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DokutheaterMitten im Nichts

Das neue Stück der Theatergruppe Das letzte Kleinod erzählt vom Leben der Seemänner. Das einzige Requisit ist ein Tau. Und gespielt wird in norddeutschen Häfen.

Das Schönste ist das Heimkommen: Szene aus dem Theaterstück "Um uns herum nur nichts" Bild: Jens-Erwin Siemssen

HAMBURG taz | Stell dir vor, du sitzt am Meer, vielleicht auch an einem großen Fluss und siehst die Schiffe vorbeiziehen. Summst vielleicht, ein bisschen verschämt, einen Song von Freddy Quinn. Und träumst ein bisschen vor dich hin, wie das wohl wäre: zur See fahren, endlose Weite, fremde Länder, harte, aber ehrliche Arbeit ... Und dann kommt Jens-Erwin Siemssen daher und erzählt dir mal, wie das wirklich ist.

Das neue Stück von Regisseur Siemssen und der Theatergruppe Das letzte Kleinod heißt „Um uns herum nur nichts“ und handelt vom Arbeitsalltag von Seemännern. Die Uraufführung fand im Binnenhafen von Brunsbüttel statt, in den kommenden Tagen tourt die Aufführung durch ein halbes Dutzend Häfen im Norden.

Gespielt wird direkt am Wasser. Am Donnerstagabend gar so nah am Ufer des Nord-Ostsee-Kanals, dass man fast Angst haben konnte, dass ein paar Schauspieler ins Wasser fallen. Zumindest Andreas Heinrich Kerbs, der den Kapitän spielt und sich dabei schon mal auf einen Pfeiler am Ufer setzt. Mit kraftvoll rollendem russischem R erzählt er, wie das so ist an Bord. Während seine Kollegen nach Griechenland, Holland und den Philippinen klingen.

Und dann sind da noch die beiden Männer aus Eritrea, Flüchtlinge, deren abenteuerlich-schreckliche Reise nach Deutschland wieder eine Geschichte für sich ist.

Nach Theater sieht bei dieser Aufführung außer einer Zuschauertribüne erst mal nichts aus. Keine Scheinwerfer, keine Bühne, nur eine Uferstraße. Und auf der liegt ein langes Tau. Wer schon ein Stück vom Letzten Kleinod gesehen hat, ahnt, dass damit noch was passiert. Solche profanen, geradezu rohen Dinge kommen eigentlich immer vor, wenn das Letzte Kleinod spielt.

Dann klingelt auf einmal ein Telefon, ein Mann, der eben noch neben uns saß, hastet, sich entschuldigend, an den Apparat – und schon sind wir mittendrin. Ein Anruf von der Reederei.

So fängt es immer an. Dann heißt es Abschied nehmen von der Familie, für Monate. Die Männer, die eben noch mitten unter uns gesessen haben, müssen los, auf große Fahrt.

Das Leben auf dem Meer kennt seine Dramen: Da wären die Isolation, die Hierarchien an Bord (die Mannschaft: Filipinos, die oberen Ebenen: Europäer). Kulturelle Unterschiede mischen sich mit Standesdünkel. Der Grieche bekennt, dass er die Filipinos nicht mag.

Da wäre weiterhin die Langeweile. Denn auch Landgänge sind kaum noch drin, heute, wo alles immer schneller wird. Dafür gibt es jetzt an Bord Internet, Computerspiele, Skype-Chats mit der Frau. Auch das ist nicht einfach. Man erzählt sich eh nur, dass alles in Ordnung ist. Nur wir erfahren, wie schlimm das ist, wenn das Kind den Vater immer wieder für einen Fremden hält.

Und dann ist da natürlich noch die harte, ehrliche Arbeit. Gefährlich ist sie oft, nicht nur an Deck. Der Koch verbrennt sich bei schwerem Seegang mit heißem Öl. Ein bisschen Salbe drauf, das muss reichen. Sonst kriegt die Mannschaft nichts zu essen.

Eine hungrige Mannschaft könnte unangenehm werden. Wird schon genug gemosert: kein Gemüse, keine Abwechslung, das Bier bald alle – und Schnaps sowieso verboten. Mitunter erwischt es einen wirklich schlimm. Da muss der Kapitän mit Fernanleitung durch einen Arzt ein paar Finger wieder annähen. Oder der Koch schließt sich versehentlich im Kühlhaus ein, bei minus 20 Grad.

Und was ist davon nun auf der Uferstraße am Nord-Ostsee-Kanal zu sehen? Nichts. Alles. Ein Tau. Das mal hohe Wellen schlägt, ein andermal Spielkonsole und Computerspielfigur ist, mal Brüste und Penis darstellt, ein Kühlhaus mit einer von innen unwiderstehlichen Tür und der gefrorene Schinken, mit dem der eingesperrte Koch gegen die Tür donnert, bis er gerettet wird.

Das Tau ist in diesem auch sehr körperlichen, spielfreudigen Theater auch das, was diese Mannschaft verbindet, zusammenhält und aneinanderkettet, ihr Essen und ihr Rettungsboot.

Währenddessen geht im Hintergrund der Mond auf und über dem Nord-Ostsee-Kanal fahren die Schiffe von Ost nach West. Noch. Der Kapitän entwirft gegen Ende die Zukunft der Seefahrt. Besatzungen, die immer kleiner werden, bis am Ende vielleicht nur noch ein Mann an Bord ist, der Kapitän – oder ein Operator, der auf dem Festland am Bildschirm sitzt und das Gefährt steuert.

Für die einfachen Seeleute geht es um das Nach-Hause-Kommen. Das ist wie ein Lotteriegewinn. Das Schönste überhaupt. Also doch ein bisschen Happy End. Und die Erkenntnis, wie wenig das Theater manchmal braucht, um gleichermaßen zu berühren, zu unterhalten und von der Welt zu erzählen.

„Um uns herum nur nichts“: 12. 7., Schuppen 52 a, Hamburg; 15. 7., Buss-Terminal, Stade-Bützfleth; 17. und 18. 7., Seemannsheim, Emden; 19. 7., Wiesbadenbrücke, Wilhelmshaven; 21. bis 23. 7., Seemannsclub Welcome, Bremerhaven; 25. und 26. 7., Neue Seebäderbrücke, Cuxhaven; jeweils 20 Uhr;

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