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Debatte MedikamenteDer Preis der Gesundheit

Was sind die Kriterien für eine effiziente Pille? Die Debatte darf nicht den Krankenkassen und der Pharmaindustrie überlassen werden.

Hepatitis-C-Medikament Sovaldi: 700 Euro pro Tablette. Bild: ap/Gilead Sciences

Leben und Gesundheit, das ist hierzulande gesellschaftlicher Konsens, haben einen hohen Wert. Deshalb sollte auch die gesundheitliche Versorgung nicht vom Geldbeutel abhängen. Aber kann das heißen, dass die Kosten der Medizin gar keine Rolle spielen, dass jeder alles bekommt, was irgendwie medizinisch notwendig oder zumindest hilfreich ist?

Irgendwo muss da eine Grenze sein – jedenfalls dann, wenn uns in einer alternden Gesellschaft und angesichts des medizinischen Fortschritts die Gesundheitskosten nicht über den Kopf wachsen sollen. So falsch es zunächst klingen mag: Wir müssen auch über den Preis reden, den wir für unsere Gesundheit zu zahlen bereit sind.

Aktuell hat der Pharmahersteller Gilead für sein neues Medikament Sovaldi, das als echter Fortschritt in der Behandlung von Hepatitis C gilt, 700 Euro pro Tablette aufgerufen. 700 Euro für eine einzige Pille. Was rechtfertigt eine solche Summe? Und: Sollten wir sie wirklich bezahlen?

In dieser Situation liegt es nahe, den medizinischen Nutzen einer Maßnahme mit ihrem Preis in Beziehung zu setzen: Ist der Nutzen X so groß, dass er den Preis Y rechtfertigt? Tatsächlich hatte der Gesetzgeber für neue Arzneimittel eine derartige Kosten-Nutzen-Bewertung zunächst eingeführt: Ab 2007 sollten der Gemeinsame Bundesausschuss und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) den Nutzen neuer Medikamente bewerten und anhand dieser Bewertung einen Höchstbetrag vorschlagen, den die Versichertengemeinschaft dafür zu zahlen bereit ist. Das war ein revolutionärer Schritt, denn zuvor durfte die Pharmaindustrie in Deutschland ihre Preise frei festlegen – und die Krankenkassen mussten ihn bezahlen.

Gesundheitsökonomische Standardmodelle

Alsbald zeigte sich aber, dass Kosten-Nutzen-Bewertungen eine heikle Angelegenheit sind. Denn: Was soll, was darf die Heilung einer Krankheit kosten? Was eine durchschnittliche Lebensverlängerung um drei Monate? Und muss man, um beim Beispiel Sovaldi zu bleiben, die Behandlung der Hepatitits C mit einer Krebstherapie vergleichen? Kann man für unerwünschte Nebenwirkungen einen Preisabschlag einrechnen? Vielleicht auch für die Behandlung älterer Patienten, die eine geringere Restlebenserwartung haben?

Der Autor

Stefan Huster ist Professor für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie an der Ruhr-Universität Bochum und geschäftsführender Direktor des dortigen Instituts für Sozial- und Gesundheitsrecht.

In den gesundheitsökonomischen Standardmodellen zur Feststellung der Zahlungsbereitschaft wird all dies ernsthaft erwogen. Nur die deutsche Gesundheitspolitik mochte es bislang nicht diskutieren. Mit einer Diskussion über die monetäre Bewertung von Lebenszeit und -qualität, so viel ist sicher, lässt sich keine Wahl gewinnen.

Das IQWiG erfand daher ein recht eigenwilliges Konstrukt namens „Effizienzgrenze“. Danach darf – sehr vereinfacht gesagt – ein neues Medikament, das um 10 Prozent besser ist als das bisher verfügbare Mittel, auch 10 Prozent mehr kosten. Das erspart zwar schwierige indikationsübergreifende Vergleiche, hat aber den Nachteil, dass man sehr stark am jeweiligen Preisniveau hängt. Anders gesagt: Wo es keine Patente mehr gibt und die Preise im Keller sind, lohnen sich weitere Forschung und Entwicklung kaum mehr. Mit einem Aufschlag auf den Preis von Aspirin lässt sich keine Medikamentenentwicklung finanzieren.

In der Folge gab es einen heftigen gesundheitsökonomischen Grundsatzstreit, der maßgeblich dazu beigetragen hat, dass das Verfahren der Kosten-Nutzen-Bewertung nie in Gang gekommen ist. 2011 wurde dann unter der damaligen schwarz-gelben Regierung ein anderes Modell eingeführt: Aufgrund einer frühen Nutzenbewertung wird der Preis neuer Medikamente nun zwischen dem pharmazeutischen Unternehmen und den Krankenkassen ausgehandelt; können sie sich nicht einigen, entscheidet eine Schiedsstelle. Damit ist die Politik entlastet, weil nun nicht mehr offen über die Kriterien der Preisbestimmung geredet werden muss, sondern alles in das Dunkel der Verhandlungshinterzimmer versenkt worden ist.

Ausschluss hochpreisiger Medikamente

Wer jetzt mit den Schultern zuckt und behauptet, es stehe ja nicht viel auf dem Spiel, weil es schließlich nicht um den Ausschluss hochpreisiger Medikamente von der Versorgung gehe, sondern nur um die Angemessenheit ihrer Preise, der irrt: Ist das pharmazeutische Unternehmen mit dem Preis nicht einverstanden, kann es nämlich das Mittel komplett vom deutschen Markt nehmen. Dies ist auch bereits geschehen, wenn auch nur in Fällen, in denen der Zusatznutzen begrenzt oder unklar war.

Höchstwahrscheinlich werden die Krankenkassen alles tun, um den Wegfall eines echten Behandlungsfortschritts zu vermeiden – aber auszuschließen ist das nicht. Stellen wir uns nur einmal vor, die Preisverhandlung für Sovaldi scheitert und das Mittel geht vom deutschen Markt – der Aufstand der 300.000 Träger des Hepatitis-C-Virus in Deutschland wäre programmiert. Reichte es dann noch aus, auf die Pharmaindustrie zu schimpfen? Müsste man nicht auch das Preisangebot der Krankenkassen genauer unter die Lupe nehmen?

Spätestens dann stünde eine politische Diskussion an, was wir eigentlich für einen medizinischen Zusatznutzen zu zahlen bereit sind. Und erst recht, wenn wir das Verfahren der Kosten-Nutzen-Bewertung auf andere Versorgungsbereiche und -maßnahmen ausdehnen wollten, etwa Medizinprodukte oder neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Wer dies – mit guten Gründen – fordert, müsste auch sagen, wie denn die heiklen Fragen beantwortet werden sollen. Und vor allem: wer sie beantworten soll.

Dass ein wissenschaftliches Institut wie das IQWiG den angemessenen Preis berechnen kann, hat sich jedenfalls als gesundheitspolitisches Wunschdenken herausgestellt: Was uns Gesundheit wert ist, ist eine normativ-politische, keine wissenschaftliche Frage. Aber sind wir bereit, diese Frage zu besprechen und zu entscheiden? Im Bundestag? Oder in den Gremien der gesetzlichen Krankenversicherung? Es wird hier keinen Fortschritt geben, solange unsere Diskussionsbereitschaft noch geringer ausgeprägt ist als unsere Zahlungsbereitschaft.

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