Die Wahrheit: Sie werfen Häuser um!
Nach den Maklern streiken jetzt weitere Berufsgruppen: an vorderster Front sowohl die Straßenpsychopathen als auch die Straßenmusikanten.
Schau an, nun streiken also die Wohnungsmakler, da sie die Vermittlungskosten in Zukunft nicht mehr vom Mieter einfordern dürfen. Ein ängstliches Raunen geht durchs Land. Werden die Makler auch auf die Straße gehen? Werden wir ähnliche Szenen wie kürzlich in Köln erleben, bloß diesmal mit marodierenden Maklern, die betrunken Häuser umwerfen, vor denen sie sich dann triumphierend selber fotografieren? Wo sollen wir nur in Zukunft wohnen?
Vom Ausstand der zeigefreudigen Hehler ermutigt, beschließen andere, ebenfalls minder beleumdete Berufsgruppen, nachzuziehen. So streiken seit zwei Tagen auch die Straßenpsychopathen. Die verrückte Alte, die sonst stets über Mittag schreiend über den Berliner Hermannplatz zieht und entgegenkommende Passanten, die Regierung, Homosexuelle sowie Andersdenkende jeder Couleur beleidigt, hat die Arbeit niedergelegt.
„Die ’verrückte Alte‘ ist ein Konzept, an dem ich jahrelang gearbeitet habe“, empfängt mich Gundula Scholz (68) in ihrer Wohnküche. „Diesen Grundaufwand bezahlt uns keiner.“ Während die emeritierte Philosophieprofessorin ihre Fußnägel in einen Mixer schneidet, konkretisiert sie die Forderungen des Bundesverbands der Deutschen Durchgeknallten (BVDD): Entlohnung nach BAT II, Urlaubsgeld, dreizehntes Jahresgehalt und freie Wahl der Nervenklinik.
Um zu betonen, wie wichtig ihr eine journalistische Würdigung der Problematik ist, bedroht sie mich „verfickten Schweineschreiber“ beim Abschied mit dem Tranchiermesser. Unentgeltlich. Ist das nun Korruption?
Deutschland winselnd am Boden
Auch die Bettler streiken. Erst an deren Verschwinden aus dem Stadtbild bemerken wir auf einmal ihre Bedeutung für den individuellen Glückshaushalt. Fühlte man sich gut, gab man einem Bettler einfach einen Euro und fühlte sich noch besser. Wähnte man sich nutzlos, so sorgte das Almosen beim Spender wenigstens für einen Hauch von punktueller Existenzberechtigung. Solange die Bettler ihre Arbeit ruhen lassen, liegt das wichtige Feld der Sozialhygiene allein in der Hand von Gurus, Kirchen und Kneipenwirten. Das kann keiner wollen.
Horst Beutelschulze, 51, Vorstand der Deutschen Gewerkschaft der Bettler (DGB), fasst zusammen: „Unser Protest richtet sich gegen die Konkurrenz durch ausländische Bettler und ganz allgemein gegen das niedrige Lohnniveau.“ Er bekräftigt den Durchhaltewillen seiner Mitglieder. „Wir haben einen langen Atem. Zur Not, bis das ganze Land winselnd am Boden liegt.“
Café Morgenlatte: Vorapokalyptische Atmo
Da liegt es allerdings schon längst, seit nämlich die Straßenmusikanten streiken. Wir sitzen vor dem Café Morgenlatte am Kollwitzplatz und warten auf die professionellen Nervtöter. Doch keiner kommt. Es ist, als würden die Vögel nicht mehr singen – eine vorapokalyptische Atmosphäre prägt diese Dorfidylle mitten in der Stadt. Müssen wir uns jetzt etwa miteinander unterhalten? Dann kochen doch die ganzen Probleme wieder hoch!
Sonst schützen uns davor die Straßenmusikanten. Ihr Lärm bot stets eine Ausrede zum Schweigen und zugleich ein gemeinsames Feindbild: Einvernehmlich verdrehte man die Augen ob der angeblichen Belästigung, zwinkerte einander zu und murmelte etwas von „Zumutung“, „Die schon wieder“, „Wenn er wenigstens spielen könnte“, „Hoffentlich sind die bald wieder weg“ oder den Klassiker: „Vielleicht geben wir ihm was dafür, dass er schnell wieder aufhört.“ Für wenig oder gar kein Geld verschafften sie der Kundschaft zuverlässig das angenehme, wohlstandsbräsige Gefühl des Wir-dort-oben-und-Ihr-dort-unten.
Um den Forderungen nach „mehr Respekt, vom Staat bezahlten Instrumenten und kostenloser Weiterbildung an der Musikhochschule Hanns Eisler“ Nachdruck zu verleihen, hat sich eigens der Bund Deutscher Straßenmusikanten (BDSM) gegründet, ein Zweckbündnis aus IG Metal, IG Mariachis und IG Panflöte. Das herausragende Anliegen des neuen Berufsverbands liegt jedoch darin, den erwarteten Zustrom neuer Musikanten mit Nasenflöte, Triangel und Hundepfeife zu stoppen: In Kürze drohen zehntausend Makler den ohnehin schon engen Markt zu überschwemmen.
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