Reisen nach Haiti: Das neue Zauberwort Tourismus
Schöne Strände hat die Karibikinsel genug, buntes Kunsthandwerk und Weltkulturerbe. Doch Not und Armut haben ihr Image geprägt.
Die Haitianer nennen es „goudougoudou“. Ein lautmalerisches Wort für das 40 Sekunden lange Erdbeben vom 12. Januar 2010. Damals war das Land in den Schlagzeilen. Eine Katastrophe, die gleichzeitig die Hoffnung weckte, dass mit internationaler Hilfe und dank der großen Aufmerksamkeit, die Haiti damals zuteil wurde, eine Möglichkeit für einen Neuanfang bestünde. Weg vom Ruf des ärmsten Landes. Tourismus ist heute dafür das Zauberwort.
Eine Gruppe kanadischer Touristen ist die Vorhut des Tourismus, den sich Präsident Michel Martelly auf die Fahne geschrieben hat. Angeboten wird die Pauschalreise von dem kanadischen Reiseveranstalter Transat Holidays in Kooperation mit der alteingesessenen haitianischen Reiseagentur La Citadelle von Pierre Chauvette. Ein quirliger Typ in den 50ern, der mit einem rasanten Tempo seine Sätze auf Englisch bastelt und sich an Zeiten erinnert, als es in Haiti sieben deutschsprachige Reiseführer gab.
Er ärgert sich, dass man ausländische Journalisten immer wieder zu den Slums führt, anstatt auf die Schönheiten des Landes hinzuweisen: „Wir werden die Probleme Haitis nicht lösen können, indem wir nur die negativen Seiten zeigen.“ Im Programm seiner Agentur hat er eine ganze Reihe kleiner und größerer Touren zusammengestellt: Strandurlaub, kulturelles Sightseeing, Streifzüge durch Städte, Wanderungen.
Kein Land für Individualreisende
Einheimische Reiseveranstalter: Agence Citadelle www.agencecitadelle.com,Tel. (5 09) 2 23-59 00;Voyage Lumiere Haiti voyageslumiere.com, Tel: (5 09) 36 07-1321.
Ausländischer Reiseveranstalter: Kanadischer Reiseveranstalter Transat Holidays www.transatholidays.com
Museé de la canne à sucre: parccanneasucre.org/
Unterkunft rund um Cap Haitien: Lakou Lakay - einfache Zimmer (von Monsieur Maurice), Tel. (5 09) 36 67 60 70 oder 36 14 24 85; Hotel Cormier Plage, gehobener Standard, direkt am Strand, exzellente Küche, Tel. (5 09) 37 02 02 10 oder 38 04 66 73.
Reiseführer: "Haiti" von Paul Clammer im Bradt Verlag, 22,64 Euro.
Tipp: Wer auf eigene Faust reist - was nicht sehr einfach ist -, sollte sich in Haiti eine Prepaid-Karte für sein Handy besorgen. Das Handynetz ist sehr gut ausgebaut.
Auch ein Besuch des Musée de la canne à sucre steht auf dem Programm. Das Museumsgelände ist ein grünes Idyll inmitten einer staubigen Industrielandschaft. Eine einstige Zuckerrohrfabrik mit einer alten Lokomotive und einer Mühle, die, von Sklaven angetrieben, aus den Zuckerrohrpflanzen den Saft herauspresste, der dann in großen Kübeln zu Sirup gekocht wurde. Eine beindruckende Materialsammlung, die von der Verschleppung der Sklaven bis zur ersten unabhängigen schwarzen Republik erzählt. Zum Stolz der Haitianer, die sich 1804 als erste Kolonie Lateinamerikas die Unabhängigkeit erkämpft hatten, gesellt sich immer Wehmut über die wechselvolle Geschichte ihres Landes. Dabei war Haiti, das auf der Westhälfte der Insel Hispaniola liegt, die es sich mit der Dominikanischen Republik teilt, die reichste Kolonie Frankreichs.
Am Ende des Rundgangs gibt es Rumpunsch auf der Restaurantterrasse: stark, süß und sehr süffig. Ein junger Mann aus Montreal zieht sich für eine Zigarette an einen Nebentisch zurück. Sein Vater ist Haitianer und will auf keinen Fall wieder einen Fuß auf haitianischen Boden setzen. Er hingegen will seine Familie in den Bergen von Kenscoff besuchen, die von seiner Ankunft nichts weiß.
Außer einem veralteten Reiseführer hat er nichts, um sich in Haiti durchzuschlagen. Auf eigene Faust nach Kenscoff zu kommen wird sicher nicht einfach. Denn es gibt kaum öffentliche Verkehrsmittel. Nur die überfüllten Taptaps, Sammeltaxis, deren Abfahrtsstationen keine Schilder aufweisen, wo man beim Fahrer vorne anklopft und „Merci chauffeur“ sagt, damit er den Fahrgast herauslässt.
Das ursprüngliche Wort „Ayiti“ bedeutet in der Sprache der Tainos, der Ureinwohner Haitis, „Land der hohen Berge“. Dort oben in den Bergen Haitis schwingen in den frühen Morgenstunden zarte, zikadenähnliche Töne der Anoli-Eidechsen durch die Höhen. Die ersten Hahnenschreie werden von der nebligen Brise über die Täler getragen.
Von Port-au-Prince sind es knapp 20 Minuten Flug mit einer kleinen Passagiermaschine nach Cap-Haïtien, der Hauptstadt der nördlichen Provinz und bedeutender Touristenort. Hier sollen in den nächsten Jahren 700 neue Hotelzimmer entstehen. Die Hotels, die einen verschlafenen, familiären und architektonisch typischen Charakter haben, sollen dann an internationale Hotelstandards angeglichen werden.
An der Küste liegt das Hotel Cormier Plage. Sein Eingang erinnert an einen tropischen Urwald: riesige Palmen, kreischende Papageien, dazwischen gekieste Wege, vorbei an einem Tennisplatz zu einer kleinen Rezeption. Cormier Plage ist eine Anlage mit Tradition direkt am feinsandigen Strand, ausgestattet mit haitianischen Möbeln, Kunsthandwerk und sogar Kanus der Tainos. Nur 39 Zimmer gibt es hier. Man bestellt sich seinen Drink oder einen Snack an der Bar, legt sich in einen der Liegestühle, lässt den Sand durch die Zehen rieseln und traut dann kaum seinen Augen, wenn am Horizont ein Raumschiff auftaucht. Riesig, unförmig und unwirklich.
Kreuzfahrer im kulturellen Niemansland
Das Kreuzfahrtschiff der Royal Caribbean Company steuert die nahen Strände von Labadee an. „Wobei der Ort eigentlich Labadie geschrieben wird, aber für anglophone Touristen würde das in der Aussprache zu morbide klingen“, erklärt Hans Broder Schutt, deutscher Honorarkonsul Haitis in der sechsten Generation, der hier einen Drink nimmt. Seine Vorfahren gehörten vor zweihundert Jahren zu den ersten Deutschen, die auf Haiti ihr Glück suchten. Die Strände von Labadie sind ein Ausflugsziel, das exklusiv nur von der Royal Carribean Company angesteuert werden darf. Ein kulturelles Niemandsland wird als Traum von Karibik mit feinem Sand und Palmen verkauft.
Hans Broder Schutt glaubt trotzdem daran, dass deutsche Touristen auf Haiti etwas Besonderes entdecken können. „Der deutsche Tourist ist neugierig. Selbst die Hotels sind anders. Nicht wie diese Riesenhotels in der Dominikanischen Republik. Es ist ein Erlebnis wenn man nach Haiti kommt“, sagt er.
Milot beispielsweise ist ein geschichtsschwangerer Ort im Département Nord von Haiti, 15 Kilometer südlich von Cap-Haïtien. Im Süden des Ortes liegen im historischen Nationalpark die Ruinen des Palais Sans Souci, benannt nach dem Vorbild aus Potsdam. Es war einst die Residenz des haitianischen Königs Henri Christophe. Ein Erdbeben von 1842 legte den Palast in Trümmer. Im Hauptsaal soll ein überlebensgroßes Bild Napoleons gehangen haben. Als Henri Christophe Opfer eines Schlaganfalls wurde und halbseitig gelähmt war, zerriss er das Gemälde in Stücke, bevor er sich mit einer Silberkugel erschoss.
Müll ist ein Riesenproblem
Monsieur Maurice, der elegante Fremdenführer im Streifenhemd und gebügelter Faltenhose, führt von dort zur Citadelle, einer mächtigen Burgfestung auf 900 Metern Höhe. Am Wegesrand immer wieder Hütten: aus Wellblech, Bananenblätter, Holz. Vorbei an einer Gruppe von Kindern, die, perfekt getimt, auf Bambusröhren typische Rara-Musik spielen, die ihren Ursprung im Voodoo hat. 14 Jahre hat es gebraucht, die Citadelle zu erbauen, 20.000 Arbeiter wurden eingesetzt. Die Mauern sind vier Meter dick und vierzig Meter hoch. 1982 wurde sie Unesco-Weltkulturerbe.
Von hier oben erscheint alles friedvoll, geordnet, stimmig. Bis es wieder hinunter in die Stadt geht, vorbei an den Toren des Marktes, dem Gewimmel der Händler, über das Flussbett, in dem jede Menge Plastikflaschen und Stryroporbehälter liegen. Müll ist in Haiti ein Riesenproblem. Monsieur Maurice lässt sich davon nicht erschüttern: „Wir haben so viel zu bieten, auch die Haiti vorgelagerten Inseln. Wir arbeiten daran, diese Inseln touristisch zu erschließen. Mit Geduld und klarer Zielsetzung werden wir das schaffen.“
Das Tourismusministerium unter Ministerin Stéphanie Balmir Villedrouin will einen Tourismus fördern, der die Menschen Haitis mit einbezieht. Das ist nicht einfach. Auf den idyllischen Insel Île à Vache vor Les Cayes im Süden Haitis protestieren die Bewohner. Sie fürchten um ihre Existenz, um ihre Rechte als Bürger, um ihr kleines Stück Land, das jetzt modernen Hotelanlagen weichen soll. Und man ärgert sich, dass für die Bauarbeiten dominikanische Firmen beauftragt wurden, anstatt Einheimische zu beschäftigen.
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