Transatlantisches Handelsabkommen: Das kanadische TTIP steht
Die Regierung in Ottawa verkündet die Einigung auf das TTIP-Abkommen mit der EU. Berlin fordert die Zustimmung der nationalen Parlamente.
EDMONTON/BERLIN taz | Fünf Jahre nach Beginn der Verhandlungen haben sich die EU und Kanada auf einen endgültigen Entwurf für ein Freihandelsabkommen verständigt. Das verkündete die Regierung in Ottawa, ohne jedoch konkrete Details zu den Inhalten des 1.500 Seiten dicken Vertrags zu nennen.
Nach Angaben aus Ottawa gelang den Unterhändlern bereits am Freitag die endgültige Einigung auf einen Text, der nun den 28 nationalen Regierungen der EU-Länder und den zehn kanadischen Provinzen zugeleitet werden soll. Ende September soll das Abkommen namens Ceta in Ottawa von Premierminister Stephen Harper und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso unterzeichnet werden. Bis 2016 sollen es alle Regierungen ratifiziert haben.
Kanada ist der zwölftwichtigste Handelspartner der EU. Nach Schätzungen könnte der derzeit rund 80 Milliarden Euro starke bilaterale Handel durch das Abkommen um fast ein Viertel steigen. Ceta soll 98 Prozent aller Zölle für Güter und Dienstleistungen abbauen, die Exportquoten für Agrarprodukte erhöhen, Unternehmen Zugang zu öffentlichen Aufträgen verschaffen und die Freizügigkeit qualifizierter Arbeitnehmer verbessern. Kanada hofft auf neue Jobs, für die EU ist das Abkommen eine Art Testfall für TTIP, ein ähnliches Abkommen mit den USA.
Zahlreiche Einzelheiten sind trotz der „Einigung“ offenbar nicht gelöst, vor allem das Thema Investorenschutz. Die deutsche Regierung hatte nach massiver Kritik erklärt, sich offenzuhalten, ob sie einer Investitionsschutzklausel zustimmt. Diese würde es ausländischen Firmen ermöglichen, einen Staat an der nationalen Gerichtsbarkeit vorbei vor Sondertribunalen zu verklagen, wenn sie durch eine politische Entscheidung ihre Profite geschmälert sehen. Kritiker sehen darin einen unangemessenen Machtzuwachs für die Industrie und eine Einschränkung der Gestaltungsspielräume der Politik. Ähnliche Klauseln sind auch bei TTIP hochumstritten.
Deutsche Bedenken
Die kanadische Regierung betonte, die Probleme beim Investionsschutz sei bereits vor Monaten „abgeräumt“ worden. Auch die Bundesregierung habe dabei ihre Zustimmung signalisiert. Ob der endgültige Vertragstext den deutschen Bedenken Rechnung trägt, ist jedoch unklar.
Beobachter in Kanada halten es für denkbar, dass der Vertrag Öffnungsklauseln für Länder enthält, die keine Regeln zum Investorenschutz wünschen. Dies würde es auch Deutschland ermöglichen, zuzustimmen. Denkbar wäre es auch, die Macht der Schlichtungstribunale oder die Klagebefugnisse für die Industrie einzuschränken.
Ob solche Regelungen in den Vertrag eingeflossen sind, wollte die Bundesregierung am Mittwoch nicht mitteilen. Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums bekräftigte jedoch die Auffassung, dass der Investitionsschutz bei „Staaten, die über belastbare Rechtsordnungen verfügen“, unnötig sei. Außerdem betonte er, dass nationale Parlamente dem Vertrag noch zustimmen müssten.
Während die kanadische Wirtschaft die Fortschritte begrüßte, kritisierte die Opposition in Ottawa die Geheimniskrämerei. „Leider hat uns die Regierung während der ganzen Verhandlungen im Dunkeln gelassen und die Gespräche im Geheimen und ohne Transparenz geführt“, erklärte die sozialdemokratische Partei NDP. Einen Vertrag, den man nicht kenne, könne man auch nicht bewerten. Das globalisierungskritischen Netzwerk Council of Canadians betonte, für Jubelfeiern sei es noch zu früh. Angesichts der vielen Widerstände in Kanada und der EU könne sich der Vertrag auch noch „in Luft auflösen“.
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