Bergmans "Szenen einer Ehe": Scheiternde Institution
In Bremen und Lübeck kommen Ingmar Bergmans „Szenen einer Ehe“ auf die Bühne. Nach dem Gang durch die Hölle leuchtet ein Hoffnungsschimmer auf.
BREMEN taz | So viel Zuneigung – und so viel Wut, Verachtung und emanzipatorischer Behauptungswille. Küssen oder erwürgen? Lieben und hassen! So sah die bühnenwirksame Ehe als bildungsbürgerlicher „Totentanz“ (August Strindberg) aus. Heute funktioniert der Ehebetrieb eher TV-Komödien-seicht als routiniert durchgeführtes Projekt von Interessengemeinschaften: Von der romantischen Sehnsucht vom Eins-sein-Wollen bleibt oft nur eine Festung der Einsamkeit.
„Ehe als Konzept interessiert mich nicht“, sagt denn auch Regisseurin Anna Bergmann. „Aber wie Partnerschaft zwischen Mann und Frau funktionieren könnte, das will ich herausfinden.“ Nach „Herbstsonate“ (2007, Theater Lübeck) und „Treulose“ (2013, Staatstheater Braunschweig) inszeniert Bergmann am Theater Lübeck erneut ein Feel-bad-Movie des peniblen Ultraschallkünstlers für Seelenschmerzen, Ingmar Bergman: „Szenen einer Ehe“.
Die sind bekanntlich Szenen einer scheiternden Ehe – und damit ganz modern. Immer häufiger ist der Bund fürs Leben nur noch einer auf Zeit: Rund ein Drittel aller Ehen wird im Laufe der nächsten 25 Jahre geschieden. Nicht nur bei Veteranen des Rosenkriegs ist die Institution als Lebensentwurf, Rollen- und Sprachspiel in Verruf geraten. Alle Glücksversprechen erweisen sich da meist als haltlos – zu viel Arbeit ist schon für die laue Zufriedenheit als Minimalkonsens einer Kameradschaft notwendig. Paartherapeuten verkünden längst, für die seelische Volksgesundheit wäre eine Verdopplung der Scheidungsrate durchaus förderlich. Trotzdem wird mutig weiter geheiratet.
All diese Widersprüche will Bergmann in eine „verwirrende Veranstaltung“ übersetzen. Stets soll unklar bleiben, ob die Schauspieler nun Charaktere des Stücks darstellen – oder sich gerade anhand ihrer eigenen Beziehungskalamitäten mit den Problemen und Konflikten des Zusammenlebens auseinandersetzen. Mal agierten sie brutal komisch, sagt Bergmann, mal handgreiflich brutal wie in einem Tarantino-Film oder präzisierend brutal im Stil des psychologischen Realismus.
Bergmann inszeniert die Reise zweier Menschen hinter die Kulissen ihrer Beziehung als Reise durchs Theater. Ein exklusives Erlebnis für nur je 40 Zuschauer: Vor Waschmaschinen wird da im Keller des Theaters die schmutzige Wäsche gewaschen, in der Garderobe rüstet man sich für die erbitterten Wortduelle, in der Kantine wird schließlich das Durcheinander von Verliebt-, Vertraut- und Verletztheit reflektiert. „Und dann prügeln sie sich wieder die Seele aus dem Leib“, verspricht Bergmann.
Weil die Intimität hier zur Waffe wird, setzt auch die Inszenierung von Klaus Schumacher an der Weser auf Nähe und Intensität des Spiels. Ausgestellt wird das Phänomen Ehe im Stuhlkreis auf der Hinterbühne. Das Publikum wird als Konfliktmanagerteam für die Schuldfrage angesprochen – mit einem quälend komischen, ratlosen bis panischen Selbstentblößungs-Wechselspiel von Entfremdung und Annäherung, Verstehen und Missverstehen. Beide Rollen sind hier doppelt besetzt. Um die Szenen aus unterschiedlich temperierten Gemütslagen und Persönlichkeitsfacetten zu beleuchten. Das funktioniert beeindruckend gut.
Bergmann und Schumacher verorten das Stück dabei jeweils in ihrer Altersgruppe. Während die Eheleute in Bremen behaupten, 42 und 49 Jahre alt zu sein, gehören sie in Lübeck nicht mehr zur Generation Theaterabonnement. Sie sind jünger, unerfahrener, haben noch keine Kinder, sondern streiten, ob sie welche in ihre Welt setzen wollen. In beiden Aufführungen geht das Paar durch die Hölle. Ein Lichtlein Utopie erhellt am Ende das Schlachtfeld zumindest im Theater Bremen: Jahre nach der Scheidung lässt Schumacher die Duellanten wieder aufeinander treffen und zärtliche Gefühle und warmes Verständnis füreinander entdecken. Muss man also erst diverse Ehen in den Sand setzen, um zur ersten oder zweiten großen Liebe zurückkehren?
Und was möchte Anna Bergmann der jüngeren Generation vermitteln? „Ein Plädoyer für die Liebe! Sonst kann man sich doch gleich die Kugel geben“, sagt sie. Aber was ist das: Liebe? Und welche Kernkompetenzen und Schlüsselqualifikationen sind dafür Voraussetzung? „Wahrhaftig sein, miteinander reden!“ Trauernd akzeptieren – was nicht geht. Und das Küssen dabei niemals vergessen …
■ Theater Lübeck: Fr, 7. 11. und Fr, 21. 11., je 20 Uhr, Junges Studio; Theater Bremen: Do, 13. 11., 19.30 Uhr; weitere Aufführungen: Sa, 13. 12., So, 14. 12. und Do, 18. 12.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar