Flüchtlinge: Wohnschiff sucht Ankerplatz
Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele plädiert für neue Lastenverteilung bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Kurzfristige Unterbringung im Hafen nicht möglich.
HAMBURG taz | Die Botschaft von Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) ist deutlich: „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand und wissen kaum, wie wir die Flüchtlinge noch unterbringen sollen“, klagt Scheele eindringlich in einem aktuellen Interview mit der Nachrichtenagentur dpa. 25.000 Flüchtlinge lebten bereits in Hamburg und täglich würden es mehr.
„Wir haben eine wirklich große Überbelegung der Zentralen Erstaufnahme, weil Plätze in den Folgeunterbringungen fehlen“, klagt der Senator. Noch fehlen Scheele nach eigenem Bekunden etwa 4.000 der 10.600 Unterbringungs-Plätze, die die Stadt bis Jahresende einrichten will, und bei 1.600 sei „noch unklar, wie und wo sie entstehen sollen“.
Zelte, angemietete Hotelzimmer, freie Saga-Wohnungen und Wohnschiffe – all das soll helfen, die Lage zu entspannen. Doch gerade die Trumpfkarte Wohnschiffe, für die die Hamburg Port Authority (HPA) seit Monaten händeringend Liegeplätze in den Hamburger Hafenbecken sucht, wird Scheele so schnell nicht ziehen können.
Die HPA habe Scheele, so verlautet aus der Sozialbehörde, in den vergangenen Monaten immer wieder Vorschläge für Liegeplätze unterbreitet, die sich bei näherer Prüfung als nicht realisierbar herausstellten. Mal fehlte jede Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, mal ein naher Supermarkt, dann wieder hatte die Umweltbehörde Bedenken. „Der Aufwand war groß, der Ertrag aber gleich null“, sagt ein Behördenmitarbeiter.
Rund 300 Millionen Euro wird Hamburg in diesem Jahr die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen kosten - doppelt so viel wie ursprünglich geplant.
In Harburg sollen nun doch nicht, wie von der Innenbehörde geplant, Zelte für Flüchtlinge auf dem Neuländer Platz errichtet werden. Stattdessen sollen Flüchtlinge nun auf einer Freifläche am benachbarten Großmoordamm in Zelten untergebracht werden.
Bereits in den 1990er-Jahren hatte die Stadt Flüchtlinge auf drei Wohnschiffen im Hafen bei Neumühlen einquartiert. Die maritime Unterbringung begann 1993 und endete 2006. Statt auf die Wohnschiffe schickte der Senat die Flüchtlinge jetzt ins mecklenburgische Horst.
Nachdem Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) die Angelegenheit an sich gezogen hatte und in einem Telefonat mit der HPA-Spitze Druck machte, legte diese vergangene Woche überraschend eine Liste mit 20 aus ihrer Sicht möglichen Liegeplätzen für Flüchtlingsschiffe vor.
Da sich alle HPA-Vorschläge in der Vergangenheit zerschlagen hatten, hält sich die Zuversicht in der Behörde in sehr engen Grenzen. Die HPA forderte sie auf, die Standorte gemeinsam mit den Bezirksverwaltungen von Mitte, Altona und Harburg auf ihre Tauglichkeit zu prüfen und alle möglichen Einwände genau zu bedenken.
Erst wenn die Standorte die bezirkliche Prüfung durchlaufen haben und die HPA zudem geeignete Schiffe in Aussicht hat, will sich die Sozialbehörde wieder eingehend mit dem Thema befassen. „Das hat derzeit keine Priorität, weil es uns kurzfristig bei der Unterbringung der Flüchtlinge nicht weiterbringt“, wiegelt Behördensprecher Marcel Schweitzer ab.
Da nach Einschätzung der Sozialbehörde die Vorlaufzeit für das Flottmachen eines solchen Schiffes rund anderthalb Jahre dauert, werde „2014 definitiv kein einziger Flüchtling auf einem Wohnschiff untergebracht“ werden, sagt Schweitzer. „Die Prüfungen laufen derzeit, die Überlegungen und Planungen sind noch nicht abgeschlossen“, sagt Sinje Pangritz, Sprecherin der gescholtenen HPA.
Scheele bleibt nichts anderes übrig, als zu fordern, die Lasten zwischen Metropolen und Flächenländern neu zu verteilen und den Schlüssel, nach dem Asylbewerber auf die Bundesländer verteilt werden, zu ändern. Während Hamburg bei der Unterbringung von Flüchtlingen längst an seine Grenzen stoße, würden „in anderen Bundesländern ungenutzte Wohnungen abgerissen oder Schulen geschlossen“, sagt Scheele.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
Solidaritätszuschlag in Karlsruhe
Soli oder Haushaltsloch
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Ringen um Termin für Neuwahl
Wann ist denn endlich wieder Wahltag?
Belästigung durch Hertha-BSC-Fans
Alkoholisierte Übergriffe im Zug