piwik no script img

Wenn der Endreimkönig spricht

Eine Verbeugung vor Horst Tomayer und seinem neuen sexualkundlichen Hörbuch

„Das Glied schmeckt nicht selten nach Ellenbogen oder Lineal“

67 Jahre alt wurde Horst Tomayer am 1. November 2005, und er hat eine wilde Vita auf dem Buckel. Aus kleinen Verhältnissen stammend, lernte er in Oberbayern Versicherungskaufmann. Als er danach den Kriegsdienst verweigerte, taten das in der Bundesrepublik pro Jahrgang gerade mal ein einige Hand voll junge Männer. Er war Pflastermaler in Berlin, wo Wolfgang Neuss ihn entdeckte, für den er als Autor, Sekretär und Lebenshelfer arbeitete. Gemeinsam mit Stefan Aust und Henryk M. Broder machte Tomayer die St. Pauli-Nachrichten, schrieb für den Funk und wurde zu einer Zeit Kolumnist bei Konkret, als Herausgeber Gremliza noch nicht jeden Sektenseppel druckte, wenn der sein Gewürge nur gratis zur Verfügung stellt.

1986 schrieb Tomayer die deutsche Nationalhymne um. Seine Version von Schwarzrotgold beschäftigte die Justiz, zwei Jahre blieb das Buch beschlagnahmt, in dem die dritte Strophe im „Lied der Deutschen“ lautet: „Schleimigkeit und Frust und bleifrei / Für das deutsche Tartanland / Darauf lass uns einen heben / Vorneweg und hinterhand / Schlagstockfrei und Krebs und Gleitcrem / Deutschland, wuchert mit dem Pfund / Kopulier’n im deutschen Stalle / Mutterschaf und Schäferhund.“

Klarer, scharfer Antipatriotismus entspringt ja nicht, wie Nationalisten denunziatorisch behaupten, dem Selbsthass, sondern im Gegenteil einem großmütigen Charakter. Von dem hat Tomayer reichlich. Wenn er in babyzartem a cappella sein „Lied vom Leihmütterlein“ singt, brechen die Dämme kapitalistischer Indolenz: „Hast nicht g’soffen, hast nicht g’raucht / Ein dreiviertel Jahr / Warst die beste im Presswehtraining / Und jetzt gibst mich weg wegen bar / Leihmütterlein, Leihmütterlein / Stoß mich nicht fort / Leihmütterlein, Leihmütterlein / Sei doch mein Hort / Bin doch kein Rindfilet / Von sechs, sieben Pfund / Bin dein Kind, das zur Mutter flieht / Windelnass und wund.“

Auf die Melodie der „Moorsoldaten“ singt Tomayer sein grandioses „Lied der deutschen Rüstungsarbeiter“ in zehn Strophen. Meine liebste geht so: „Dafür haben unsre Väter / Nicht gelitten noch gekämpft / Dass man unsre Forderungen / Wie die Pellkartoffeln dämpft / Ihr Bosse und ihr Kunden / Fünfunddreißig Stunden / Sind genug.“

Horst Tomayer ist mit nichts vergleichbar, er ist ganz eigen. Als Schauspieler wie als Dichter ist er von einer in diesen Berufen ganz seltenen Uneitelkeit und Präzision. Er ist, wie Fritz Tietz einmal sagte, „der weise Mann“. Gemeinsam mit Tietz drehte Tomayer hochkomische Miniaturen für das NDR-Fernsehen, unter anderem ein Stück um die angebliche „SS-Leibwäschestandarte“ Adolf Hitlers, das Bernd Eichinger und Bruno Ganz sich besser angesehen hätten – dann hätten sie ihren Führerschleim stecken lassen.

Als Gerhard Henschel heiratete, bat er Tomayer zu einer kleinen Rede. Tomayer sprach anrührend von den Schrecken der pekuniären Armut, warnte das Brautpaar aber flammend und eindrücklich vor dem einzig wahrhaft Tödlichen, dem „Erlöschen der sexuellen Gier“. Die Eltern der Braut kuckten aus der Wäsche wie Leute, die überhaupt nicht mehr wissen, wie ihnen geschieht. Es war gottvoll, kein blöder Affront, sondern der ehrliche, kluge Ratschlag eines lebenserfahrenen Mannes.

Auf der Bühne ist er schier nicht zu halten. Von der vulkanischen Wucht Tomayers zeugt sein neues Hörbuch „Interessieren Sie sich für Sexualität?“ Der Titel ist genial und zielt aufs Ganze – als ob man die Wahl hätte, sich für Sexualität zu interessieren! Tomayer deklamiert „S.O.S. Fellatio“ – „das Glied schmeckt nicht selten nach Ellenbogen oder Lineal“ –, seine alttestamentarische, heilig zürnende „Fahrraddiebhalsgerichtsordnung“ – „Er dankte ihrs mit trocknem Unterstand, korrektem Pneudruck und manch Extraschmätzchen Öl / Da kam der Fahrraddieb und nahm ihm das Juwel“ – und gipfelt im großen Poem über die Kanzlerwitwe Brigitte Seebacher-Brandt und ihren Bankier Hilmar Kopper: „Und sie ist schon feucht wie Hakle“, er seinerseits „bollert sie gegen die Birke“ und „hackt sie, wie Petersilie / Und wie Schalotten für das Mett“ – das ist Klassenkampf, das ist groß. Keiner sonst tut es, keiner sonst kann es so. Tomayer ist einzig, er ist der politisch humanistische Endreimdichter.

Der sich nicht selbstgefällig im Olymp zurücklehnt, sondern weiß, dass Klugheit und Sprachmacht zu mehr nütze sein können als bloß zu einer Dichterkarriere, wenn leidenschaftliches Mitgefühl sich zu ihnen gesellt. Ermunternd sagt Tomayer seinen Zuhörern: „Sie haben das Zeug zu mehr als Publikum“; man kann hören, dass er zu richtigen Menschen sprechen will, nicht zu abgerichteten Applausmaschinen. „Mit Ihnen könnte man eine neue Welt bauen“, ruft er – wäre Tomayer der Grundstein, es könnte tatsächlich gehen. WIGLAF DROSTE

Horst Tomayer: „Interessieren Sie sich für Sexualität?“. Live im Roten Salon Berlin, Edition Tiamat 2005, 16 €

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen