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Islamischer Staat in NordafrikaSirte soll Hauptstadt des IS werden

In der libyschen Küstenstadt verschleiern sich Frauen, Aktivisten fliehen ins Ausland. Auf den Landkarten des IS fehlen die Staatsgrenzen.

Nach dem Krieg von 2011 drohen Sirte neue Kämpfe. Bild: Reuters

TUNIS taz | In Sirte hat eine neue Zeitrechnungen begonnen. „Die Uhren werden um 1.300 Jahre zurückgedreht“, sagt Mohammed Alabous, ohne eine Miene zu verziehen. Der Ingenieur berichtet von der Parade, die der Islamische Staat (IS) nach dem Mord an 21 ägyptischen Arbeitern in Muammar al-Gaddafis Heimatstadt abhielt. Mit etwa 100 brandneuen Toyota-Jeeps demonstrierten die Steinzeitkrieger ihren alleinigen Machtanspruch in Sirte.

Alabous trifft sich mit seinen Freunden seit Jahren in einem Café an der Hauptstraße, wo die Mittfünziger das politische Geschehen bei Wasserpfeife und Pfefferminztee besprechen.

Gaddafi wollte einst die kleine Küstenstadt an der unberührten Mittelmeerküste Libyens zur überregionalen Hauptstadt machen. 1999 beschlossen die Staatslenker Afrikas, einen Steinwurf von dem Café der Diskussionsrunde von Alabous entfernt, die Gründung der Afrikanischen Union. Nun hat der IS eine nicht weniger kühne Vision: Sirte soll die Hauptstadt eines afrikanischen Kalifats werden.

Die Bewohner von Sirte rechnen mit einem neuen Krieg

Auf ihren im Internet kursierenden Karten fehlen die von den europäischen Kolonialmächten gezogenen Grenzen. Die schwarze Fläche mit den weißen IS-Schriftzug erstreckt sich von Nordnigeria über Mali bis nach Bengasi. Wie im ostlibyschen Derna werden Bürgern an einigen Kontrollpunkten die Pässe mit den Worten abgenommen, dass alle Araber bald in einem Land leben werden.

„Sirte ist eine besetzte Stadt und wir können nichts machen“, beklagte einer in der Diskussionsrunde schon vor Monaten. Nun schweigt er gegenüber Journalisten. Mit der Ankunft der Propagandaeinheit des IS aus Syrien und dem Video über die Ermordung der ägyptische Arbeiter sei der Startschuss für die Expansion in Libyen gefallen, ist man sich in der Runde einig. Die Freunde wissen, dass Sirte damit ein neuer Krieg bevorsteht. Im Ouagadougou-Kongresszentrum schlugen vergangenes Wochenende die ersten Bomben der libyschen Luftwaffe ein, die versuchte, die neue Befehlszentrale der Extremisten auszuschalten.

In Cafes spricht man lieber über unverfängliche Themen

Unter dem Kommando General Chalifa Haftars gelang es der Armee und Bürgern, Ansar al-Scharia und andere Milizen in Bengasi zurückzudrängen. Der Preis dafür ist eine schwer zerstörte Millionenstadt und die Übernahme weiter westlich liegender Städte wie Sirte durch „die Bärtigen“. Auch in Tripolis und der Sahara-Provinz Fessan wurden schon schwarze Flaggen gesichtet. Die Machtübernahme beginnt schleichend.

In Sirte mussten Modeläden im Januar ihre Schaufensterpuppen entfernen. Straßensperren tauchten aus dem Nichts auf und verschwanden wieder, dann begannen die Morde an politischen Aktivisten. Ihr Ziel erreichen die Täter auch ohne Bekennerschreiben. Junge Frauen verschleiern sich, Aktivisten fliehen ins Ausland, in den Cafés wendet man sich unverfänglichen Themen zu. In Sirte mussten sich die Behördenmitarbeiter öffentlich entschuldigen, für den Staat gearbeitet zu haben. Auf Fotos sieht man Männer mit gesenktem Kopf vor einem Kommandeur der Miliz Ansar al-Scharia, die sich nun zum IS bekennt, und sie Solidaritätsbekundungen unterschreiben lässt.

Die Milizen kämpfen um den Zugang zu Macht und Geld

Die Grenzen zwischen den Milizen sind oft fließend. Namensänderungen gehören zum Konzept der Machtübernahme, sind aber oft auch Ausdruck der Uneinigkeit zwischen den extremistischen Gruppen. Damit will der IS nun Schluss machen. Seine Stärke beruhte schon in Syrien auf der Uneinigkeit seiner Gegner.

Während der IS der Regierung der Fadschr-Milizen in Tripolis den Krieg erklärte, boten er den Misurata-Milizen eine Kooperation an. „Die internationale Gemeinschaft sagt, es gebe keine militärische Lösung in diesem Konflikt“, schüttelt Abubakr, ein ehemaliger Offizier, den Kopf. Das Gegenteil sei der Fall. „Es geht um die Kontrolle von Städten, Schmugglerrouten und Ölförderanlagen, also den Zugang zu Macht und Geld. Das werden die Milizen, die Armee und der IS unter sich aus machen.“

Die Christen sollen aus Sirte verschwinden

Die politischen Vertreter der Bewegungen Karama in Bengasi und Fadschr in Tripolis verlieren immer mehr an Einfluss. Die lachenden Dritten sind die IS-Kommandeure, oft mit Afghanistan- oder Syrienerfahrung aus den Nachbarländern. Wie Gaddafi haben sie die strategisch günstige Lage von Sirte erkannt. Ihre geringe Zahl machen sie mit Brutalität und Propaganda wett.

Während die Politiker von Fadschr und Karama über ihre Zusage zu den von der UNO angesetzten Friedensgesprächen in Marokko streiten, handeln die Extremisten. Christen und den Milizen aus der Nachbarstadt Misrata, die sich nicht dem IS anschließen wollen, gaben sie 24 Stunden Zeit, aus Sirte zu verschwinden.

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7 Kommentare

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  • "100 brandneue Toyota-Jeeps"?

    Die wurden doch sicher in Japan gebaut. Wer hat die bestellt, wer hat diese 100 Jeeps bezahlt, wie wurden sie nach Libyen geliefert? Und die Lieferung, die sicher nicht auf direktem Weg von Japan nach Libyen erfolgte, hat niemand beobachtet?

    Ich gehe jede Wette ein, das diese 100 Jeeps nicht vom "IS" bestellt und gekauft wurden. Aber von wem dann?

  • Hier auch zwei schöne Beispiele, wer sich damals vehement für den IS einsetzte

    http://www.taz.de/!67249/

    (Natürlich Herr Cohn-Bendit, dessen politische Weitsicht immer wieder erstaunlich ist!)

     

    Und mal wieder so eine Skeptikerin:

    http://www.taz.de/!67328/

    (Frau Ditfurth, die mal wieder völlig unbegründet auf Bombenschmeißen nicht so starke Lust hatte wie Cohn-Bendit).

  • Viele flüchten aber noch mehr bleiben doch da. In wie weit verändert sich deren Leben, wie gehen die damit um. Ist es leicht zu flüchten oder bringt der IS die Flüchtenden um .Hassen die Zurückgebliebene den IS oder gibt es viele die froh sind? Der Hass muss doch eher groß sein, da auch viele ermordet wurden , auch Kinder . Ich kann mir nur sehr schwer ein Bild machen , obwohl es so eine Informationsflut gibt. Haben die denn Rückhalt in der Bevölkerung?

  • Es sollte ergänzt werden, dass Sirte damals im Kampf gegen Gaddafi in Schutt und Asche zerschossen wurde. Unzählige Zivilisten starben. Schon damals wurde gewarnt, dass der militärische Sturz Gaddafis keinen Frieden bringen, sondern das Land nicht nur vom Regen in die Traufe, sondern in noch schlimmere Hände, nämlich in die Hände radikalster Islamisten, bringen könnte. Genau dies ist nunmehr eingetreten. Libyen ist als Gesellschaft zerstört, mehr als eine Millionen Menschen haben sich schon nach Tunesien geflüchtet - von insgesamt sechs Millionen Einwohnern! Hunderttausende sind innerhalb des Landes auf der Flucht. Tausende wurden in die Kerker von Milizen verschleppt, sind dort Folter und Sklavenarbeit ausgesetzt. Die Menschenrechtsverletzungen unter Gaddafi waren schwerwiegend, was aber jetzt herrscht ist exponentiell schlimmer. Diejenigen, die glauben mithilfe von ausländischen Militärinterventionen Menschenrechte durchsetzen zu können, sollten innehalten und ihre Position überdenken. Denn das, was sie tun, mag sich auf die Menschenrechte berufen, aber in Wirklichkeit deren ärgsten Feinden in die Hände spielen. Libyen ist hierfür ein tragisches Beispiel, ein Beispiel, welches keines Schule machen sollte.

    • @PolitDiscussion:

      Glauben Sie denn immer noch, das es denen, die mit Hilfe von Teilen der NATO-Luftwaffe die libysche Armee zerstörten, um "Menschenrechte" ging?