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Kommentar nationale IdentitätFußball, Spionage und das Kollektiv

Ines Kappert
Kommentar von Ines Kappert

Deutschlands aggressive Führungsrolle in der Welt wird als Verantwortung ausgegeben. Doch eine dezente Rhetorik ist noch längst keine Bescheidenheit.

Zum Fürchten: Hier hat jemand Deutschland ganz tief verinnerlicht. Bild: dpa

L öws Elf ist Weltmeister, und Deutschlands Medien diskutieren mal wieder die deutsche Führungsrolle in der Welt. Dabei wird „Führung“ rhetorisch zu „Verantwortung“ weichgespült und gefragt: „Soll Deutschland mehr Verantwortung übernehmen?“

Neu ist, dass sich die Regierung erstmals für einen Moment zumindest symbolisch souverän gegenüber den Übergriffen der CIA zeigte und einen wichtigen Amerikaner zur Heimreise aufforderte. Wir haben es mit einer grellen Mischung zu tun: kollektive Identität, Fifa-Fußball und Spionage. Zeit, zu sortieren.

Zunächst ist es bizarr, anlässlich einer so antidemokratischen Veranstaltung wie der WM „nationale Verantwortung“ zu diskutieren, zumindest wenn damit die Sorge für mehr Gerechtigkeit, also Demokratie gemeint ist. Immerhin fußt der Fifa-Fußball auf dem Gegenteil: der Kriminalisierung, Vertreibung und Exklusion der Armen und der Bereicherung der Reichen.

Die Abschaffung der kostengünstigen Stehplätze im einst legendären Maracanã-Stadion ist dafür beispielhaft. Das alles ist bekannt, doch wenn Deutschland seine Identität diskutiert, spielen Fakten keine Rolle mehr.

Demokratie von unten

So wird auch vergessen, dass die Bundesrepublik längst eine internationale Führungsrolle einnimmt, in Sachen Ökonomie. In Krisengebiete werden routiniert Waffen geliefert, und mit Sanktionen etwa gegen Russland hält man sich zurück, was unter anderem Siemens freut. Die Rede von der Bescheidenheit ist also falsch.

Richtig ist, dass die aggressive Verteidigung von Wirtschaftsinteressen mit keiner Großmachtrhetorik verbunden wird. Auf der verbalen Ebene bleibt man dezent, denn diese Geschichtslektion wurde gelernt. Dezenz ist aber etwas anderes als Bescheidenheit.

Was nun könnte ein Mehr an politischer Verantwortung in der Welt bedeuten? Jetzt gilt es, über Geld zu sprechen. Deutschland gibt gemessen an seiner Wirtschaftsmacht verschwindend wenig für den Aufbau von Zivilgesellschaft im Ausland aus. Doch Demokratie von unten ist das einzige Bollwerk gegen Kriege und die Ausplünderung der Gesellschaften durch die Eliten.

Wer will, dass Deutschland für mehr Demokratie in der Welt sorgt, der muss die Regierung fragen: Mit wie viel Prozent vom Bruttoinlandsprodukt unterstützt ihr zukünftig Zivilgesellschaften in und außerhalb Europas? Oder einfach den Mund halten.

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Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.
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7 Kommentare

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  • Nein, Russland hat niemanden getötet in Tschetschenien oder in der Ukraine...

    Klaro, Ihr Freund Putin hat sowas ja auch nicht nötig, der lässt töten. Für sowas hat er seine Freunde, z.B. Kadyrow oder die ungekennzeichneten "Freiheitskämpfer" in der Ostukraine, die merkwürdigerweise russische Waffen im Überfluss besitzen.

     

    Im übrigen sollten Sie sich mal informieren, was Genozid ist, bevor Sie ihren einseitigen und versteckt antisemitischen Unsinn verbreiten.

  • Ich glaube, Frau Kappert hat da etwas verwechselt. Sie wollte doch sicherlich nicht die deutsche Zurückhaltung bei Sanktionen gegenüber Russland kritisieren. Denn die Russen haben niemanden getötet.

    Sie wollte bestimmt eher die Zurückhaltung bei Sanktionen gegen Israel bemängeln, dass fleißig einen Genozid gegen die palästinensische Bevölkerung betreibt.

  • "Mit wie viel Prozent vom Bruttoinlandsprodukt unterstützt ihr zukünftig Zivilgesellschaften in und außerhalb Europas?"

     

    mal wieder der typische Gedanke, dass sowas wie das BIP einfach so vom Himmel fällt oder es irgendeiner, wohl im Süden, strickt... und natürlich für lau und gerne hergibt und nicht, weils abgezwungen wird.

  • Auch ohne einen einzigen eigenen Soldaten fördern die Grossmächte den Krieg. Gerade die gezielte Unterstützung von gewaltbereiten NGOs, Propaganda und Sanktionen sind alles andere als friedlich.

    Deutschland segelte lange im Schatten der USA - was bedeutete, dass Deutschland die Politik der USA übernahm, dabei aber immer ein wenig positiver und weniger aggresiv handelte.

    Wenn Politiker nun fordern, dass Deutschland mehr "Verantwortung" übernehmen soll, bedeutet dies für einige, die Zurückhaltung im Vergleich zu den USA aufzugeben und direkt auf gleicher Linie zu handeln - wie es z.B. Grossbritannien tut. Damit würde die deutsche Regierung viel Reputation in der Welt verlieren.

    Für andere bedeutet dies, sich unabhängig von den USA auf "militärische Abenteuer" einzulassen. Dies würde für einige zu Recht die Alarmglocken für deutsche Grossmannssucht läuten lassen.

    Der einzige Weg kann nur sein, sich stärker positiv von den USA zu emanzipieren: Angriffskriege nicht mitzuführen und im Sinne einer pazifistischen Zurückhaltung zu Gunsten der Menschenrechte kein Militär einzusetzen - auch wenn die Propaganda weismachen möchte, dass nur das Töten von Menschen, die Menschenrechte schützen könne.

    Daneben sollten friedliche und demokratische Bestrebungen stärker unterstützt werden, politisch Verfolgte sollten aufgenommen werden - auch wenn sie von den USA verfolgt werden.

    Hier kann Deutschland positiv mehr "Verantwortung" übernehmen.

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Wie wäre es denn mit "Führung" oder "Verantwortung" für Friedensforschung? So lange nur Mittel für Militärisches ausgegeben werden und Institute wie SIPRI bestenfalls kleinste Krümel abbekommen, so lange ist es keine wirklich sinnvolle Verantwortung, die man übernimmt oder übernehmen will. Und Führung schon gar nicht...

  • In erster Linie gibt Deutschland das Geld im Ausland dumm aus. Von "Hilfe zur Selbsthilfe", also dem Versuch Strukturen zu schaffen, die der Bevölkerung - nicht dem Staat - langfristig helfen oder an sich erlauben sich selbst zu ernähren und wirtschaftliche Unabhängigkeit zumindest in einem Maß zu erarbeiten, das es der Bevölkerung erlaubt auf Gestaltungsprozesse im eigenen Land so zu beeinflussen, dass das Ergebnis allen Bewohnern des jeweiligen Landes dient und nutzt.

  • An deutschem Selbstbewußtsein sehe ich nichts Falsches. Das ist nicht gleich Arroganz. Man kann sich über seine Erfolge freuen und die Schwächen hinterfragen und zu verbessern suchen. Erfreuliche Erfolge im Fußball sind meiner Meinung nach nicht unbedingt die wichtigsten Qualitäten einer Nation. Das sollte man in der Euphorie vielleicht nicht vergessen.