Kolumne Liebeserklärung: Das Streben nach Glück
Liebe FDP. Schon als du, das ästhetische Ärgernis, noch da warst, hast du gefehlt. Und jetzt fehlst du noch viel mehr. Ganz im Ernst.
L iebe FDP, du wirst zufrieden sein mit dieser Woche: Erst das Gepolter von Christian Lindner im Düsseldorfer Landtag, dann die Lack-und-Leder-Nummer in Hamburg, die sich ein Rainer Brüderle nicht hätte frivoler ausdenken können. Immerhin reden die Leute, wirst du vielleicht sagen. Aber wir wollen nicht darüber reden und spotten wollen wir auch nicht. Denn schon in deiner letzten Regierungszeit warst du, wie sonst nur Lothar Matthäus und Dieter Bohlen, bloß noch ein Fall für drittklassige Kabarettisten.
Deine Geschichte war widersprüchlich und bot Platz für die Freiburger Thesen, aber auch für Figuren wie Mende oder Möllemann. Doch zuletzt hattest du dich ganz einer Bande von Klassenstrebern ergeben. Du warst ein ästhetisches Ärgernis, aber nicht nur. Es schien, als wolltest du die vulgärmarxistische Deutung des Satzes, wonach das Sein das Bewusstsein bestimmt, beweisen, und vergaßt darüber, dass nur die wenigsten Zahnärzte und Sockenfabrikanten sich damit begnügen, als Bourgeois ihre merkantilen Interessen zu verfolgen (Steuern runter!), und die meisten von ihnen zugleich Citoyens sein wollen, die sich für das Gemeinwohl interessieren.
Ob dein Hass auf die Armen, dein Mitmachen bei der Bankenretterei oder deine Abwesenheit beim Schutz bürgerlicher Rechte und Freiheiten – du hast schon gefehlt, als du noch da warst. Und jetzt fehlst du viel mehr, als es alle Erbsenzählerei über Wählerwanderungen beschreiben könnte. Beerbt wurdest du von einem deutschtümelnden Verein, dessen Wirkung noch gar nicht abzusehen ist.
In einem Land, in dem auch die Linke, beseelt von der Überzeugung, dass links dort ist, wo der Staat ist und wo es nichts zu lachen gibt, stets den Obrigkeitsstaat zu ihren Zwecken zu vereinnahmen versuchte, fehlst du als Anwältin des Individuums. Du fehlst als politische Kraft, die bei der Verteidigung der Freiheit die Freiheit nicht preisgibt; die die Vielfalt der Lebensstile akzeptiert; die den Menschen Möglichkeiten eröffnet, anstatt sie zu bevormunden; die das Streben nach individuellem Glück nicht ächtet, sondern, wie mir einer deiner klügsten Ortsvorsitzenden, Nils Augustin von deiner Sektion Hackescher Markt, schreibt, für das Recht des Einzelnen kämpft, „im Hier und Jetzt und zu entscheiden, wer er sein und wie er glücklich werden will“, unbenommen deiner Illusionen, wie weit eine bürgerliche Gesellschaft ihr Glücksversprechen einlösen kann.
Ja, liebe FDP, du fehlst. Verstehst du das eigentlich?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Demokratie unter Beschuss
Dialektik des Widerstandes
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“