Pilzesammler über Pfifferlinge und Enoki: „Suchen macht süchtig“
Um Stress abzubauen, geht Johannes Emken das ganze Jahr über Pilze sammeln. Wo man sie findet und warum sie sich manchmal verbergen.
taz: Herr Emken, wird 2014 ein gutes Pilzjahr?
Johannes Emken: Es sieht vielversprechend aus. Wir hatten Anfang August schon eine sehr gute Pfifferlingssaison. Aber wenn der September sehr trocken wird und wärmer, als sich der Pilz das wünscht, kann sich alles wieder ändern. Sie sollten sofort Pilze suchen gehen. Die Bestände sind jetzt Ende August schon sehr gut.
Und was lässt sich da finden?
Hier im Berliner Raum im Wesentlichen Steinpilz, Pfifferling und Maronen. Auch ein paar Täublinge. Nah um die Hauptstadt ist die Vielfalt nicht so groß, anders als in der Uckermark oder in der Schorfheide, wo die Diversität der Bäume höher ist.
Gibt es in Deutschland denn ein El Dorado für Pilzsammler?
Jeder hat sein eigenes vor der Haustür. Aber wenn sich jemand vornimmt, zum Pilzsammeln in den Schwarzwald zu fahren, ist das sicher nicht verkehrt. Die Höhe spielt eine Rolle. Die Pilze kommen in der dünneren Luft besser raus, scheint mir.
Sammeln Sie eigentlich schon seit Ihrer Kindheit Pilze?
Nein, ich habe erst vor drei Jahren angefangen, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Zuerst habe ich ein paar Führungen des Nabu mitgemacht. Vieles habe ich mir dann angelesen. Und wie es mit dem Suchen meistens ist, das kann leicht süchtig machen. Das hat die deutsche Sprache schon ganz richtig verstanden.
39, ist Koch und Kulturwissenschaftler. Er betreibt das Bio-Catering-Unternehmen Organiced Kitchen in Potsdam und bekocht auf Veranstaltungen mit seinem Team 10 bis 1.200 Personen. In seiner Freizeit gärtnert er.
Es ist also die Suche selbst und nicht der Geschmack, der Sie beim Pilzesammeln fasziniert?
Es ist der Ausgleich. Ich habe immer viel zu tun, aber wenn ich in die Pilze gehe, ist der Stress in einer halben Stunde weg. Und wenn ich besondere und neue Exemplare entdecke, dann ist das wunderschön – egal, ob sie essbar sind oder nicht.
Der Schriftsteller Michael Pollan schrieb, es sei eigenartig: Wenn man zu intensiv nach Pilzen Ausschau hält, dann verbergen sie sich eher.
Die Perspektive ist tatsächlich wichtig. Ich gehe oft mit meinen Jungs sammeln, die sind nur halb so groß wie ich und sehen ganz andere Pilze. Ich dagegen trete auf die, die vor mir stehen, sehe aber alles, was drei Meter entfernt ist. Was sich immer lohnt, ist umzukehren. Da finde ich oft Exemplare, die mir auf dem Hinweg verborgen waren.
Gibt es denn Pilze, die sich vor Ihnen verstecken?
Spitzmorcheln. Es ist wie verhext. Ich weiß, was ich tun muss, um sie zu finden: Sie wachsen häufig in Parkauen, mögen Stellen, wo geholzt wurde und noch viele Späne liegen. Ich habe dafür schon bei Förstern angerufen, aber trotz aller Vorrecherchen immer Pech gehabt.
Warum gerade Spitzmorcheln?
Weil sich das Pilzjahr nicht nur auf Juli bis Oktober beschränken soll. Es gibt hervorragende Winter- und Frühjahrspilze. Und die ersten schönen Pilze im Frühjahr sind eben die Spitzmorcheln.
Das heißt, man kann das ganze Jahr über in die Pilze gehen?
Natürlich. Der Austernseitling etwa mag den Frost. Genauso wie der Winterrübling, auch bekannt als Enoki, der in Massen an den Bäumen wächst. Er ist mir aber noch nicht begegnet. Auch das Judasohr soll im Winter besser zu finden sein. Das ist ein Pilz, den man vor allem aus der chinesischen Küche kennt, der aber auch in Deutschland wächst. Im Frühjahr geht es gleich weiter, etwa mit dem Mairitterling. An den habe ich mich bisher noch nicht rangetraut. Dieser Ritterling ist ganz leicht mit dem Risspilz zu verwechseln, der auch schon so früh im Jahr vorkommt. Und der ist ziemlich giftig.
Was halten Sie von der Faustregel: Nimm alles, was Poren hat und lass die Lamellen stehen – damit man sich als Pilzneuling beim Abendessen nicht vergiftet?
Mein Nachbar sammelt nach diesem Rezept und das schon seit seiner Kindheit. Aber er kann keinen modernen sensiblen Magen haben wie die meisten von uns. Es stimmt schon, es gibt unter den Porlingen weniger Arten, die richtig giftig sind. Aber dafür schmecken nicht alle Porlinge so gut wie der Steinpilz. Und einige lösen mindestens Unverträglichkeiten aus.
Eine Frage an den Koch: Sind Steinpilze überschätzt?
Richtig zubereitet sind die schon toll, etwa leicht in Olivenöl geschwenkt mit Kräutern, etwas Zitrone und vielleicht noch Parmesan. Aber ein Rührei mit Pfifferlingen oder Krauser Glucke – das ist für mich ein Traum.
Das sind Ihre Favoriten?
Auf jeden Fall. Und Herbst- oder Totentrompeten mit diesem leichten Anisaroma.
Aber dafür muss man in den Wald?
Dass Krause Glucke gezüchtet wird, habe ich noch nie gehört. Aber sie ist nicht so schwer zu finden. Der Pilz sieht aus wie ein Hirn und wächst oft an den gleichen Stellen. Nur das Putzen ist aufwendig. In den Fruchtkörper sind oft viele Nadeln eingewachsen. Herbsttrompeten allerdings gibt es häufig in getrockneten Varianten.
Sie verwenden als Pilzsammler auch Trockenpilze?
Klar. Pilze verlieren beim Trocknen kein Aroma, eher im Gegenteil. Nur die Konsistenz ändert sich. Wenn man sie wieder aufweicht, werden zum Beispiel Maronen schleimig-glibberig, ein bisschen wie Muscheln. Das mögen viele Leute nicht. Deshalb ist es oft besser, die getrockneten Pilze zu mahlen und einfach über das Essen oder in die Soße zu streuen.
Weil auch frische Pilze dabei schwammig werden, sollte man sie nicht mit Wasser putzen, heißt es. Wie handhaben Sie das?
Die wichtigste Grundregel beim Sammeln ist, den Pilz so gut vorzuputzen, dass er andere Pilze nicht dreckig macht. Damit kommt man schon weit. Aber wenn sich nach einem schweren Regen der Sand in den Kanälchen festgesetzt hat, was soll man dann mit Pfifferlingen anderes machen als sie zu waschen?
Was halten Sie von dem Rezept, ein paar Löffel Mehl ins Waschwasser zu geben?
Mehl hat die entgegengesetzte Wirkung zu Spülmittel. Es verändert die Oberflächenstruktur des Wassers so, dass es unter den Schmutz greifen kann und nicht so leicht in den Pilz eindringt. Aber nass werden die Pilze trotzdem. Ich wasche Pfifferlinge mit Mehlwasser nur im Restaurant bei größeren Mengen und trockne sie anschließend wieder.
Und zu Hause?
Wenn sie sehr dreckig sind, gehen sie schnell durchs Wasser und dann gleich in die Pfanne. Aber ehrlich gesagt: Dass es ab und zu zwischen den Zähnen knirscht, gehört für mich dazu.
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