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Sauerstoffmangel in der OstseeTodeszone? Kein Problem

Die Todeszonen der Ostsee wachsen. Die Bundesregierung sieht dadurch jedoch weder Meeresbewohner noch Tourismus gefährdet.

Blick auf die Todeszone. Bild: dpa

BERLIN taz | Es sind dramatische Zahlen, die dänische Wissenschaftler kürzlich veröffentlicht haben: Innerhalb von 20 Jahren hat sich die Größe der sogenannten Todeszonen in der Ostsee verdreifacht. Das sind Gebiete, in denen das Wasser so wenig Sauerstoff enthält, dass dort kein Leben möglich ist. In den tieferen Wasserschichten ist das inzwischen auf einem Sechstel der Ostsee-Fläche der Fall.

Wichtigste Ursache des Phänomens ist der starke Eintrag von Nährstoffen: Gülle und anderer Dünger aus der Landwirtschaft wird über die Flüsse in die Ostsee transportiert und reichert sich dort aufgrund des geringen Wasseraustauschs stärker an als in anderen Meeren. Die Nährstoffe fördern das Wachstum von Algen. Bei deren Zersetzung in tieferen Wasserschichten wird der Sauerstoff komplett aufgezehrt. Weil warmes Wasser weniger Sauerstoff aufnehmen kann als kaltes, verstärkt der Klimawandel den Prozess.

Die Bundesregierung sieht den Sauerstoffmangel offenbar nicht als großes Problem. „Durch den Sauerstoffmangel in der Ostsee ist kein Bestand mariner Fische verendet“, schreibt das von Barbara Hendricks (SPD) geleitete Bundesumweltministerium in einer noch nicht veröffentlichten Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion, die der taz vorliegt.

Während Larvenstadien mancher Fischarten durch fehlenden Sauerstoff im Wasser tatsächlich gefährdet seien, könnten ausgewachsene Fische „in aller Regel Wasserkörpern mit geringem Sauerstoffgehalt ausweichen“, meint das Ministerium. Das Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume in Schleswig-Holstein hatte hingegen bereits 2012 von größerem Fischsterben, verursacht durch Sauerstoffmangel, in der Flensburger Förde und der Eckernförder Bucht berichtet.

Kein guter Umweltzustand

Auch für den Fremdenverkehr stellen die Todeszonen nach Ansicht der Bundesregierung kein Problem dar: „Vom seltenen Auftreten abgestorbener Organismen an den Stränden abgesehen sollten Wasserkörper mit Sauerstoffmangel für den Tourismus nicht relevant sein“, heißt es in der Antwort.

Allerdings räumt das Ministerium ein, „dass die Ostsee momentan den guten Umweltzustand nicht erreicht“; dieser wird in einer internationalen Richtlinie definiert. Zur Frage, wie das Problem abgemildert werden soll, verweist Umwelt-Staatssekretär Florian Pronold auf eine geplante Novellierung der Düngeverordnung und nicht näher spezifizierte „Maßnahmenprogramme“, die gemeinsam mit den Bundesländern erarbeitet werden.

Kritik daran kommt von der umweltpolitische Sprecherin der Linken, Eva Bulling-Schröter: Die Programme zum Meeres- und Klimaschutz seien längst nicht ausreichend.

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15 Kommentare

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  • Oooh Leute! Ist es etwa kein Drama, das die historische Küstenfischerei in grossen Bereichen von Kattegat, Belten und Ostsee nur noch reduziert existiert? Das oftmals in Sommermonaten durch Überdüngung etc. das maritime Leben in Küstengewässern weg ist? Respekt vor eurer `biologischen sciencefiction´ und Zahlen... Es gibt Algen die sind `Sulfatatmer´ .. jedoch: wenn die an einem Badestrand auftauchen, dann ist Badeverbot, weil sie auf viele Menschen toxisch wirken...

    • @vergessene Liebe:

      Davon mal abgesehen dass symbiotisch auch höhere Organismen im sulfidstabilen Bereich existieren, das war seit dem Galzial in der Ostsee nicht anders.

       

      Die Sprengstoffrückstände im Wasser und am Strand stören Dich wohl nicht, ganzjährig?

       

      Glück auf!

       

      Karl

  • Welche Fläche hat sich verdreifacht ?

    Ne absolute Zahl würde das Ausmaß so darstellen, dass von einem Drama zu sprechen, erst objektiv abgewogen werden könnte. Nur allein mit Tendenzen läuft man Gefahr, die Sachlage überzubewerten.

    • Malte Kreutzfeldt , Autor des Artikels, ehemaliger Redakteur
      @lions:

      Hallo Anamolie,

       

      Sie haben völlig recht, dass eine Verdreifachung allein wenig aussagt. Darum habe ich am Ende des 1. Absatzes zusätzlich geschrieben, dass (nach der Verdreifachung) nun ein Sechstel der Fläche der Ostsee betroffen ist.

       

      Das schien mir anschaulicher als eine absolute Zahl, die ja auch erst wieder ins Verhältnis zur Gesamtgröße gesetzt werden müsste. Aber wenn Sie absolute Werte bevorzugen: Die Flächen mit sauerstofffreiem Wasser umfassen inzwischen rund 60.000 Quadratkilometer.

       

      Viele Grüße

      Malte Kreutzfeldt

      • @Malte Kreutzfeldt:

        Vielen Dank ! Das laest sich gut verarbeiten. Ich denke, dem taz-Leser ist ein wenig Zahlenwerk durchaus zuzumuten.

  • Hallo - ihr Sulfatatmer -

    zur Ostsee

    (unter Fahrensleuten -

    die überschwemmte Wiese;-)

     

    ein wandelndes Original -

    (nach meiner braunschwagischen Mutter)

    der Fischereibeauftragte des

    Deutschen Reiches - Schiemenz

    stellte für die Ostsee bereits in den 20ernfest,

    - wenn wir mit der industriellen Entwicklung so weiter machen,

    wird der Hering ein begehrter Speisefisch werden. -

     

    dürfte cum grano salis immer noch den Kern der Sache treffen.

    • @Lowandorder:

      Das Belastungsproblem ist altbekannt, es hat sogar noch zugenommen durch die Wunder der organischen Chemie.

       

      Andererseits ist die Ostsee seit dem Yoldia-Meer nie ein Gewässer mit stabilen Sauerstoffverhältnissen gewesen. Und vom baltischen Schild kommen geogen eigenlich genug Schwermetalle um die tieferen Regionen ausreichend zu belasten.

      Das dabei ordentlich Schwermetallsulfide gefällt werden ist zudem noch nicht mal schlecht.

       

      Glück auf!

       

      Karl

  • Um es wissenschaftlich knackig-kurz zu machen:

     

    Wer "Todeszone" schreibt, schreibt Müll! Nur weil in bestimmten Stabilitätsfeldern kein freier Sauerstoff vorkommt, bedeutet dies nicht es gäbe dort kein Leben!

     

    Schon mal von "Sulfatatmern" gehört?

     

    Und ja N-Eintrag ist ein Problem, aus der Landwirtschaft und aus den versenkten Kampfmitteln!

     

    Aber der N-Eintrag ist nur ein Teil des sehr leicht verscheibbaren Gleichgewichts im Ostseewasser.

     

    Nachlesen: http://www.schleswig-holstein.de/UmweltLandwirtschaft/DE/WasserMeer/07_KuestengewMeere/08_Munition/PDF/Bericht_Begleituntersuchung_2009__blob=publicationFile.pdf

     

    http://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=5&cad=rja&uact=8&ved=0CDYQFjAE&url=http%3A%2F%2Fwww.schleswig-holstein.de%2FUmweltLandwirtschaft%2FDE%2FWasserMeer%2F07_KuestengewMeere%2F08_Munition%2FPDF%2Fendbericht_mun_sprengung__blob%3DpublicationFile.pdf&ei=FumdU9fhFOn-4QTd7oHgAQ&usg=AFQjCNGFkGhImSvt19BFwaafyFNmyLyKBQ

     

    Glück auf!

     

    Karl

    • Malte Kreutzfeldt , Autor des Artikels, ehemaliger Redakteur
      @KarlM:

      Hallo Karl,

      danke für den Hinweis. Tatsächlich ist mir die Sulfatatmung aus meinem Bio-Studium noch in Erinnerung. Die spezialisierten Bakterienarten sind zwar auch Lebewesen.

      "Müll" schreib ich aber dennoch nicht. Der Begriff Todeszone wird in Meeren nämlich verwendet, weil dort keine typischen Meereslebewesen vorkommen können. Gleich der erste Satz der Studie, auf die ich mich im Text verwende, nutzt die Bezeichnung "Dead zones": http://www.pnas.org/content/early/2014/03/27/1323156111.full.pdf+html

      Beste Grüße,

      Malte Kreutzfeldt

      • @Malte Kreutzfeldt:

        Sehr geehrter Herr Kreuzfeld,

         

        vielen Dank für die Reaktion. Vorab: Es gibt bis zu symbiotisch lebenden Anniliden durchaus auch höhere Lebewesen in der "Sulfidstabilen Zone"

         

        Darum geht es mir aber nicht. Es ist sachlich falsch, und für ein Paper ziemlich fragwürdig, von Todeszonen zu sprechen wo faktisch keine sind.

        Das von Ihnen freundlicherweise verlinkte Paper hat es ohnehin in sich, auch ohne sachlich falsche Wortwahl. Denn es zeigt wie sich durch die Auswahl von Daten mit völlig unzureichender Messmethodik selbstreferentieller Unfug produzieren lässt.

         

        Um die Problematik dabei zu beleuchten: Schon Pfeiffer (2009) hat darauf hingewiesen, dass es eben nicht ausreicht für die Zustandsbeschreibung ethablierter Messmethoden unreflektiert anzuwenden. Vielmehr muss gerade zum Zustand der chemischen Gleichgewichte in der Wassersäuleder Ostsee die Summe aus gelösten Substanzen und Schwebstoffen betrachtet werden. Denn auch Wasser mit Sauerstoff muss nicht „Gesund“ sein solange sulfatreduzierender Detritus vorhanden ist. Das dürfte insbesondere für sessile Filtrierer nicht hilfreich sein.

         

        Daher liegt auch das pnas - paper aufgrund völlig unzureichender Methoden in der Zustandsbeschreibung erheblich daneben. Was zutrifft, die Stickstoffbelastung durch die Landwirtschft ist um Größenordnungen zu hoch. Und dann liegt da immer noch 1.6 Mio to stickstoffreicher Kampfmittel welche zudem Schwermeltalle und Arsen (Bornholmer Becken) abgeben.

         

        Es gibt Handlungsbedarf, aber mit sachlich klar darlegbaren Inhalten!

         

        Glück auf!

         

        Karl

        • Malte Kreutzfeldt , Autor des Artikels, ehemaliger Redakteur
          @KarlM:

          Hallo Karl,

           

          um mich jetzt auf einen Streit über die Qualität des zitierten Papiers einzulassen, ist mein Bio-Studium denn doch zu lange her...

           

          Ich verlasse mich in solchen Fällen darum meist auf die Qualität der Quelle. Und die ist bei den "Proceedings of the National Academy of Sciences" dann doch recht hoch - neben "Nature" und "Science" gehört PNAS zu den angesehendsten und meist zitierten wissenschaftlichen Zeitschriften, in der alle Artikel natürlich einem strengen Peer-Review unterliegen.

           

          Beste Grüße

          Malte Kreutzfeldt

          • @Malte Kreutzfeldt:

            Sehr geehrter Herr Kreutzfeldt,

             

            es geht mir auch nicht um Streit, nur möchte ich zur Vorsicht mahnen. Allzu schnell wird irgendwelchen Messwerten eine Bedeutung zugesprochen die nur der Theorie nach besteht. Denn lt Untersuchungen nach den "Regeln der Kunst" oder besser dem Stand von Forschung und Technik hatte z.B. das WIWEB, eine Einrichtung der Bundeswehr, nach Sprengstoffrückständen im Wasser der Ostsee gesucht und nichts nachweisen können.

            Dem Bericht von Pfeiffer (2009) habe ich entnommen, dass mit einer angepassten Probenahme die entsprechenden Nachweise doch problemlos möglich sind.

             

            Und eben das die Wirkung der Schwebstoffe nicht vernachlässigt werden darf.

             

            Ähnliche Probleme stellen sich nach meinem Kenntnisstand auch in Grundwasserkörpern auf dem Festland.

             

            Glück auf!

             

            Karl

      • @Malte Kreutzfeldt:

        Danke für die Antwort. Ich lese regelmäßig taz.de, aber ich habe erst wenige Mal erlebt, dass ein Redakteur auch auf Kommentare reagiert.

         

        Nun, vielleicht leiden die Politiker, die meinen solche Todeszonen (sprich ein massiv gestörtes Ökosystem) seien keine Gefahr, ja auch unter Sauerstoffmangel...

    • @KarlM:

      ... der Begriff `Todeszone´ ist sehr passend!

      Als langjähriger Segler in DE/DK Küstengewässern, Buchten und Fjorden geht mir auf den Keks... das, wenn Frau/Mann den Anker hochzieht das ein ekliger schwefliger Gestank des Grundes mit hochkommt. Und wenn jemand mit Taucherbrille auf den Grund taucht, dann sind dort keine Krebse und nur tote Muscheln.. und null Fische!

    • @KarlM:

      Haha... Du darfst dir gerne deine `wissenschaftlichkeit´ aufs Brot schmieren, du Sulfatatmer! :-)

      Ist ja ne Tatsache, das die Küstengewässer der Ostsee... z.B. in DK und DE, die Fjorde und Buchten im Sommer seit Jahren "tot" sind! Das liegt m.E. primär an der Landwirtschaft und an unzureichenden Kläranlagen.

      Ausgewachsene Fische verdrücken sich

      wenn Sauerstoff und Nahrung knapp wird. Aber das sonstige Leben stirbt!