltkulturerbe“ werden
■ Mehlwurm BioVollkornbäckerei mit Läden in Neukölln, Kreuzberg, Friedrichshain und Moabit. www.mehlwurm.de
■ Beumer & Lutum hat den 1. Platz beim BakerMaker Award für überdurchschnittliche Nachwuchsförderung bekommen. www.beumer-lutum.de
■ Bäckerei in der ufaFabrik, Vollkornbäckerei mit Verkauf auf Wochenmärkten und in ausgewählten Fachgeschäften. www.ufafabrik.de
■ Hofpfisterei, Brot aus Bayern mit mittlerweile neun Filialen in Berlin. www.hofpfisterei.de
■ Die Berliner Innung zeichnet kleine Bäckereien, die noch von Hand backen, mit der „Goldenen Brezel“ aus: www.goldenebrezel.de
■ 90 Rezepte umfasst „Restlos gute Küche“. 14 davon drehen sich um altes Brot als Basis für neue Kreationen, vom Brezenguglhupf bis zum Süßen Brotauflauf. Deutscher Landwirtschaftsverlag 2013, 104 Seiten, 7,50 Euro. (ks)
VON KRISTINA SIMONS
Franz ist gestorben. In meinem Kühlschrank. Gerade mal zwei Brote hat der „Sauerteigstarter“ geschafft, ehe ich ihn habe verkümmern lassen. Franz war mir einfach zu anspruchsvoll. Regelmäßig hätte ich ihn füttern und ihm dann, am Tag vor dem eigentlichen Brotbacktag, noch mal eine Extraportion Mehl (Roggenmehl, Type 1370!) und lauwarmes Wasser (nicht zu warm!) verabreichen müssen. Echte Backliebhaber nehmen ihren Sauerteig sogar mit in den Urlaub, um ihn anständig zu hegen und zu pflegen. Bei mir kam Franz zwischen Beruf und Sozialleben zu kurz. Eine Zeit lang vegetierte er noch in meinem Kühlschrank. Nun hab ich mir ein Herz gefasst und ihn den ewigen Sauerteiggründen übergeben.
Andere lassen sich nicht so leicht entmutigen wie ich, nehmen den Zeitaufwand, den ein selbst gebackenes Brot fordert, gerne in Kauf. Lutz Geißler zum Beispiel. Der Geologe ist Hobbybäcker aus Leidenschaft und betreibt einen eigenen Brotblog. Knapp 500 Rezepte verzeichnet sein Plötzblog (www.ploetzblog.de) mittlerweile, außerdem jede Menge Tipps und Infos rund um Brot und Backchinesisch, Zutaten und Zubehör. Für Geißler ist das Brotbacken ein Ausgleich zum Berufsalltag im erzgebirgischen Untertagebergbau: „Ein ganz einfaches, uriges Handwerk, dessen Ergebnis man am Ende des Tages in den Händen halten kann.“ Angefixt hat ihn vor etwa fünf Jahren sein Vater. „Er hatte zum Frühstück spontan aus einem simplen Hefeteig ganz gut schmeckende Brötchen gebacken. Das wollte ich auch versuchen.“ Heute zählt Geißlers Familie zu seinen größten Abnehmern. „Außerdem Nachbarn und das Tiefkühlfach.“ Er backe zwar nur alle drei bis vier Wochen, dafür aber dann gleich 10 bis 15 verschiedene Rezepte. Seinen Sauerteig hat Lutz Geißler übrigens vor gut vier Jahren angesetzt. „Seitdem ‚füttere‘ ich ihn durch und frische ihn wöchentlich auf.“ Respekt!
Zugegeben: Frisch gebackenes Brot ist eine wahre Freude für Gaumen und Geruchsknospen. Wohl gerade deshalb überkommt mich alle zwei Jahre die Lust am Selbstbacken. Und doch gehe ich jetzt wieder zu meinem Lieblingsbäcker und freue mich an dem kräftigen Roggensauerteigbrot, dessen Mehl bei Windstärke 4 in der Britzer Mühle gemahlen wurde. Ja, es gibt sie noch, die Bäcker, die ihren Namen verdienen. Die nicht nur Aufbäcker sind, lediglich vorgeformte Teiglinge in ihren Backofen schieben und mit fertigen Backmischungen von Berlin über Aachen bis Lübeck das gleiche wenig überraschende Geschmackserlebnis bieten. In Berlin wird zum überwiegenden Teil Industrieware verkauft. „Nur schätzungsweise 20 bis 25 Prozent sind Handwerksbrote“, sagt Hans-Joachim Blauert, Obermeister der Berliner Bäckerinnung und Landesinnungsmeister Berlin-Brandenburg. Die Konkurrenz aus der Backindustrie und vor allem die Backautomaten in Supermärkten und Discountern machen den Handwerksbäckern zu schaffen und zwingen viele kleine Betriebe zum Aufgeben.
Laut Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks haben 2010 und 2011 bundesweit jeweils rund 500 Backstuben dichtgemacht. Mit einem 1.000-Gramm-Laib für 1,99 Euro kann ein Betrieb, der von Hand und nach eigenen Rezepten backt, preislich kaum konkurrieren. Beim Geschmack ist es umgekehrt. Ein Industriebrot habe eben keine schöne scharfe Kruste, die ein richtig gutes Brot für ihn haben müsse, sagt Blauert.
Einen Rettungsversuch hat der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks auf Lager: Er will das deutsche Brot zum „immateriellen Weltkulturerbe“ der Unesco adeln lassen. Ähnlich wie die französische Esskultur oder der argentinische Tango zähle das deutsche Bäckerhandwerk schließlich zur „Vielfalt der lebendigen kulturellen Ausdrucksformen, die unmittelbar von menschlichem Können getragen werden“. Apropos „Ausdrucksformen“: Das deutsche Brotregister (www .brotregister.de) erfasst derzeit exakt 3.002 Brotspezialitäten. Einige von ihnen hören auf so exaltierte Namen wie Saftheini, Deichgraf, Unser Otto 1903, Alter Fritz, Reisbrot Euphoria, Dinkel Deluxe oder Eifelprotz. Na dann!
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