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Das PKK-Verbot ist überholtEin Hauch von Stalingrad

Nach dem historischen Sieg über den IS ist es an der Zeit, das PKK-Verbot aufzuheben und beim Wiederaufbau von Kobane zu helfen.

Angehörige der „Frauenverteidigungseinheiten“ (YPJ), der weiblichen Miliz der syrischen PYD, Kobane, Oktober 2014. Bild: Archiv

Im November 1993 gab es gute Gründe, die PKK als terroristische Organisation zu verbieten. In der Türkei führte sie nicht nur einen Guerillakrieg, sondern verübte zudem Anschläge auf Zivilisten oder löschte Mitglieder der so genannten Dorfschützermiliz mitsamt ihrer Familien aus. Auch hierzulande bot die Arbeiterpartei Kurdistans kein freundliches Bild: Schutzgelderpressung, blutige interne Abrechnungen, Brandanschläge auf türkische Einrichtungen. (Nein, nicht die Sache mit der Autobahn, die kam danach.)

All das spielte beim Verbot, das der damalige Innenminister Manfred Kanther verfügte, eine Rolle. Doch hinzu kamen weitere Gründe, die dazu beitrugen, dass nicht, wie es beispielsweise in der EU bei der Hamas zeitweise der Fall war, nur der bewaffnete Flügel als terroristisch eingestuft wurde, sondern die gesamte PKK. In der Verbotsverfügung war von den „außenpolitischen Belangen der BRD“ die Rede und vom „Verhältnis zum türkischen Staat“, das es schütze gelte. Schließlich trete die „Außenpolitik der gesamten westlichen Welt“ für die „Integrität eines wichtigen Nato-, WEU- und Europapartners im Interesse des Friedens in der gesamten Region ein“.

Der Minister, der seinerzeit als „schwarzer Sheriff“ verschrien war und heute als Mitverantwortlicher des schäbigsten Parteiskandals der bundesdeutschen Geschichte, nämlich den angeblichen „jüdischen Vermächtnissen“, in Erinnerung geblieben ist, würde in die heutige Zeit nicht mehr passen. Doch genauso anachronistisch ist diese Verbotsbegründung. Es stammt, wie es der taz-Kollege Christian Jakob mal nannte, aus einer anderen Zeit.

Verteidigerinnen der Zivilisation

Denn die Verteidigerinnen und Verteidiger von Kobane – vor allem die Kämpferinnen und Kämpfer der PKK und ihres syrisches Ablegers PYD, außerdem die irakisch-kurdischen Peschmerga sowie Angehörige kleinerer syrischer Organisationen, der Freien Syrischen Armee und Freiwillige aus der Türkei – haben nicht nur für sich gekämpft. Sie haben auch nicht allein, wie Frank Nordhausen in der Berliner Zeitung schreibt, für die westliche Welt gekämpft, sondern für nicht weniger als die menschliche Zivilisation. Oder wie es Stéphane Charbonnier, der ermordete Chefredakteur von Charlie Hebdo, im Oktober vorigen Jahres formulierte: „Die belagerten Kurden in Syrien sind keine Kurden, sie sind die Menschheit, die sich der Finsternis widersetzt.“

Nun haben sie, unterstützt von den amerikanischen Luftschlägen – ob es ins Weltbild linker Antiimperialisten passt oder nicht: mit Heldenmut und AK47 allein hätten die Kurden den schweren Waffen des IS nicht trotzen können – dem Islamischen Staat seine erste ernste Niederlage beigebracht und den Mythos seiner Unschlagbarkeit gebrochen. Noch sind die Folgen nicht abzusehen. Doch im ersten Moment liegt etwas Historisches in der Luft: eine Erinnerung an Madrid 1936, ein Hauch von Stalingrad.

Die Türkei hingegen war in diesem Kampf – sehr wohlwollend formuliert – zurückhaltend. Sie nahm, eher widerwillig, Flüchtlinge aus Kobane auf und ließ es zugleich zu, dass sich der IS über türkisches Territorium mit Nachschub versorgte. Zunächst meinte Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, die PKK und der IS seien dasselbe, dann zeigte er sich überzeugt, dass Kobane jeden Augenblick fallen werde, nun sagt er, die Entstehung eines Nordsyriens analog zum Nordirak sei für die Türkei inakzeptabel.

Ihm echte Sympathien für den IS zu unterstellen, wäre zu viel. Eher hat man in Ankara den IS und oder al-Nusra-Front als Hilfstruppen im Kampf gegen das Assad-Regime und im Dienste der neo-osmanischen Phantasien gesehen. Ideologisch aber steht die AKP für etwas anderes: für eine Mischung aus enthemmten Kapitalismus und religiösem Konservatismus. „Der wahre Kalif ist nicht Abu Bakr al-Bagdadi, sondern Tayyip Erdoğan“, hat der amtierende PKK-Chef Cemil Bayık neulich in einem Interview mit der Zeit treffend gesagt (in dem er einmal mehr frühere Fehler der PKK einräumte).

Bookchin statt Stalin

Seit sich die PKK von ihrem Ziel der Gründung eines unabhängigen kurdischen Staates verabschiedet hat und sich ideologisch eher an libertär-kommunitaristischen Ideen des amerikanischen Philosophen Murray Bookchin denn an Stalins Ausführungen zur „nationalen Frage“ orientiert, kann man nicht ernsthaft behaupten, sie gefährde die territoriale Integrität bestimmter Staaten.

In Syrien kämpfen die PKK und PYD nicht nur gegen die gegenwärtig brutalste, organisierte Barbarei der Gegenwart, sondern sind eine der wenigen verlässlich säkularen Kräfte in der Region – ein Gegenentwurf nicht nur zum Islamischen Staat, sondern auch zur AKP, was schon in ihrer Bildpolitik deutlich wird. Es waren vor allem Bilder von Frauen, die sie aus dem Kobane in Umlauf brachten: kämpfende Frauen, lachende Frauen, zum Schluss jubelnde und tanzende Frauen. (Die hier verlinkten Accounts sind nicht die Urheber der Bilder.)

Es ist an der Zeit, sie international als Gesprächspartner anzuerkennen. Es ist an der Zeit, die schizophrene Situation zu beenden, dass die amerikanische Luftwaffe mit PKK-Kämpfern zusammenarbeitet und die US-Regierung “den kurdischen und den FSA-Kämpfern“ dankt, diese kurdischen Kämpfer aber nicht beim Namen benennen kann, weil die PKK auch in den USA als Terrororganisation gilt. Es ist an der Zeit, die PKK von den Terrorlisten der westlichen Welt zu streichen.

Wenigstens hier kann sich Deutschland nützlich machen. Und noch etwas kann Deutschland tun: Dabei helfen, Kobane wiederaufzubauen. Das haben die mutigen Frauen und Männer verdient. Kräne für Kobane!

(Und natürlich weiterhin: Waffen für Kurdistan! Denn diese Sache ist noch nicht vorbei.)

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13 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Beeindruckend, diese Menschen und dabei v.a. die jungen Frauen, die sich für ihre Freiheit und Heimat solchen Gefahren aussetzen! Aber die Kurden wurden in ihrer jüngeren Geschichte noch nie verwöhnt. Warum eigentlich sollte dieses 20 Millionen-Volk keinen eigenen Staat fordern und bekommen, der ihre über mehrere Ländergrenzen hinweg verstreute Ethnie zusammenfasst? Der Nationalismus feiert überall fröhliche Urständ. Nur, weil die Kurden nach dem 1. Weltkrieg mit ihren Interessen übergangen wurden, haben sie kein Anrecht? Und das nach den Demütigungen, die sie sich überall gefallen lassen mussten (in der Öffentlichkeit kein Kurdisch sprechen, Namen türkisiert etc.)? Nebenbei: die Türkei benimmt sich wie eine Großmacht, die in angrenzenden Gebieten und Ländern legitimen ihren 'Hinterhof' sieht - etwas, das man Russland (als Rechtsnachfolger der Sowjetunion) nicht zugestehen will (siehe EU-Erweiterung Richtung Osten, Nato-Erweiterung, Ukraine-Krieg). Aber da der NATO bzw. den USA nicht an den Rechten der einfachen Menschen, sondern an einem zufriedenen und satten NATO-Partner liegt, darf das die Türkei - ohne UN-Mandate etc.

  • Der Artikel ist zeitgemäß und schildert, dass diese kurdische Bewegung nicht mehr Rückwärtsgewand im Gegensatz zur Türkei sich entwickelt. Man kann auch sehen wie Ihr legaler Arm in der Türkei immer weiter sich zu einem Sammelbecken der Minderheiten und verschiedenen NGO's entwickelt. Das Partei-Programm ist moderner als das vieler Regierungsparteien westlicher Staaten und stellt sich mit seinen eindeutigen Stellungsnahmen zu verschiedenen Themen was ihr ein Profil gibt.

     

    Zur PKK und dem Verbot:

     

    Die PKK hat aus der kurdischen Geschichte und dem Fehler ihrer früheren gesellschaftspolitischen Sichtweise kluge Schlüsse für die Zukunft gezogen. Wenn man bedenkt, welche Fehler in Mahabad und den verschiedenen Aufständen unter kurdicher Führung getätigt wurden.

  • Am meisten nerven die Schergen Erdogans, die, um bei deren Ausdrucksweise zu bleiben, auch hier in den Leserkommentaren ihre "blödsinnigen" Kommentare abgeben... geht zurück zu Erdogan und kämpft euren "jahrhunderte andauernden Krieg" weiter... zur Erinnerung: Öcallan hat die Pkk aufgefordert die Waffen (was die Türkei betrifft) niederzulegen und keine Anschläge mehr zu verüben... und es hat nun schon sehr lange keine Anschläge mehr in der Türkei durch PKK gegeben (nach Jahrzehnten ständiger Anschläge)... man wird sehen, was sie davon haben... im Übrigen stimme ich Herrn Yücel zu: ein PKK-Verbot ist überholt!

    • @Heiner Hirn:

      Dass es seit dem Beginn des Friedensprozesses keine Anschlaege mehr gab, ist falsch. Es ist wahr, dass die Intensitaet und Anzahl der Kaempfe abnahm, aber sie hoerte nie auf. Bitte recherchieren sie!

      Darueber hinaus faende ich es gut nicht damit anzufangen, andere Kommentatoren hier als "Schergen von" irgendwem zu bezeichnen. Das ist ein persoenlicher Angriff auf Meinungsaeusserung, den Sie garantiert nicht belegen koennen!

  • Der Herr Yücel gefällt mir immer mehr. Die Behauptung die Türkei würde eher widerwillig, Flüchtlinge aus Kobane aufnehmen ist absurd. Selten so blödes gehört. Die Türkei hat mehr als 1 Millionen Flüchtlinge aus ganz Syrien aufgenommen. Sie hat im Gegensatz zu den EU Staaten sehr vieles getan. Eher waren die EU Staaten (Deutschland alle voran) zurückhaltend u. widerwillig bei der Aufnahme von syrischen Flüchtlinge. Sehr viele Gemeinden u. Einwohner wollten keine Flüchtlinge in Ihrer Stadt haben. Sie können einen Vergleich machen, wieviel Flüchtlinge die EU aufgenommen hat im Gegensatz zur Türkei. Dann sehen Sie wer hier Widerwillig war. Nur weil die PKK Terrororganisation in Kobane (Al Ayn Arab) mitmischte, heisst es noch lange nicht, dass man den PKK Verbot aufhebt. Bis heute hat die Terrororganisation PKK Ihren Waffen nicht abgegeben, oder dass Sie die bewaffneten Anschläge für immer beendet, oder die Drogengeschäfte, Menschenhandel, Schutzgelderpressung,....etc. Es gibt viele Gründe das man die PKK Verbot aufrecht hält u. keinen einzigen für eine Aufhebung. Nach Ihrem Verständnis zu beurteilen, müsste El-Kaida die mal was für den Westen was gutes getan hat, auch aus der Terrorliste. So ein Blödsinn. Allein dass Sie den momentan PKK Terroristenchef Cemil Bayik zitiert haben u. mit Ihm einer Meinung sind. Das allein reicht schon aus, dass es einem schlecht gehen würde.

    • @Hüseyin Akdag:

      Die Al Quaida, das sind doch die guten netten Demokratiekämpfer in Syrien. Die nennt man da einfach nicht beim Namen und gut ist es. Möglich dass sie auch noch irgendwann einen Orden verliehen bekommen. Man wundert sich über gar nichts mehr.

  • wie immer treffend analysiert!

  • Lieber Herr Yücel,

    der Artikel ist sehr schlecht. Er ist oberflächlich und gibt durch und durch nur die Meinung westlich eingestellter Medien wieder.

    Denn das Verständnis für die Politik des nahen Ostens geht weit über den Umfang dieses Artikels hinaus.

    Die Menschen in dieser Region sind durch diese Konflikte traumatisiert und gezeichnet worden. Was glauben Sie würde der Angehörige eines gefallenen türk. Soldaten sagen; was der eines kurd. Partisanen; was der eines christl. Arabers? Glauben Sie, dass alle Ihre Meinung teilen würden? Ihre Schlussfolgerung auf Basis einer Schlacht mitten in einem Jahrhunderte andauernden Kampf ist daher kurzsichtig.

    Ausserdem verstehe ich nicht, warum man Erdogan immer so verteufelt. Sicher, ich mag ihn auch nicht und sicher würde ich mir für die Türkei ein besseren Präsidenten wünschen, aber wenn die Türken mit solcher Mehrheit wählen und er es sogar schafft Van (eine kurd. dominierte Stadt) für sich zu gewinnen, muss er wohl irgendwas richtig machen, oder?

    • @Tyler Durden:

      Erdogan hat mit dem "PKK-Frieden" natürlich auch Kurden auf seine Seite gezogen. Als es dann soweit war wirklich Flagge für die Kurden zu zeigen hat er ein Spielchen mit den Kurden getrieben. Kobane. Ist ja auch irre, er förderte ja auch den IS, das ist kein Geheimnis mehr. Für mich hat er da eine echte historische Chance verspielt. Ansonsten gebe ich Ihnen recht. Das ist ein Konflikt der sehr weit zurück in die Tiefe reicht. Aber wie es halt so ist "Schnee von gestern" bzw. "aus einer anderen Zeit", was interessiert die Geschichte von gestern? Behandelt werden nur die Symptome, nicht die Ursachen, sonst gäbe es vielleicht keine neuen Ursachen und Symptome. Das ist halt der Amistyle, schnell das Licht ausknipsen, alles kurz oberflächlich anreißen, schnell eine Pille verabreichen bis zum nächsten Mal. Die Kurden waren nie nicht nur Opfer. Das passt aber halt nicht ins Weltbild gewisser Kreise, die gern von den Kriegeramazonen schwadronieren. In anderen Ländern ist es normal, dass es eine Amtsprache/Hauptsprache gibt. Selbst in einem multikulturellen Land wie den USA das zu kritisieren käme niemand auf die Idee. In D wird Integration verlangt usw. Wenn die Türkei das macht heißt es das seien böse Nationalisten die anderen ihre Kultur aufzwängen. Ich glaube den wenigsten in der Journalie fallen solche Widersprüche überhaupt auf.

      Sie bejammern jeden Hamasanschlag, aber die PKK und Öcalans Kindertruppen waren ja bekannt, das sind in gewissen linken Kreisen die Tollen. Dafür muss man sich einsetzen.

  • Merkel wird nicht mitspielen.

     

    Es wird daher keinen Dank geben.

     

    Stichworte: Palästinenser, Israel, USA

    • @Index:

      Israel unterstützte jahrelang die PKK per Mossad. Wenn USA/Israel das morgen wollen, will das spätestens übermorgen auch Merkel. Wenn nicht, dann nicht.

  • "Nun haben sie, unterstützt von den amerikanischen Luftschlägen – ob es ins Weltbild linker Antiimperialisten passt oder nicht"

     

    naja, die Kurden kämpften mit Hilfe amerikanischer Luftschläge gegen amerikanische Waffen des Islamischen Staates, alle ISler sind über Nacht unerkannt aus der Erde gekrabbelt und gen Syrien gezogen, sofern sie vorher nicht bereits als freundlich demokratische Rebellen getarnt für die "westliche Zivilisation" auf Seiten Al Nusras und Al Quaidas kämpften - nicht erwähnt, passt nicht in das Weltbild der Imperialistenförderverein-Linken.

     

    Dass die Kurden sich verteidigen konnten ist wunderbar. Ich fände es auch begrüßenswert sich dafür einzusetzten ihnen echte Autonomie einzuräumen und dass sie noch und nach einen Staat aufbauen können. Wenn die PKK keine Anschläge mehr auf unbeteiligte Zivilisten in der Türkei verübt warum sollte das Verbot dann nicht aufgehoben werden?! Aber so lange ist das noch nicht her das man "aus einer anderen Zeit" sprechen könnte. Öcalan müsste da auch ein ernstes Wort mit seinen Anhängern sprechen. Bei Erdolf weiß man nie - der sagt heute so, morgen so, ein Chamäleon. Er hatte ja lange einen auf Frieden mit der PKK gemacht, bis...Bleibt spanndend.

  • Informativ, die komplizierten Sachverhalte schön aufgedröselt und "by the way" erklärt wo andere 20 Seiten bräuchten und alles mit viel Herzblut. Danke Herr Yücel!