Die Wahrheit: Kaderschmiede, olé!

Coaching tut Not: Wie Béla Réthy, Oliver Kahn und Co. auf die mediale Begleitung der Fußball-WM abgerichtet werden.

Fast ins Gras gebissen, wenn da nicht der Ball wäre: Oliver Kahn nach seinem Coaching. Bild: Alexander Demianchuk/Reuters

Keiner will mehr aus dem Kader fliegen: Gemeinsam bereiten sich die Moderatoren und Kommentatoren von ARD und ZDF auf den Einsatz bei der WM in Brasilien vor. Am Wochenende war unser Reporter live dabei im Trainingslager.

„Ja, es gibt sie, die Proteste gegen die Fifa und die WM, und wir wollen auch darüber berichten. Derzeit befinden sich wieder Zehntausende Brasilianer auf dem Tahrirplatz, sie demonstrieren für … “ – „Cut! Tahrir? Das sind doch die Ägypter, Mensch!“, brüllt Gerhard Delling dem jungen Kollegen Matthias Opdenhövel in die Moderation. „Kein Problem, dafür sind wir ja hier“, schlichtet Reinhold Beckmann, „außerdem sind es die Türken, Anfänger!“

Wir befinden uns auf einem alten Bauernhof irgendwo im Nichts von Brandenburg. Hier finden die Moderationsteams der öffentlich-rechtlichen Sender vor dem Fußballfest in Brasilien ideale Trainingsbedingungen vor. „Der Gebührenzahler erwartet während einer WM rund um die Uhr hochprofessionelle Berichterstattung – und diesmal soll es endlich klappen“, erklärt ZDF-Frau Katrin Müller-Hohenstein und führt uns herum.

Vor einer grünen Wand steht die brasilianische Sängerin und ehemalige DSDS-Jurorin Fernanda Brandao mit HR-Sportchef Ralf Scholt. Die beiden sollen in ein paar Wochen gemeinsam den „WM-Club“ der ARD moderieren. Reglos starren sie sich minutenlang in die Augen, Scholt hat eine schweißnasse Stirn. „Kollege Scholt übt, seiner jungen Mitmoderatorin nicht ins Dekolleté zu blicken“, schmunzelt Müller-Hohenstein und schaut auf die Stoppuhr. Nach knapp sieben Minuten bricht Scholt zusammen, simuliert eine Nackenstarre und wird rausgetragen.

Die Tür zum nächsten Raum ist mit „Videoanalyse – Ruhe bitte“ beschriftet, leise treten wir ein. Im Halbdunkel sitzen vor einem winzigen Bildschirm der ZDF-Experte Oliver Kahn und Moderator Rudi Cerne. Sie schauen eine Livepressekonferenz von Jogi Löw, der Ton kommt mit beinahe unerträglicher Lautstärke aus gewaltigen Boxen. Kahn und Cerne starren konzentriert auf den Boden und machen Notizen. Aus der Tonanlage donnert es „Högschdgschwindichkeyt!“, „Merzähdes!“ und „Drey Achtle Moscht – ich war sturzbetrunke!“.

Was das soll, wollen wir wissen. „Die beiden bereiten sich auf die Interviews mit Löw vor“, erläutert Müller-Hohenstein, man könne den Nationaltrainer mit seinem ekelhaften Dialekt im direkten Gespräch unmöglich verstehen, der Zuschauer im Fernsehen bekomme davon nichts mit, da alle Löw-Interviews von einem Schwarzwälder Dolmetscher live und lippensynchron übersetzt würden. Als Rudi Cerne aus den Ohren zu bluten beginnt und Olli Kahn daraufhin in echter Kahn-Manier den kleinen Fernseher umtritt, ziehen wir uns zurück.

In der ehemaligen Scheune des Hofs haben sich um einen gläsernen Konferenztisch die Livekommentatoren der beiden GEZ-Kanäle versammelt: Wolf-Dieter Poschmann, Béla Réthy, Tom Bartels, Gerd Gottlob, Steffen Simon, Oliver Schmidt und Thomas Wark sitzen da in Jackett und Unterhose, mit ihren Headsets auf dem Kopf. Es riecht nach Deodorant und belegter Zunge.

Poschmann schlägt vor, zum Aufwärmen eine Assoziationskette zu bilden. „Fußball!“, legt er vor, „Leistungssport!“, kommt es sofort aus Gottlob geschossen, „Sportschau!“, kontert Réthy, und der Rest steigt ein: „Beckmann!“ – „Amateur!“ – „Beckmann!“ – „Hochstapler!“ – „Beckmann!“ –„Niete!“ – „Klinsmann!“ – „Löw!“ – „Lahm!“ – „Podolski!“ – „Dummkopf!“ – „Beckmann!“ Schnell beginnen die sieben Männer wild durcheinanderzuschreien. Müller-Hohenstein führt uns ins Freie: „Wie Sie sehen, befinden sich unsere Kommentatoren schon nahe ihrer Höchstform.“

Um den Livekommentar muss man sich also keine Sorgen machen, wohl aber um Sven Voss vom ZDF. Der schmächtige junge Reporter soll in Brasilien aus den Stadien berichten und probt gerade ein Interview mit einem Franz-Beckenbauer-Pappaufsteller, während ihn die ARD-Experten Mehmet Scholl und Giovane Elber aus kurzer Distanz mit dem offiziellen WM-Ball beschießen.

Müller-Hohenstein weiht uns ein: „Hier simulieren wir die widrigen Bedingungen, mit denen ein Rasenreporter vor dem Anstoß während des Aufwärmtrainings der Spieler zu kämpfen hat.“ Die Exprofis Scholl und Elber sind mit Spaß bei der Sache und treffen jeden Schuss. Voss braucht nach kurzer Zeit eine Behandlungspause, kriegt eines seiner inzwischen grünblauen Augen schon gar nicht mehr auf, sein WM-Einsatz scheint fraglich.

„Mit dem Zweiten sieht man besser“, scherzt Katrin Müller-Hohenstein unwiderstehlich und führt uns zum Ausgang. Dort probt immer noch Opdenhövel mit Delling und Beckmann: „Also noch mal: … befinden sich wieder Zehntausende Brasilianer auf dem Maidan, sie demonstrieren für …“ – „Ruf den Netzer an“, resigniert Delling kopfschüttelnd, Reinhold Beckmann zückt sein Handy.

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