Die Wahrheit: Eiszapfen im Bart

Um über den endlosen Poststreik hinwegzukommen, singen wir am besten ein altes Lied: Sag mir, wo die Paketboten sind, wo sind sie geblieben?

Einst trug der edelmütige Postmann die Krone des Beamtentums. Foto: dpa

Die Paketzusteller streiken, doch der Kunde merkt es nicht, denn der Service unterscheidet sich in nichts von der Zeit davor: Man bekommt halt seine Pakete nicht. Der Grund ist für den Betroffenen zweitrangig. Das Ergebnis zählt.

Schon seit Jahren werden meine Pakete ohne jede Benachrichtigung irgendwo hingerotzt. Das kann zu Nachbarn sein, in kleine Läden der Umgebung, in Postfilialen, Gebüsche, Müllcontainer – wenn ich keine Sendung erwarte, bekomme ich das sowieso niemals mit. Oder aber viel zu spät. In einem dieser Fälle will ich die DHL-Hotline anrufen. Doch obwohl auf der Homepage groß das Dummy einer Callcentermitarbeiterin mit Headphones abgebildet ist, wird nirgends eine Nummer genannt. Schließlich finde ich eine auf einer nicht DHL-eigenen Betroffenenseite.

Noch nie zuvor bin ich von zwei Computerstimmen abwechselnd so oft und so lange verarscht worden. Noch nie zuvor habe ich zwei Automaten so lange nonstop angebrüllt, bis ich nur noch heiser wimmernd am Boden lag, völlig erschöpft und aus dem Munde blutend, da mehrere Stimmbänder unter der Überbeanspruchung gerissen waren. Dabei wollte ich doch nur wissen, ob mein seit zwei Wochen in irgendeinem Hinterhof durchweichendes Paket eventuell noch dort sein könnte.

Beschwerde? Lachhaft. Nur ein Narr beschwert sich bei der Gestapo oder einem US Immigration Officer. Und beschwert sich etwa der Zaunkönig bei Mutter Natur, wenn er apathisch auf dem Rand seines leeren Nestes sitzt, das Baumratte und Elster geplündert haben?

Ich hasse die DHL so sehr, dass ich es gar nicht beschreiben kann. Zugleich aber mischen sich dieser abgrundtiefe Hass und diese ohnmächtige Wut mit Bewunderung über die Unverfrorenheit, die Frechheit, die schamlose Gier, die ja auch etwas greifbar, spürbar, riechbar Sinnliches besitzt, diesen animalischen Urinstinkt, diesen unbedingten Willen zum Betrug ohne jedes schlechte Gewissen, dieses archaische Fehlen jeglicher Empathie, jeder Verantwortung und jeglichen Unrechtbewusstseins.

Dabei war die Post mal die Krone deutschen Beamtentums! Jede deutsche Mutter hatte für ihre Tochter nur einen Traum: dass sie einen Postbeamten heiraten möge. Das Symbol für Redlichkeit und Rechtschaffenheit. Missionarsstellung, Badekappe, Bausparvertrag. Kam der edelmütige Postmann in seiner prächtigen Fantasieuniform in unsere Straße, zu Fuß, zu Pferd oder auf herrlich gelbem Wagen, jubelten die Menschen.

Und waren die Menschen nicht zu Hause, so kehrte er täglich treu zurück, klingelte erneut, schied unzuverlässige Nachbarn von zuverlässigen, und in seinen Augen war niemand würdig. So war in langen harten Wintern der tragische Anblick eines Paketboten, der mit Eiszapfen im Bart tot in der Eingangstür des Empfängers kauerte, leider keine Seltenheit. Er wusste ja nicht, dass der Postkunde für einen Monat in ein südlicheres Land verreist war. Das hätte er sich nie geleistet, da wäre doch die Arbeit liegen geblieben.

Alle Pakete waren bei ihnen sicher. Machte ihnen ein Räuber das Versandstück streitig, so verteidigten sie es wie die Löwen mit all ihrer Kraft und all ihrer Ehre. Wenn dereinst Bundesheer und Volkssturm längst überrollt sein werden, halten noch die Postbeamten aus, mit dem Karabiner in der Faust und dem Brieföffner zwischen den Zähnen. So wie in Danzig 1939. Könnten aber auch die Polen gewesen sein …

Doch dann kam alles ganz anders. Postfilialen verschwanden, ihr Service wird nun von Eck­kneipen, Bordellen oder Tankstellen geleistet. Oder eben nicht, denn die gute alte Benachrichtigungskarte wurde aus Einsparungsgründen abgeschafft. Die Liefersklaven erhalten zwar Seminare in Telepathie, doch das Channeling zwischen ihnen und den Paketkunden funktioniert nur suboptimal.

Dasselbe gilt für andere Methoden. Manchmal hat jemand in die Hofdurchfahrt bei den Briefkästen gepinkelt und zweimal lag auch Erbrochenes da, doch ich will hierbei noch immer nicht an Benachrichtigungen des Zustellers glauben.

Dabei sind die Postmitarbeiter Opfer und ausführende Organe der Täter zugleich. Darin ähneln sie Kindersoldaten. Wo offenbar jetzt schon zu wenig und unterbezahltes Personal bereitsteht, um die mit den Kunden vereinbarte Dienstleistung zu erbringen, streicht man noch mehr Stellen und Gelder. Logisch, liebe Kinder, ganz einfache Rechnung: Die Mama will einen Apfelkuchen backen. Dazu braucht sie fünf Äpfel. Sie stellt aber fest, dass sie nur vier hat. Also schmeißt sie noch drei Äpfel weg und scheißt stattdessen auf den Teig. Merkt bestimmt keiner …

Apropos Apfel. Ich habe einen Traum: In diesem wird die DHL, analog zum Morgenthau-Plan, zerschlagen und in einen friedlichen Agrarbetrieb umgewandelt. Die Vorstellung, sich einem Posthof zu nähern, auf dem sich nicht tausend schreiende Berserker um die begehrtesten Inhalte niemals zugestellter Pakete prügeln, sondern stille Landarbeiter in Latzhosen und Gummistiefeln auf der Ackerkrume knien und zärtlich Mohrrüben oder wunderschöne Schnittblumen hegen, lässt mich weinen vor Sehnsucht und Glück.

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