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Die WahrheitDen eigenen Interessen folgen

Kolumne
von Eugen Egner

Mitten in der Nacht zur nächsten Insel übersetzen, weil die Kollegen keine Lust haben zu ermitteln – da hilft nur, ein altes skandinavisches Adventslied.

I n der Nacht zum 22. kam der Funkspruch „Wir haben hier etwas Bewegliches, das eigenen Interessen folgt.“ „Geh doch mal rüber und sieh nach“, trugen meine Kollegen mir auf. Sie fanden, dass ich viel Bewegung brauchte, daher wurde ich dauernd überall hingeschickt. Dass ich dabei nie etwas Effektives auszurichten vermochte, nahm man in Kauf, weil alle anderen zu faul zum Laufen waren.

Also ging ich „rüber“, was bedeutete, mitten in der Nacht von einer Insel zur nächsten überzusetzen. Um meine gegen eine solche Zumutung revoltierenden Nerven zu beruhigen, sang ich das alte skandinavische Adventslied „Schalte aus mein Licht, schalte aus mein Licht, aber das alte Gernsgrölp-Forsthaulen nicht.“ Niemand wusste, was „das alte Gernsgrölp-Forsthaulen“ sein sollte, doch das hinderte mich wenig am Singen.

Als ich auf der anderen Insel ankam, wurde soeben das Nachtlicht ausgeschaltet. Das erschwerte mir das Auffinden des Ortes, an dem ich „nachsehen“ sollte. Es musste ein Gebäude sein, in dem wahrscheinlich eine wissenschaftliche Einrichtung oder so etwas untergebracht war. Meine Berufstätigkeit hatte, wie ich vermutete, auf irgendeine Weise mit Forschung zu tun, allerdings war mir nie etwas Genaueres darüber mitgeteilt worden. Tatsächlich stieß ich früher oder später auf ein Gebäude. Es war sogar das richtige, denn wie ich nach meinem Eintreten sah, wurde ich von Menschen in grauen Kitteln erwartet. Ich hatte das Gefühl, sie zu kennen. Vielleicht war ich früher schon einmal bei ihnen gewesen.

„Na, wo ist es denn, das Bewegliche, das eigenen Interessen folgt?“, fragte ich mit spöttischem Unterton. Peinlich betreten antwortete man mir, es sei augenblicklich nicht auffindbar, werde aber intensiv gesucht. In der Zwischenzeit wollte ich so viele Informationen wie möglich sammeln. „Können Sie mir etwas über die ’eigenen Interessen‘ sagen, die dieses Bewegliche verfolgt?“

Man konnte es nicht. Stattdessen wurden andere Interessen aufgezählt, von denen man irgendwo gehört oder gelesen hatte, unter anderem „Fleisch essen“, „Holz hacken“ und „Unaussprechliches tun“. Doch das brachte mich keinen Schritt weiter. Als hätte ich nichts Besseres, Wichtigeres und Sinnvolleres zu tun gehabt! Viel lieber wäre ich meinen eigenen Interessen nachgegangen. Mürrisch fuhr ich fort, Informationen zu sammeln: Welcherart war das Gebäude, in dem ich mich befand, überhaupt? Die Männer und Frauen in ihren grauen Kitteln wirkten unsicher.

„Schwer zu sagen“, meinten sie, „wir zeigen Ihnen mal den Plan.“ Ich aber war es leid und erwiderte: „Zeigen Sie mir lieber das Bett.“ Wenn man mich schon in tiefster Nacht herüberschickte, wollte ich auch etwas davon haben. Ich kroch unter die Bettdecke und begann, mich in den Schlaf zu singen: „Schalte aus mein Licht, schalte aus mein Licht, aber das alte Gernsgrölp-Forsthaulen nicht.“ Doch bei der zweiten Strophe wurde ich des Umstands inne, dass ich nicht allein im Bett war. Da war etwas Bewegliches, und es folgte eigenen Interessen.

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