Bürgerrechte in Niedersachsen: Polizei will Bock und Gärtner sein
In Niedersachsen ist die „Beschwerdestelle für Bürgerinnen und Bürger und Polizisten“ im Dienst – die CDU findet, die Polizei habe Misstrauen nicht verdient.
HAMBURG taz | Der Polizei und den Christdemokraten ist sie ein Dorn im Auge: die „Beschwerdestelle für Bürgerinnen und Bürger und Polizei“ im niedersächsischen Innenministerium. Die Einrichtung, die momentan mit drei Leuten besetzt ist und im August um noch eine Stelle verstärkt wird, soll als Anlaufstelle für Bürger fungieren, die sich über Belange des Innenministeriums beschweren oder die Arbeit des Ministeriums loben möchten. Zur Zuständigkeit des Innenministeriums gehören die Kommunen, der Sport – und die Polizei, die sich nicht gerne beaufsichtigen lassen möchte.
„Das ist ein Vorhaben gewesen, das wir schon seit Jahren immer wieder versucht haben“, sagt Meta Janssen-Kucz, die niedersächsische Landesvorsitzende der Grünen. Diese haben die „Beschwerdestelle für Bürgerinnen und Bürger und Polizisten“ gegen alle Widerstände durchgefochten – auch gegen den ihren Koalitionspartner SPD.
Die Beschwerdestelle sei längst überfällig gewesen, findet Janssen-Kucz. Immer wieder hätten der Europäische Gerichtshof (EuGH) und Amnesty International darauf hingewiesen, wie wichtig derartige Einrichtungen seien.
Das sieht die Gewerkschaft der Polizei (GdP) völlig anders. Schon dass im Namen der Beschwerdestelle bloß die Polizei ausdrücklich erwähnt werde, suggeriere, dass es vor allem bei der Polizei Anlass zu Beschwerden gebe, sagt Christian Hoffmann, Pressesprecher der GdP. Durch diese Festschreibung werde das Problem unberechtigter Weise auf die Polizei reduziert. „Das ist völlig unnötig, weil uns keinerlei Beschwerden bekannt sind, die nicht ordnungsgemäß abgearbeitet worden sind“, sagt Hoffmann weiter.
Zentrale Beschwerdestellen gibt es in mehreren Bundesländern, etwa in Berlin. Prinzipiell kann man sich aber bei jeder Polizeidienststelle in Deutschland formlos beschweren.
Ein „Polizeibeauftragter“ wird in dieser Diskussion oft gefordert. Dieser würde aus der Sicht der Polizei agieren und als Anlaufstelle für Polizisten und Bürger dienen.
Eine „Polizeikommission“ gab es bis Ende 2001 in Hamburg. Diese hatte eine ähnliche Funktion wie die Beschwerdestelle in Niedersachsen. Nach dem Regierungswechsel von Rot-Grün zu CDU, Schill-Partei und FDP wurde die Polizeikommission sofort abgeschafft.
Christian Pfeiffer, der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, findet, dass die Beschwerdestelle „ein ganz gutes Ventil für Bürger sein könnte, die mit dem Verhalten der Polizei nicht einverstanden sind“. Für die Polizisten selber sei die Beschwerdestelle weniger geeignet. Die Beamten hätten ihre eigenen Dienstwege für interne Probleme.
Gibt's in New York auch
In New York City gebe es so eine Bürgerbeschwerdestelle schon länger. Sie sei eine Art Vermittler zwischen Polizisten und Bürgern. Die Stelle werde sehr gut angenommen – von beiden Seiten. Das habe die Begleitforschung des John Jay College of Criminal Justice ergeben.
Thorsten Abasch, der polizeipolitische Sprecher der niedersächsischen CDU-Fraktion, der selbst 26 Jahre lang Polizist war, sieht in der neuen Beschwerdestelle vor allem eine bürokratische Hürde: „Meine Erfahrung – und die meiner Kollegen – zeigt, dass Beschwerden über Polizisten sich oft mit einem Anruf oder persönlichen Gespräch klären lassen.“
Durch die Beschwerdestelle verkompliziere sich das Verfahren: Wenn in Hannover eine Beschwerde über einen Göttinger Polizisten eingeht, muss diese erst in Hannover bearbeitet werden und geht dann zu dem Beamten in Göttingen zurück. Dieser schreibt eine Stellungnahme, die er wiederum nach Hannover schickt. Sowas kann sich hinziehen.
„Aufregung verfrüht“
Die Gewerkschaft der Polizei und die Christdemokraten plädieren statt der Beschwerdestelle für einen Polizeibeauftragten. Dieser wäre nicht im Innenministerium beim Staatssekretär angesiedelt, sondern vielmehr im Parlament. „Die Zielrichtung wäre eine völlig andere“, sagt Abasch. „Wir wollen vor allem für den Schutz der Polizeibeamten sorgen und für sie eine Anlaufstelle schaffen – und nicht diese, von tiefem Misstrauen geprägte Beschwerdestelle.“ Auf Nachfrage bewertete das Innenministerium eine solche Stelle als nicht sinnvoll, weil in Niedersachsen dieses „Beauftragtenwesen“ so nicht existiere.
„Die Aufregung ist verfrüht“, findet der Kriminologe Pfeiffer. In Sachsen-Anhalt habe es ein ähnliches Modell gegeben, auch dort hätten die Gewerkschaften protestiert. Am Ende habe sich gezeigt, dass die Bürger einen sehr maßvollen Gebrauch von der Anlaufstelle machen. Es gebe zwar Beschwerden, die seien aber nicht so zahlreich wie prophezeit.
Maja Kummer, die Leiterin der neuen Beschwerdestelle sieht die Kritik „sportlich“. Die Juristin betont, dass die Beschwerdestelle für alle Belange des Innenministeriums gültig sei und nicht nur für die Polizei. Es ärgere sie, dass der Fokus des bisherigen Feedbacks so stark auf einem Bereich liege. Unter den bisher 60 Meldungen habe es nicht nur Beschwerden, sondern auch Lob gegeben; und die Beschwerden hätten sich auch nicht nur an die Polizei gerichtet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“