Forderungen an das IOC: Paradiesische Spiele
Sie fordern eine Abkehr von Verschwendung und Gigantismus. Vier Nationale Olympische Komitees haben dem IOC eine „Olympic Agenda 2020“ vorgelegt.
Klingt alles super. Was die vier Nationalen Olympischen Komitees (NOKs) aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und Schweden in der „Olympischen Agenda 2020“ formulieren, kommt in vielen Punkten einem Ideal nahe, das die meisten Bürger von den Spielen haben dürften. Nachhaltig und sozial, ökologisch wie ökonomisch verträglich sollen sie in Zukunft sein.
Die vier Verbände haben die Winter-Olympiaden 2010 bis 2018 analysiert und evaluiert (bei den kommenden Spielen in Pyeongchang nur das Vergabeverfahren) – alle vier Länder waren selbst als Kandidaten in den jüngeren Bewerbungsverfahren um die Winterspiele vertreten. München scheiterte erst am IOC, dann am Votum der Bevölkerung.
Bern zog für die Spiele 2010 und Stockholm für 2022 zurück, Salzburg unterlag gegen Vancouver und Sotschi. Entweder den eigenen Bevölkerungen waren Spiele zuletzt nicht mehr zu vermitteln – oder man scheiterte mit Konzepten, die den Kompromiss zwischen Forderungen des Volkes und denen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) suchten. Deshalb nun also das Mitte Juli vorgelegte Papier, in dem man jene „Agenda 2020“ formuliert – auf die Winterspiele beschränkte man sich auch deshalb, weil sie wegen des Aufwands auf noch mehr Widerstand als die Sommerspiele stoßen.
„Olympische Spiele können nach wie vor positive gesellschaftspolitische Beiträge leisten“, sagte hingegen DOSB-Generaldirektor Michael Vesper bei der Veröffentlichung der Agenda. Es gehe bei einer neuerlichen deutschen Bewerbung unter anderem darum, ein „transparentes und realistisches Bild“ der Kosten für die Spiele zu veröffentlichen.
Zauberwort Transparenz
Sowieso ist Transparenz eines der Zauberworte des 15-seitigen Papiers: Die Budgets sollen demnach öffentlich gemacht werden, genauso sollen aber Kosten, die nicht unmittelbar mit Olympia zusammenhingen, kenntlich gemacht werden. Vesper sprach auch davon, dass die Verträge des IOC mit den Ausrichterstädten veröffentlicht werden müssten. Die erste Bewerbungsphase solle zudem auf ein Minimum reduziert werden, da schon die Bewerbungskosten zuletzt explodiert seien (bei den Winterspielen in Pyeongchang 2018: 34 Millionen Dollar).
Die vier NOKS haben noch mehr gute Empfehlungen parat: Unabhängige Gutachter für die Kosten der Organisationskomitees werden gefordert, mehr temporäre, zugleich mehr bereits vorhandene Sportstätten müssten genutzt werden. Das Konzept von Olympia solle zum langfristigen Entwicklungsplan der Stadt passen.
Die Fragen aber sind ja: Wie soll so eine Kehrtwende vonstattengehen, wenn es zuletzt in allen hier genannten Punkten gegenläufige Entwicklungen gab? Wie soll ausgerechnet unter dem neuen IOC-Präsidenten und Sotschi-Fan Thomas Bach, der bisher nun nicht gerade für einen Kurs wider den Gigantismus stand, ein Wandel gelingen? Und: Was hieße das für die deutschen Bewerbungen?
Großer Reformdruck
Wolfgang Maennig glaubt, der Reformdruck beim IOC für einen solchen Kurswechsel sei inzwischen groß genug. Maennig, ehemaliger Ruder-Olympiasieger, ist Sportökonom an der Uni Hamburg und hat unter anderem Gutachten für die Leipziger Olympiabewerbung 2012 geschrieben. „Ich bin überzeugt, dass das IOC Ende des Jahres eine Agenda verabschieden wird, welche viele der angesprochenen Punkte aufnehmen wird“, sagt er, „und das IOC tut dies auch nicht ganz freiwillig.
Olympia braucht doch inzwischen händeringend frische Bewerbungen aus demokratischen Staaten, mit Unterstützung der dortigen Bevölkerungen. Es gibt sogar entsprechenden Druck von Sponsoren.“ Käme es so, dass bei der IOC-Vollversammlung Anfang Dezember eine solche Agenda durchkommt, könne dies einer deutschen Bewerbung nur nützen. Entsprechend sehe er auch Bachs Rolle – der könne zukünftig gar nicht anders, als solche Initiativen zu begrüßen und explizit zu fördern. Schließlich sei bisher noch keine einzige Volksbefragung positiv ausgegangen.
Im Hinblick auf die „Agenda 2020“ darf man trotzdem skeptisch bleiben; nicht nur, weil von einer Abkehr des wenig sozialverträglichen Massenspektakels zuletzt nichts zu spüren war, sondern auch, weil die NOKs ihre Forderungen gegenüber dem IOC doch sehr devot formulieren. „Diese Initiative soll nicht als Kritik verstanden werden, sondern nur als Basis für Diskussionen“, heißt es etwa im Vorwort. Von Ländern, die mit ihren Städten trotz teilweise nicht schlechter Bewerbungen (München, Salzburg) krachend gescheitert sind und dann Sotschi miterleben durften, könnte man zumindest etwas mehr Chuzpe erwarten.
An der Bevölkerung vorbei
Aber wie viel Einfluss haben denn die vier NOKs überhaupt? „Es sind vielleicht – von Deutschland abgesehen – eher die NOKs kleinerer Länder, aber sie sprechen ja im Namen von vielen“, meint Maennig. Ihm fehle in dem Vorstoß der NOKs aber noch ein klareres Bekenntnis zur Teilhabe der Bevölkerung: „Die Partizipation kommt mir zu kurz. Die deutschen Bewerbungen sind letztlich immer daran gescheitert, dass man die Bevölkerung nicht richtig hinter sich bringen konnte.“
Noch habe man wenig daraus gelernt, man gehe das Prinzip Partizipation allenfalls halbherzig an: „Unsere Eliten in Politik, Verwaltung und Sport brauchen einen Bewusstseinswandel. Weg vom Gefühl der omnipotenten Gestaltungsfähigkeit hin zu einer Rolle der wohlwollenden Unterstützung einer Vielzahl von unterschiedlichen Akteuren, Interessen und Initiativen.“
Sollen so die Spiele der Zukunft aussehen, müsste aber auch das IOC die Selbstreinigungskräfte aufbringen, die die vier NOKs hier beschwören. Davon sind aber bei Weitem nicht alle überzeugt – der Sportphilosoph Gunter Gebauer etwa sagte kürzlich gegenüber dem Tagesspiegel, so wie sich die Fifa als imperialer Herr in Brasilien aufgespielt habe, „würde das Internationale Olympische Komitee es in Deutschland auch machen.“ Mit dieser nun vorliegenden Agenda 2020 wäre das zumindest nicht vereinbar.
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