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Zwischen Hysterie und DesinteresseKommentar von Stefan Reinecke

Ist das Alte Testament mit dem Grundgesetz vereinbar? Überlegen Sie gut, denn wenn Sie falsch antworten, steht Ihre Verfassungstreue in Zweifel.

Zumindest ist dies die krude Logik des konservativen Innenministeriums in Stuttgart. Denn das legitimiert den Test für muslimische Einbürgerungswillige mit einer Umfrage, nach der 21 Prozent der hiesigen Muslime 2004 Koran und Grundgesetz für unvereinbar hielten. Jeder fünfte Muslim ein verkappter Islamist – das ist die erstaunliche Interpretation dieser Umfrage in Stuttgart.

Für CDU-Innenminister Heribert Rech taugen diese 21 Prozent als Grund, um Muslime in Baden-Württemberg unter den Generalverdacht der Verfassungsfeindlichkeit zu stellen. Dies zeigt, wie viele Konservative noch immer über Migranten urteilen – im Zweifel nach den eigenen Vorurteilen. Und da gehören Demokratie und Christentum zusammen, und der Islam halt nicht. Und wenn die Studie, die das beweisen soll, ebendies nicht tut – dann ist das auch egal.

Kein Missverständnis: Bestimmt hängen manche muslimischen Migranten finsteren, autoritären Ideen an. Zumal viele das Gefühl haben, dass ihnen die deutsche Mehrheitsgesellschaft wenig Chancen bietet und der Rückzug in reaktionäre religiöse Identitäten daher verlockend erscheint. Vielleicht denken auch wirklich 20 Prozent so – bei den Deutschen jedenfalls analysiert die Sinusstudie alle Jahre wieder bei knapp einem Fünftel autoritäre und rechtsextreme Fixierungen.

Nur – über Muslime wissen wir wenig. Es gibt kaum aussagekräftige, wissenschaftliche Untersuchungen über die Entwicklung antidemokratischen Denkens bei ihnen. Das ist kein Zufall, sondern ein Zeichen für einen Mangel an kontinuierlichem Interesse. Das passt zu der Debatte, die zwischen Desinteresse und Hysterie, Skandaliserung und Achselzucken schwankt.

Und jetzt? Die Kritik an dem Muslim-Test ist nötig – und Erfolg versprechend. Die FDP in Stuttgart ist schon verhuscht auf Distanz zur CDU gegangen. Ebenso wichtig ist, dass sich die Mehrheitsgesellschaft mit antidemokratischem Denken bei Migranten befasst. Aber mit Genauigkeit – und ohne Vor- und Pauschalurteile.

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