piwik no script img

Debatte Agenda 2015Mindestlöhne durchsetzen

Kommentar von Rudolf Hickel

Prognosen für Entwicklung der Wirtschaft in diesem Jahr sind schwierig. Eines aber ist sicher: Die Konjunktur muss gestärkt werden.

Die Risiken der Exportwirtschaft werden wegen der Weltwirtschaft hoch bewertet – Container-Terminal in Hamburg. Bild: dpa

A m Anfang des Jahres haben die Konjunkturprognostiker Hochkonjunktur. Im Jahr 2015 schwankt das Wirtschaftswachstum nach den jüngsten Vorhersagen in einer Bandbreite zwischen 1,2 und 1,6 Prozent. Allerdings müssen sich die großen Wirtschaftsforschungsinstitute sowie der gesetzlich verordnete „Rat der fünf Weisen“ eingestehen, dass sie für das zu Ende gehende Jahr 2014 falsch lagen. Die erwartete Wachstumsrate mit 1,9 Prozent und damit die Wirtschaftsdynamik sind erneut überschätzt worden.

Wieder einmal bestätigte sich die auch Karl Valentin zugeschriebene Ironie: „Prognosen sind schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen.“ Die Not, nichts Genaues zu wissen, erzwingt die einseitige Orientierung an der Vergangenheit. Diese wird dann durch die dominierende Beratungsökonomie mit einer marktoptimistischen Überschätzung der Aufschwung- und Unterschätzung der Abschwungdynamik fortgeschrieben.

Hinzukommen die wirtschaftspolitisch nicht beeinflussbaren Annahmen zu strategischen Preisen: So erfolgt die Vorhersage des Wirtschaftswachstums mit 1,5 Prozent durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung unter den Annahmen: Der Ölpreis bleibt mit rund 70 Dollar pro Barrel niedrig und der für die Außenwirtschaft relevante Preis für einen Euro sinkt auf 1,25 Dollar. Kleinste Änderungen wie ein weiter sinkender Ölpreis werfen die Prognose über den Haufen.

Die Ursachen der immer noch viel zu schwachen Bereitschaft der Unternehmen in den Kauf von Maschinen und Ausrüstungen sowie in den Bau zu investieren, gibt für eine taugliche Vorhersage zu 2015 wichtige Hinweise. Es sind die schwächelnden Gewinnerwartungen, die den eigentlich wegen des billigen Geldes zu erwartenden Investitionsboom verhindern. Zentrale Ursache sind die pessimistische Bewertung der Nachfrage zur Auslastung der neu geschaffenen Produktionskapazitäten: Die Binnennachfrage gilt als zu schwach.

Allgemeine Vertrauenskrise

Die Risiken der Exportwirtschaft werden wegen der Weltwirtschaft und speziell in wichtigen Absatzländern wie China und den Euroländern hoch bewertet. Da bringt auch der in diesem Jahr Euro den Exporteuren kaum Trost. Geostrategische Änderungen vor allem der Boykott gegenüber Russland im Ukrainekonflikt hemmen nicht nur die direkt betroffenen Unternehmen.

Sie verstärken die allgemeine Vertrauenskrise in die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Dabei wird auch 2015 die Europäische Zentralbank mit ihrer Politik des billigen Geldes den Banken die Kreditfinanzierung der Unternehmenswirtschaft schmackhaft machen.

Allerdings sind Erfolge von der sich am Rande der Verzweiflung bewegenden Geldpolitik allein nicht zu erwarten. Vielmehr tobt sich die überschüssige Liquidität auf den Finanzmärkten aus. Gewiss ist, dass sich die Flucht auf die Aktienmärkte fortsetzen wird. Da die dadurch spekulativ aufgeheizten Kurse wenig mit der realen Wertschöpfung der Unternehmen auf Aktienbasis zu tun haben, droht eine Blase, die am Ende platzen muss.

Investitionslücke

Daher hat die wirtschaftspolitische Agenda 2015 dem Ziel zu dienen, die seit Jahren in Deutschland aufgestaute Investitionslücke abzubauen. Während 1999 noch insgesamt 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesamtwirtschaftlich in Ausrüstung und Bauten investiert wurden, sind es heute nur noch knapp 17. Die über die Jahre kumulierten Rückstände bei den Gesamtinvestitionen belaufen sich nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung auf 40 Prozent der heutigen gesamtwirtschaftlichen Produktion.

Zu dieser Investitionslücke trägt auch der öffentliche Sektor bei. Seit 1999 ist das Nettovermögen des Staats von 20 Prozent auf 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesunken. Die öffentliche Investitionsquote ist von 4,7 Prozent in 1970 vor allem seit der einsetzenden öffentlichen Einsparpolitik im Jahr 2006 und 2007 auf den Tiefststand mit 1,5 Prozent zusammengeschrumpft.

Auf der Agenda 2015 stehen auch Maßnahmen zum Ausbau der wettbewerbsfähigen Produktionskapazitäten für qualitatives Wachstum durch die Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Die eine Säule ist die Konsumnachfrage der privaten Haushalte. Hier ist eine tarifliche Lohnpolitik, die zumindest den realen Verteilungsspielraum ausschöpft, erforderlich. Auch konsequent durchgesetzte Mindestlöhne gegen Beschäftigungsarmut stärken die Binnennachfrage.

Expansive Finanzpolitik

Die andere Säule steht für die Stärkung der Binnenwirtschaft durch eine expansive Finanzpolitik vor allem zum Abbau des dramatischen Staus öffentlicher Infrastrukturausgaben (allein bei den Kommunen in den letzten Jahren auf knapp 50 Mrd. Euro gestiegen). Der Substanzverlust des öffentlichen Vermögens führt zu einer schweren Last künftiger Generationen. Es fehlt an ausreichenden öffentlichen Investitionsausgaben in den Erhalt und die Erweiterung der Infrastruktur besonders im Bereich der Bildung, des Verkehrs und der Umwelt.

Mit einem die Schuldenbremse umgehenden Sofort-Infrastrukturfonds von jährlich 10 Mrd. Euro in den kommenden 15 Jahren ließen sich wenigstens die dringlichen Ersatzinvestitionen finanzieren.

Durch den Abbau von öffentlichen Infrastrukturdefiziten lässt sich die EZB-Politik des billigen Geldes durch eine expansive Finanzpolitik wirksam komplettieren. Es geht um die Rückführung überschüssiger Liquidität in die Finanzierung volkswirtschaftlicher Produktion. Gegenüber dieser mutigen Politik der Sanierung öffentlicher Haushalte über qualitatives Wirtschaftswachstum wird die Inkompetenz einer Nullverschuldungspolitik durch die Bundesregierung offensichtlich.

Die Idee der neuen EU-Kommission, die Politik des billigen Geldes, durch die die Nachfrage steigernde Finanzierung von Projekten mit einem Gesamtvolumen von 315 Mrd. Euro zu unterstützen, geht in die richtige Richtung. Allerdings kann der Plan, mit 21 Mrd. Euro Startkapital und einem Kreditvolumen von 60 Mrd. Euro von der Europäischen Investitionsbank 250 Mrd. Euro an Privatkapital zu hebeln, nicht aufgehen. Nur durch effektiv für sinnvolle Projekte ausgegebenes EU-Geld sind darüber hinausgehende Wachstumsimpulse zu erwarten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Ökonomen hatten für 2014 bis zu 1,5 Prozent Wachstum erwartet. Die Bundesregierung und die Wirtschaftsweisen waren mit 1,2 Prozent etwas verhaltener in ihrer Prognose. Von daher wurden die Erwartungen uebertroffen. Das Vertrauen der Buerger und Wirtschaftspartnr in die deutsche Wirtschaft bleibt gross.

  • 3G
    3310 (Profil gelöscht)

    Autos kaufen keine Autos.

    Menschen kaufen Autos.

     

    Dass Henry Ford das sagte, ist ja erst schlappe 100 jahre her. - Da müssen wir unseren dummen Managern schon noch ein paar Jahr(zehnt)e zugestehen, damit sie das begreifen. Schließlich haben sie ja BETRIEBSwirtschaftslehre studiert und nicht VOLKSwirtschaftslehre ...

  • Der Mindestlohn wird erwartungsgemäß zu einer Stärkung der Binnenkonjunktur führen. Und das gerade weil bei niedrigen Gehältern Gehaltssteigerungen nicht sehr in Sparquote gehen oder Ausland ausgegeben werden. Ein Effekt, der von den Lobbyisten der Exportfirmen geleugnet wird. Löhne werden gerade zu Gunsten der Exportfirmen bewusst niedrig gehalten. Niedrige Löhne sorgen für niedrigere Lohnstückkosten und damit für bessere Chancen auf Exporte.

     

    Nicht jeder Export ist ein guter Export. Es dürfte dem vernünftigen Wirtschaften entsprechen, nicht Forderungen bis zu uneinbringlicher Höhe aufzutürmen und keine adäquate Gegenleistung zu erhalten.

     

    Und besonders dumm wäre es, absichtlich andere Länder pleite gehen zu lassen, um auf diese herabzuschauen. Es verschärft die Gefahren aus der gegenwärtigen Finanzkrise. Sinnvoll ist immer nur das Anstreben einer ausgeglichenen Außenhandelsbilanz. Die Löhne in Deutschland dürfen folglich steigen bis die Außenhandelsbilanz ausgeglichen ist.

     

    Ein guter Ansatz für eine ausgeglichene Außenhandelsbilanz ist dabei auch ein nicht zu niedriger Mindestlohn mit Anpassungsmöglichkeit an neue Begebenheiten. Aber genau diese Möglichkeit wird durch Investitionsschutzabkommen im Rahmen der Freihandelsabkommen TTIP und CETA bald enden.

     

    Wenn die SPD-Spitze jetzt zögerlich Fehler bei der Ablehnung des Mindestlohnwunsches der Grünen einräumt, verschweigt sie eines: Sie ist dabei, diesen Fehler über die geplanten Freihandelsabkommen zu zementieren!

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Auf Dauer wird die seit nunmehr 2 Jahrzehnten andauernde Konsumzurückhaltung zum Problem. Die Ursachen dürften zum einen in den Verteilung der Zuwächse durch den Markt, zum anderen in dem zunehmenden Exportanteil am BIP liegen. Hängt auch irgendwie zusammen, weil die "Exportisierung" eine zunehmende gesamtwirtschafliche Betrachtung der Löhne/Gehälter als KOsten zur Folge hat.

     

    Die statistische Betrachtung der Durchschnittswerte beim Einkommen/Vermögen ist Verdummung pur und erst eine Dezilbetrachtung zeigt, dass der Anteil der Bevölkerung wo der Konsum stattfinden sollte, abgehängt wird. Indikatoren gibt es genug: Realeinzelhandelsumsätze, Durchschnittsalter der PKWs etc.

  • "Es sind die schwächelnden Gewinnerwartungen, die den eigentlich wegen des billigen Geldes zu erwartenden Investitionsboom verhindern. Zentrale Ursache sind die pessimistische Bewertung der Nachfrage zur Auslastung der neu geschaffenen Produktionskapazitäten: Die Binnennachfrage gilt als zu schwach."

     

    Das ist der Kern des Problems. Aber auch die nähere Betrachtung der Investitionen zeigt, dass es in Deutschland eine zu schwache Binnennachfrage gibt. Dies wird sogar von der Bundesbank schon zu einem Teil so betrachtet. Ohne eine andere Wirtschaftspolitik wird Deutschland sinkende Wachstumsquoten, steigende Arbeitslosigkeit und sinkendes Vertrauen der Wirtschaft erhalten.

     

    Das Problem ist nur, dass CDU, CSU, SPD, FDP und ein Teil der Grünen von diesem Problem nicht hören will. Das Umdenken findet wohl statt, aber viel zu klein und viel zu langsam.

     

    Wenn in Deutschland nicht massiver investiert wird, dann haben wir in den nächsten fünf Jahren nur Wachstumsraten von 0,5 bis 1,0 Prozent im Durchschnitt. Und das ist zu wenig. Auf dem Arbeitsmarkt ist es besonders schlimm. Schon heute werden nur 38 Prozent der Schulabgänger in Hamburg eine Ausbildung antreten. Warum ist dieser Wert so extrem niedrig? Weil es gar nicht so eine hohe Nachfrage nach Nachwuchs gibt. Viele Aussagen über den Arbeitsmarkt sind reine Propaganda – die Wirtschaft wächst nicht dynamisch, also braucht sie auch nicht viel Nachwuchs. Ähnlich verhält es sich mit der Langzeitarbeitslosigkeit: Es werden stetig Menschen aus dem Arbeitsleben aussortiert, weil es keine große Nachfrage nach Arbeitskräften gibt. War früher einer mit 55 Jahren ‚alt‘, liegt der Wert doch heute schon bei 45 Jahren. Deswegen muss die Wirtschaftspolitik auf die Nachfrage setzen. Alles andere führt zu nichts. Billiges Geld ist kein Selbstläufer, sonst würde ja massiv investiert.

  • Gewohnte Mischung aus ökonomischer Inkompetenz, Top-Down-Denken und Menschenverachtung.

    Stärkung der Konjunktur über (abhängige) Erwerbsarbeit, während der große Sektor der unbezahlten Arbeit nach wie vor völlig prekär ist, über "sinnvolle" Investitionen in Infrastruktur - als ob sich objektiv bestimmen ließe, was "sinnvoll" ist.

    Wachstum, Wachstum, keiner fragt welches und für wen.

    Leute, die keine abhängige Erwerbsarbeit (in Vollzeit) machen, bleiben sowieso außen vor.

     

    Im Westen nichts Neues, also verweise ich mal wieder auf meinen Aufsatz zum Mindestlohn:

    https://www.grundeinkommen.de/05/07/2013/warum-ein-allgemeiner-gesetzlicher-mindestlohn-nichts-mit-einem-bedingungslosen-grundeinkommen-zu-tun-hat-und-auch-sonst-nicht-unterstuetzenswert-ist.html