Philippinischer Gangsterfilm: Punk-Oper mit Smartphone
Khavn De La Cruz’ „Ruined Heart – Another Love Story between a Criminal and a Whore“ hat unwiderstehlichen Drive und bietet volle Reizüberflutung.
Wenn ein Film des philippinischen Filmemachers Khavn De La Cruz den Untertitel „Another Love Story between a Criminal and a Whore“ trägt, ist ganz sicher keine gewöhnliche Gangstergeschichte zu erwarten. Im philippinischen Kino, das in den vergangenen zehn Jahren mit Lav Diaz, Brillante Mendoza, Raya Martin und Jim Libiran markante Spuren auf internationalen Filmfestivals hinterlassen hat, gilt Khavn als Guerilla-Auteur, der seine Filme in hohem Tempo runterdreht.
Über dreißig sind es inzwischen, in nur zwanzig Jahren. Von den epischen Digital-Verité-Werken eines Lav Diaz könnte er mit dieser Arbeitsweise nicht weiter entfernt sein, an formalen Konventionen hat Khavn bislang wenig Interesse gezeigt. „Ruined Heart – Another Love Story between a Criminal and a Whore“ ist ein schönes Beispiel für die rohe Energie seines Kinos, das sich selbst die Smartphone-Ästhetik auf souveräne Weise zu Eigen macht.
Der Hauptdarsteller Tadanobu Asano fungiert in „Ruined Heart“ zeitweilig auch als Kameramann. Während der Verfolgungsjagden durch die Slums von Manila führt er die Digitalkamera in Armeslänge vor sich, was die Action in bizarre Perspektiven rückt. Khavns Kino ist ein Medium der Immersion. Der Überdruck seiner kleinen, brutalen Geschichten, die ungehemmt zwischen den Genres springen, entlädt sich in Reizüberflutung.
„Ruined Heart“ ist nach „Mondomanila“ der zweite Film von Khavn De La Cruz, den die Genre-Enthusiasten vom Kölner Verleih Rapid Eye Movies produziert haben. In den 1990er Jahren haben sie bereits den japanischen Vielfilmer Takashi Miike, in vieler Hinsicht eine verwandte Seele Khavns, in Deutschland bekannt gemacht. Im direkten Vergleich der beiden Arbeiten zeigt sich auch die stilistische Bandbreite Khavns.
„Ruined Heart: Another Love Story Between a Criminal and a Whore“. Regie: Khavn De La Cruz. Mit Elena Kazan, Nathalia Acevedo u. a. Philippinen/Deutschland 2014, 73 Min.
„Mondomanila“ war ein wilder Hybrid aus Gangster- und Exploitationfilm: Genrekino im „Mondo“-Verfahren, jenen sensationsheischenden Pseudodokumentationen, mit den sich Schmuddel-Ethnograf Gualtiero Jacopetti in den 1960er Jahren einen Namen machte. Khavn verstand „Mondomanila“ aber auch als eine Form der Aneignung. Er ließ die Kleinkriminellen, Huren und Freaks aus den Slumvierteln ihre Version eines „Ghettolebens“ als schrillen Gewaltcomic erzählen.
Methamorphosen und entgrenzte Tanzeinlagen
„Ruined Heart“ bezeichnet Khavn selbst als Punk-Oper. Zwar spielt Musik in fast allen seinen Filmen eine tragende Rolle, doch diesmal übernimmt sie eine leitmotivische Funktion. So durchläuft das von Khavn geschriebene Titelstück im Film die schönsten Metamorphosen: als Pianoballade, als Karnevalsnummer des Gitarristen Scott Matthew, als frankophiler Casio-Pop von Stereo Total (die einen Großteil der Stücke geschrieben haben) und in einer Rocksteady-Version der Filipin Soul Stompers. Dazu gibt es eine traumhaft entgrenzte Tanzeinlage zu John Holts Reggae-Klassiker „Ali Baba“ und einen irren Hasil-Adkins-Rockabilly-Gedenktanz mit Regenschirm. Die musikalischen Einsätze verbinden die losen Handlungselemente zu einer notdürftigen Geschichte (der Drehbuchentwurf bestand aus „45 scenes in a random order“), die ohne Dialoge auskommt.
Ein Auftragskiller soll die Freundin eines Gangsterbosses bewachen, verliebt sich in sie, beide fliehen. Auf dem Papier wirklich nicht mehr als „just another love story“, jedoch mit unwiderstehlichem Drive erzählt.
Gleichzeitig öffnet „Ruined Heart“ Khavns versponnenes Kino erstmals für den internationalen Arthouse-Markt – was sich im Fall seiner mexikanischen Hauptdarstellerin Nathalia Acevedoas (in der Rolle der Hure), die schon Carlos Reygadas’ jüngstem, leicht ätherischem Spielfilm „Post tenebras lux“ eine faszinierende physische Wucht verlieh, als Glücksgriff erweist.
Der Kameramann Christopher Doyle, den man von den Filmen Wong Kar Wais kennt, arbeitet dagegen immer wieder gegen die charakteristischen Brüche in Khavns Kino an. Seine kristallklaren Digitalbilder nehmen den Rhythmus der Songs gekonnt auf (was eher an Musikvideos als an eine Punk-Oper erinnert), sie rücken den Film dadurch aber allzu oft in ein etwas zu attraktives, liebliches Licht. Worin dann auch der gravierende Unterschied zu „Mondomanila“ besteht. Tief in seinem Innersten ist „Ruined Heart“ ein Märchen.
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