Schwieriges Erbe: Die Villa Flath sah viele Bewohner
Seifenfabrikantensitz, jüdisches Kinderheim, Domizil eines vermutlich nazifreundlichen Künstlers: Bad Segeberg wird das Haus einfach nicht los.
BAD SEGEBERG taz | Eigentlich war immer Leben in diesen Mauern. Lautes und junges Leben, und das ist eine Ehre für ein feines, aber unscheinbares Haus, das schon so viele Jahre auf dem Buckel hat. Denn so richtig repräsentativ ist sie nicht, die Villa Flath. Dezent moosfarben, mit Landhaus-artigen Adrett-Giebeln liegt sie oberhalb des Bad Segeberger Sees – ein Beispiel norddeutschen Understatements. Nur der Schriftzug „Villa Flath“ am Giebel stört ein bisschen.
Denn der Bildhauer Otto Flath, der hier 1939 einzog, war weder der erste noch der wichtigste Bewohner. Erbaut wurde das Haus 1893 für den Seifenfabrikanten Johann Wilhelm Wittmack. 1908 vermietete der Nach-Nachbesitzer die Villa an die jüdische Sozialpolitikerin Sidonie Werner, die dort ein Erholungsheim für bedürftige jüdische Kinder betrieb; 1918 kaufte der von ihr mitgegründete Israelitisch-Humanitäre Frauenverein Hamburg die Villa und nannte sie seit 1920 „Sidonie Werner“-Haus.
Das Ende kam abrupt: 1938 übergaben die Nazis alle jüdischen sozialen Einrichtungen an Nichtjuden und erzwangen die Auflösung des Israelitisch-Humanitären Frauenvereins, der notgedrungen an die Stadt verkaufte. Es passierte das Übliche: Der von Nazis dominierte Gemeinderat fand die geforderten 32.000 Reichsmark zu hoch und drückte den Preis um ein Drittel.
Wer in den folgenden Monaten in der geräumigen Villa mit den hellen Holzböden wohnte, ist unklar; vielleicht waren es NS-Granden. Aber wie dem auch sei, im April 1939 bot der Segeberger NS-Bürgermeister Hans Koch dem befreundeten Marineoffizier Willy Burmester die Villa für 14.000 Reichsmark an – ein echtes Schnäppchen.
Burmester griff zu. Und er kam nicht allein. Er brachte seine Frau Emma und seinen Pflegesohn, den Bildhauer Otto Flath mit; fortan beherbergte die Villa eine bizarre Ménage à trois. „Emma Burmester hat Flath immer aus der Bibel vorgelesen“, sagt Dieter Schmidt von der Flath-Stiftung. „Und nach ihrem Tod durfte Flath dann auch eine Freundin haben.“
Mehr erfährt man nicht, aber man weiß, dass Emma Burmester eine Mystik vertrat, die sich zwischen Erlösungsreligion, Geheimorden und Theosophie bewegte. Sie scheint Flath in der Nazizeit auch darauf gebracht zu haben, dass das Altarschnitzen ein lukrative Sache sei.
Das stimmt, wurden doch zwischen 1933 und 1945 in Deutschland über 500 Kirchen gebaut. Und die NS-Ideologie passte gut zu Emma Burmesters Mix aus Erlösungs- und Geniekult. Ihrem Mann war’s recht: Er war zwar nicht nachweislich in der NSDAP, hat aber 1952 versucht, sich – Entschädigung für den Spottpreis der Villa – vor Nachzahlungen an die Jewish Trust Corporation zu drücken, indem er dem Kieler Finanzministerium schrieb, er habe das Anwesen verwahrlost übernommen. Zahlen musste er trotzdem.
Auch Otto Flath ist bislang keine Parteimitgliedschaft nachgewiesen worden. Aber es spinnt sich doch eine Aura des Opportunismus um die so harmlos daliegende Villa. Um ihren Bewohnern aber eine NS-freundliche Gesinnung nachzuweisen, müsste man einen Indizienprozess führen. Flath, sagt Stiftungsmitglied Schmidt, habe sich ihm gegenüber nie politisch oder gar antisemitisch geäußert: „Er war ein stiller Mensch und ganz bestimmt kein Nazi.“ Flath habe vielmehr unermüdlich in der Werkstatt im Hof gearbeitet, habe aus Ulmen-, Linden- und Kastanienstämmen Figuren geschält.
Anfangs waren das Verarbeitungen seiner Kriegsgefangenschafts-Traumata: verschreckte, verschleierte, fliehende Menschen. Ab Mitte der 1930er-Jahre wurden es kantige, norddeutsch-expressionistische Gestalten, die gut zum Germanenkult der Nazis passten. Es sei klar, „dass sich Flath nicht in Opposition zum Dritten Reich befand“, sagt Arie Hartog, Chef des Bremer Gerhard-Marcks-Hauses. Wenn man zudem bedenkt, dass sich Flath in der NS-Zeit gezielt um Aufträge für Kirchenaltäre bewarb, fällt es schwer, an eine unbewusste Verwendung damals „üblicher“ Formen und Motive zu glauben.
Für die Lübecker Lorenzkirche zum Beispiel hat er 1938/39 eine Kreuzgruppe geschaffen, die mit christlichen Sehgewohnheiten arbeitet, aber Wesentliches verändert: Am Kreuz hängt kein leidender Jesus, und darunter stehen nicht etwa Jesusmutter Maria und der Jünger Johannes – sondern Großeltern, Eltern, vier Kinder. Der Vater gibt dem Sohn ein Schwert, gemäß NS-Ideologie die ideale „deutsche Familie“. Es gibt weitere Beispiele in Norddeutschland und Dänemark, Flath hat ja 40 bis 50 Altäre geschaffen und verkauft. Einige der Pastoren haben die Flath-Altäre allerdings inzwischen in Seitennischen geschafft.
Und die Bad Segeberger? Die haben Flath, der auch nach dem Krieg gut verkaufte, die Ehrenbürgerschaft verliehen und eine Straße nach ihm benannt. Seit über 30 Jahren finanzieren sie außerdem ein Ensemble aus der erwähnten Villa und einer Ausstellungshalle samt Anbau. Das alles in Form einer kommunalen Stiftung, bezuschusst jährlich mit 20.000 bis 45.000 Euro.
Wie das zuging? Ganz einfach: Das Ehepaar Burmester trat die Flath-Werke 1977 per Überlassungsvertrag an die Stadt ab. Die verpflichtete sich, die Werke einer künftigen Otto-Flath-Stiftung zu überlassen und der Stiftung ein dauerndes Nutzungsrecht am Grundstück zu gewähren. Seither stehen mehrere schmucklose Zweckbauten der 1960er -und 1970er-Jahre hinter der Villa. Genannt wird das Ganze „Kunsthalle Otto Flath“, zu sehen sind 3.500 Plastiken sowie 10.000 Aquarelle und Zeichnungen. Das alles – nordisch herbe Christusfiguren, weibliche Engel oder Genien, Trauernde – steht vor-, hinter-, übereinander als ein Wald von Kunst.
Über Flaths Gesinnung sprachen die Segeberger in all den Jahren nie, gilt er doch als unantastbarer Lokalmatador. Ins Obergeschoss der Villa zog derweil die Musikschule ein, im Untergeschoss gibt es Ausstellungen.
Soweit, so engagiert, aber wer besucht die Otto-Flath-Kunsthalle? Nun ja, immer weniger, 500 im Jahr wären viel. Und da Besucherquantität für manchen Politiker ein Kriterium ist, sann Bürgermeister Dieter Schönfeld (SPD) kurz nach Amtsantritt auf Entlastung: 2009 hat er der Uni Kiel – vom 1987 verstorbenen Flath als Ersatzerbin benannt – den Nachlass angeboten. Aber die Uni wollte nicht.
Wer aber das Grundstück wollte, war die Kassenärztliche Vereinigung (KV). Sie residiert neben der Flath-Villa, und als die Stadt einen Verkauf ins Gespräch brachte, sagte die KV ja. Man brauchte ohnehin Tagungs- und Büroräume, und die Villa nah am See – das wäre was Repräsentatives.
Allerdings, die Halle im Hof müsste für einen Bürobau abgerissen werden. Das aber widerspräche der Stiftungssatzung. Also schlug der Stiftungsrat Alarm, Segebergs Kunstszene startete Petitionen: Wohin im Verkaufsfall mit der Kunst? Das wusste niemand, die Gerüchte waberten: Mal hieß es, der Bürgermeister habe ein feuchtes Kellerverlies angemietet. Dann wieder soll ein Stadtvertreter für eine „Kettensägenlösung“ plädiert haben.
Die Diskussion zog sich, und irgendwann sagte die Kassenärztliche Vereinigung: Entscheidung bis 30. 11. oder Rückzug. Und das, obwohl der Stiftungsrat angeblich einen Teilverkauf befürworten wollte; vom Erlös hätte man eine neue Ausstellungshalle bauen können. Aber der Bürgermeister sagte der KV ab: Die Entscheidung sei nicht fristgerecht durch die Gremien zu bringen. Also alles zurück auf null, die Kunstfreunde können sich freuen. Die Villa-Fans auch, wird das Haus doch vorerst nicht kommerzialisiert und zur Kulisse degradiert.
Trotzdem wird die Stadt weiter auf Entsorgung sinnen, denn dieses ambivalente Haus ist lästig: Gut, ein Schild am Gartentor erinnert an das jüdische Kinderheim. Zwei „Stolpersteine“ gedenken der Erzieherinnen Gertrud Katzenstein und Frida Epstein, die von den Nazis ermordet wurden. Andererseits steht am Giebel „Villa Flath“. Wem gehört die Geschichte der Villa? Wer vereinnahmt da etwas, ohne die Überschreibungen zu benennen – noch dazu die Verquickung von NS-Opfer- und NS-Sympathisantenschicksalen, die das Haus sah?
Nun kann man sagen: Die Erwähnung der verschiedenen Facetten ist Didaktik genug, den Rest muss der mündige Bürger leisten. Aber hierfür braucht der Bürger alle Informationen. Im Fall Otto Flaths findet sich aber weder in der öffentlichen Diskussion noch in den Beschriftungen der Hinweis auf die Nähe seiner Kunst zur NS-Ideologie.
Ohne diese Lesart zu erwähnen, kann man aber keine ehrliche Diskussion über den Umgang mit Flaths Werk führen. Auch nicht darüber, ob für in der NS-Zeit entstandene Kunst andere Maßstäbe gelten sollen als für systemkonforme Werke etwa der Antike oder des Absolutismus.
All dies könnte man gut vor Ort diskutieren. Warum nicht die Villa zu einem Zentrum jüdisch-christlichen Dialogs machen? Die Geschichte der jüdischen Sozialpolitikerin neben die des Arisierungs-Profiteurs und die des Künstlers stellen, der glaubte, Germanisches und Christliches verbinden zu können.
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