INTENSIVER LEBEN: ICH GEH ZUM SOCKENTANZ, MICKL ZUR FETISCHPARTY, SABINE IST ZUM MASTURBATIONSKURS GELADEN: Auf Socken tanzen
BARBARA DRIBBUSCH
Neulich in der Kneipe mit Rieke, Sabine und Mickl, meinen alten Kumpels aus der alten Band, gab Rieke das Stichwort. „Die Frage ist doch, wie schafft man es in unserem Alter, intensiver zu leben“, seufzt sie, sie ist gerade 59 Jahre alt geworden. „Kein Problem“, meint Mickl und streicht sich die immer noch langen Haare aus der Stirn, „ich gehe neuerdings in den Kitkat-Club.“ „Du gehst was?“, fragt Rieke entgeistert, „zur Fetischparty? Ziehst du dir da Strapse an oder was?“ „Lederhose reicht“, sagt Mickl. Er gehört zu den 55plus-Leuten in meinem Bekanntenkreis, die erstens noch kiffen, zweitens noch in Bands spielen und drittens immer an der Grenze zu Hartz IV leben. Künstler eben.
„Und, was machst du dann so im KitKat-Club?“, frage ich nach, möglichst cool klingend. Im KitKat feiern sie Partys mit offenem Sex, das ist wie bei Bhagwan oder in der AAO-Kommune früher, nur halt in Leder oder Latex. „Auf der Tanzfläche kam eine Frau auf mich zu, im Lederanzug, tiefer Ausschnitt, auch schon etwas älter, sie sagte, sie fände mich süß“, erzählt Mickl. „Und?“ „Also sie fing an mich zu streicheln. Sie hat mir einen geblasen.“ Mickl grinst. „Und dann?“, frage ich. „Na ja, ich habe dann das Gleiche mit ihr gemacht. War sehr schön.“
„So was würde ich nicht schaffen“, sagt Rieke, „in unserem Alter mit diesem Bindegewebe, halbnackt, und dann halb öffentlichen Sex.“ Stimmt, Mickl ist schon krass. Aber immerhin, ich habe auch was zu erzählen. Ich schaffte es neulich erstmals zur „Early Evening Dance Party“ des „Zeitlos 2.8.“. Gitte hatte mir die Party empfohlen, sie spielen dort World Music, Madonna und Latin und viel mit Trommeln.
Christoph ist mitgekommen, ich musste ihn überreden. Am Anfang habe ich meine Stiefel noch anbehalten, aber das sei unfair, klärte mich ein Besucher auf, wegen der Verletzungsgefahr für die andern, die barfuß oder auf Strümpfen tanzten. Also Stiefel aus. Die Leute tanzten selbstversunken, manche hoben dabei die Arme in die Höhe, das sah esoterisch aus. Keiner trug irgendwas mit Leder oder Latex, eher so Ökolook oder ganz normal. Da seien auch einige Tantra-Leute da, so aus Kuschelgruppen, hatte mir Gitte vorher erzählt. Viele waren in ihren 50ern, da fühlte man sich schon aufgehoben. „Exotisch“, flüsterte mir Christoph ins Ohr. Das Tanzen machte aber großen Spaß, meine depressive Grundstimmung verschwand.
Dienstag Deniz Yücel Besser
Mittwoch Martin Reichert Erwachsen
Donnerstag Margarete Stokowski Luft und Liebe
Freitag Heiko Werning Tier und Wir
MontagIngo ArztMillionär
Sabine, mit uns in der Kneipe, hat auch was zu erzählen. Gabriele hat sie gefragt, ob sie nicht zum Kurs „Orgasmic Yoga – Masturbation für alle“ mitkommen will. Das sei das neueste Ding. In Berlin gibt es jetzt ein Institut „Genital Meditation“, die bieten dort Masturbationskurse an für Singles und Paare. Die Idee kommt aus den USA. Masturbation, besonders die der Frau, gilt dort als Gegenmittel gegen das Frust-Singletum, also auch „als eine Art feministischer Befreiungsschlag“ gegen den Männermangel, sagt Sabine. Aber so was schaffe ich nicht mehr, dazu bin ich zu schamvoll, zu alt, zu verheiratet. Zur „Early Evening Dance Party“ gehe ich aber mal wieder. Ich zieh mir dann auch schönere Socken an, die schwarzen aus Seide.
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