: „Bella figura machen“
INTERVIEW CHRISTIAN FÜLLERUND HANNES KOCH
taz: Kennen Sie Joe Turner?
Peer Steinbrück: Natürlich, das ist der CIA-Agent in einem meiner Lieblingsfilme, „Die drei Tage des Condors“.
Joe Turner alias Robert Redford deckt miese Machenschaften seiner Geheimdienstkollegen auf. Die wollen ihn deshalb ermorden. Was gefällt Ihnen so an Joe Turner?
Am besten gefällt mir, ehrlich gesagt, Faye Dunaway. Turner kidnappt sie, und doch entwickelt sich etwas zwischen den beiden. Das ist faszinierend gespielt. Wie sich die fast depressive Cathy mit ihren tristen Fotos von entlaubten Bäumen und leeren Bänken ihm, dem Verfolgten, annähert.
Okay, die Frau. Und Turner?
Auch die Rolle Redfords hat es in sich. Wie er seine Naivität verliert und sich in die Machenschaften hineinziehen lässt. Aber er bleibt standhaft, er widerspricht. Am Schluss gibt er sich zu erkennen als jemand, der an Gerechtigkeit glaubt und Prinzipien hat.
Klingt wie eine Analogie zu Ihrem Job. Da ist die Verzweiflungsgemeinschaft der großen Koalition, in der alle, die sich vorher bekämpften, plötzlich so tun, als würden sie sich fürchterlich lieb haben. Es wird getrickst und getäuscht – und mittendrin der tolle Peer, der gute Mensch, der gegen alle Widerstände die Kasse zusammenhält. Ist es das, was Ihnen gefällt?
Nee, das garantiert nicht. Ich bin doch eher ausersehen für die Rolle des Bad Guy.
Sie haben sich also schon damit abgefunden, so zu enden wie Ihr Vorgänger Hans Eichel?
Der Finanzminister muss Spaßverderber sein, das verlangen die Umstände. Aber ich möchte gern zu mehr beitragen: eine verlässliche und nachhaltige Haushaltspolitik zu kombinieren mit Impulsen für die Wirtschaft. Sparen allein hilft nicht gegen Depressionen.
Nachhaltige Haushaltspolitik? Gerade hat man Ihnen die Zähne gezeigt, indem Ihre Kollegen zusätzliche 1,3 Milliarden Euro an Neuverschuldung beschlossen.
Ja, das war nicht optimal.
Wie ist das abgelaufen?
Der Koalitionsausschuss von Union und SPD tagte, und ich war nicht dabei.
Franz Müntefering sagte anschließend im Radio, das wäre nicht okay für Herrn Steinbrück, aber da müsse er nun durch. Wie oft kann sich ein Bundesfinanzminister so was bieten lassen?
Es macht keinen Sinn, den dicken Max zu markieren. Der Punkt ist erstens, dass sich ein solcher Vorgang nicht wiederholen darf. Und zweitens, dass sich das Kollegialorgan Bundeskabinett mit den Konsequenzen dieses Beschlusses zu befassen hat. Das ist jetzt unser gemeinsames Problem.
Wie wollen Sie dafür sorgen, dass das nicht noch einmal passiert?
Indem ich ab jetzt im Koalitionsausschuss vertreten bin.
Und was nutzt das? Es gibt bereits den zweiten Versuch, Ihnen Geld aus der Tasche zu ziehen. Das Familienministerium will die Kinderbetreuungskosten wesentlich höher ansetzen als das Finanzministerium. Wie wollen sie das verhindern?
Nicht jede Abstimmung im Kabinett enthält so viel Dramatik, wie sich Ihre Branche das wünscht. Wenn eine Kabinettskollegin den Eindruck hat, sie müsse von dem Wünschenswerten mehr realisieren als vorgesehen, dann muss sie zugleich einen Vorschlag machen, wie sie das erwirtschaften will.
Und wenn Familienministerin Ursula von der Leyen diesen Vorschlag nicht macht?
Dann gibt es keine Erhöhungen über das haushaltspolitisch Vertretbare hinaus.
Auch Ihr Vorgänger ist als eiserner Hans gestartet. Zur Illustrierung hatte er hier auf diesem Schreibtisch eine Kompanie Sparschweine aufgestellt. Nun haben Sie sich ein stolzes Nashorn mitgebracht. Was sagt uns das?
Nehmen Sie es einfach als ein persönliches Accessoire. Ich find das Tier gut.
Weil es Standfestigkeit und Dickhäutigkeit symbolisiert?
Was Sie Tiefgründiges in einem Rhinozeros erkennen! Dabei ist die Sache so simpel. Dieses Tier fängt ganz langsam an zu laufen. Aber wenn es erst mal Geschwindigkeit aufgenommen hat, ist es nur noch schwer zu stoppen.
Aus Ihrer Zeit als Finanzminister in Nordrhein-Westfalen ist der schöne Satz überliefert, man müsse sparen, „bis das Blut unter den Fingernägeln herausläuft“. Im Bundestag sagten Sie gerade, Deutschland könne „sich nicht aus dem Defizit heraussparen“. Was stimmt denn nun?
Ohne ein höheres Wachstum, eine größere Robustheit der sozialen Sicherungssysteme und Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt werden wir die öffentlichen Haushalte nicht in den Griff bekommen. Deswegen hat die große Koalition ja auch ein Impulsprogramm von 25 Milliarden Euro über vier Jahre beschlossen. Zum Beispiel müssen wir die gewerbliche Wirtschaft fördern und die Kapitalausstattung kleiner und mittlerer Unternehmen verbessern. Und wir müssen begreifen, dass Bildung, Forschung und Entwicklung einen hohen Stellenwert für unsere Wettbewerbsfähigkeit haben.
Keine Rede von Ihnen, in der Sie nicht betonen, wie wichtig es sei, in Bildung, Wissen und Innovation zu investieren. Aber wieso machen Sie es dann nicht?
Tun wir doch! Wir stellen in den nächsten vier Jahren sechs Milliarden Euro mehr für die Forschung und Entwicklung zur Verfügung.
Und wie soll dieser Zuwachs, bitteschön, an die richtigen Stellen fließen? Die Bund-Länder-Kommission für Forschungsförderung, die das bisher organisierte, gibt es bald nicht mehr. Die wird gerade durch die Föderalismusreform abgeschafft.
Sie können das Geld auch ohne eine solche Kommission effektiv verteilen. Wir haben eine reichhaltige Landschaft an Forschungseinrichtungen und Wissenschaftsorganisationen. Und Sie können selbstverständlich Forschungs- und Entwicklungsförderung über Bundesprogramme organisieren. Dafür brauchen sie keinen formalen Club.
Wie glaubwürdig ist eine Politik, die einen Sechs-Milliarden-Zuwachs für die Forschung beschließt, aber keine gesetzliche Grundlage mehr dafür hat, um das Geld an die richtigen Stellen zu leiten?
Das ist doch gar nicht zwingend. Die Bundesregierung kann doch Fördermittel im Zusammenwirken mit Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen und der Wirtschaft vergeben.
Heute grenzen Sie sich ab von bloßer Sparpolitik. Vor zwei Jahren klang das noch anders. Da haben Sie zusammen mit dem hessischen Ministerpräsidenten die so genannte Koch-Steinbrück-Liste ausgearbeitet, um massiv Subventionen zu streichen. Gilt das heute nicht mehr?
Das Handwerkszeug, das Herr Koch und ich vorgelegt haben, ist nach wie vor benutzbar. Aber die damalige Liste war sehr umfangreich. Da waren auch Positionen drin, bei denen viele gesagt haben: Das ist doch keine Subvention, sondern eine Investition, zum Beispiel zum Ausbau der Eisenbahn-Infrastruktur. Deswegen haben wir die alte Liste bei den Koalitionsverhandlungen so nicht mehr verwendet.
Leider haben Sie auch viele höchst fragwürdige Subventionen komplett ausgespart. Zum Beispiel die steuerliche Begünstigung von Millionen von Dienstwagen. Da könnten Sie Milliarden sparen.
Touché, da haben Sie Recht. Aber das ist wegen des Automobilabsatzes hoch umstritten, innerhalb meiner Partei, innerhalb der Koalition sowieso.
Vor allem bei DaimlerChrysler.
Nicht nur da. Allein in den vergangenen drei Tagen habe ich acht oder neun Briefe bekommen, die alle für die Streichung von Subventionen sind, aber bitte nicht in diesem Fall.
Von wem denn?
Sehr unterschiedliche Absender.
BMW und VW waren auch dabei?
Tut nichts zur Sache. Jedenfalls sagen die mir alle ohne Ausnahme: Wir sind für Konsolidierung, wir sind für die Streichung von steuerlichen Sondertatbeständen – aber das mit der Dienstwagenbesteuerung, das lassen Sie bitte mal so, wie es ist.
Früher haben Sie schon mal laut über höhere Steuern auf Kapitaleinkommen nachgedacht. Vermögensteuer, Erbschaftsteuer – warum spielt das keine Rolle mehr?
Das löst das Problem nicht. Die Einnahmen werden überschätzt, die Schwierigkeiten zum Beispiel im Umgang mit dem Betriebsvermögen werden unterschätzt. Im Übrigen gerät die Erbschaftsteuer allein wegen des anstehenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts auf die politische Tagesordnung.
2007 wollen Sie die Verschuldung begrenzen und das Stabilitätskriterium des Maastricht-Vertrages wieder einhalten. Steht das nicht im Widerspruch zu Ihrem Ziel, das Wachstum zu unterstützen?
Nein, für mich ist das kein Widerspruch. Von vielen Menschen wird eine solide Haushaltsführung als etwas Vertrauensbildendes wahrgenommen. Dann konsumieren sie auch mehr. Und das stärkt die inländische Nachfrage.
Ihr wichtigeres Motiv für die Einhaltung des Maastricht-Vertrages scheint zu sein, dass Sie eine „europäische Währungskrise“ befürchten, wie Sie unlängst sagten. So schlimme Worte dürfe ein Finanzminister gar nicht in den Mund nehmen, hat man Ihnen daraufhin vorgeworfen. Was haben wir uns unter „Währungskrise“ vorzustellen?
Das war eine längere, differenzierte Abteilung in einer Bundestagsrede. Das Einzige, was ich dazu sage ist, dass Deutschland ein massives Interesse an einem stabilen Euro hat. Der Außenwert der Währung ist auch abhängig davon, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt in seiner Bedeutung gestärkt und nicht geschwächt wird.
Sie gelten als sehr guter Schachspieler, da haben Sie gewiss eine Ausweichstrategie, falls Maastricht nicht funktioniert. Wie sieht die aus?
Das ist die ständige Frage nach dem Scheitern – nicht nach dem Gelingen: Was tun Sie, wenn der Himmel einstürzt und alle Spatzen tot sind? Die konjunkturellen Aussichten bessern sich doch. Wir müssen alles tun, um die sich aufhellenden Wachstumsaussichten zu unterstützen, so dass 2006 die Welle so hoch wie möglich wird – damit wir dann 2007 mit Ausgabenkürzungen und mit der Mehrwertsteuererhöhung über die Maastricht-Klippe kommen.
Möglicherweise sitzen Sie dann mit Ihrem Surfbrett auf dem Trockenen.
Das kann man immer einwerfen und es entspricht der verbreiteten Neigung, das Scheitern in den Mittelpunkt zu stellen. Kann aber auch sein, dass wir bella figura machen.
Wenn es noch möglich wäre, haben Sie einmal gesagt, würden Sie gerne Walther Rathenau interviewen, den Außenminister der Weimarer Republik, der 1922 ermordet wurde. Warum ihn?
Rathenau war eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Die Beziehung zu seinem Vater war ganz kompliziert. Er entstammte dem konservativ-bürgerlichen Milieu, hatte jüdischen Hintergrund, übernahm eine große Verantwortung für die neue Republik. Das alles muss ihn innerlich fast zerrissen haben. Und es hat ihn schließlich das Leben gekostet. Eine hochspannende Persönlichkeit mit steilen Lernkurven.
Trifft das auch auf Sie zu?
Ach, Sie graben zu tief. Was bedeutet das Rhinozeros, warum Walther Rathenau? Ich hätte genauso gut Harry Graf Kessler nennen können, oder Manés Sperber oder Arthur Koestler.
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