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Durch innere Kräfte bewegt

CLUB Chillen unter Bäumen, ein Siebeneck zum Tanzen, verruchte Ecken zum Abhängen: Im Wedding gibt es einen neuen Club. Humboldthain heißt er, und noch bis Montagmorgen wird zur Eröffnung durchgefeiert. Wir haben zugesehen, wie der Club den letzten Schliff bekam

VON JENS UTHOFF

Baustelle, Außenbereich. Unter den begrünten Bäumen im üppigen Hinterhof sieht es idyllisch aus. Noch aber ist hier das Lärmen der Maschinen zu hören: sägen, schleifen, fräsen. Eine Holzhütte steht dort bereits, frisch zusammengezimmert. Bald wird darin eine Bar sein. Fünf bis zehn Leute wuseln umher, bauen Schnapsregale, den Tresen, die Verkleidung. Nur noch wenige Tage, und dies wird der After-Hour-Floor sein. Der Floor zum Chillen an der frischen Luft.

Wir sind in Spuckweite vom S-Bahnhof Humboldthain im Wedding. Hier entsteht gerade ein neuer Club, der genau wie die Haltestelle heißt. Das Eröffnungswochenende „Die Entdeckung des Humboldthain“ – eine charmante Reminiszenz an den Namensgeber des Hains – rückt derweil näher. Fünf Tage Feierei stehen bevor. Das etwa 20-köpfige Betreiberkollektiv sorgt jetzt für den letzten Schliff: Graffiti am Holzzaun, Kühlschränke putzen, Boxen anbringen.

Constantin Boese, 39, ist einer der zukünftigen Betreiber des Humboldthain. Er hat bereits im Tacheles, im Ritter Butzke und im alten Maria am Ostbahnhof Techno-/Elektro-Veranstaltungen organisiert. Das gesamte Kollektiv hat auch das „Plötzlich am Bodden“-Festival in Usedom veranstaltet. „Wir hatten das Know-how für ’nen eigenen Club beisammen“, sagt Boese, „und den Wunsch, was zu starten, gab’s schon lange.“ Dann kam man – ein „Glückstreffer“ – bezahlbar an die Räumlichkeiten am S-Bahnhof, in denen zuvor ein Metal- und ein Gay-Club waren.

Probieren beim Programm

Baustelle, Innenbereich. Man betritt einen siebeneckigen Raum mit einem fetten Pfeiler in der Mitte. Eine blaugrau gestrichene Wand und wieder Bäume – diesmal abstrakt und in Weiß darübergepinselt. Das hier wird der Main Floor, mit etwa 90 Quadratmetern. Jetzt steht hier noch: ein Tapeziertisch. Darauf: Silikondichtung, eine Kabelrolle und eine Werkzeugkiste. Einer der Jungs hobelt die Theke ab, ein Mädel tackert etwas an der Verkleidung hinter der Bar fest. Vier Boxen hängen bereits an den Wänden. Die Bassboxen aber stehen noch einfach so im Raum herum.

Sie warten darauf, in Betrieb genommen zu werden. Dann wird man im Humboldthain vor allem Elektro und Techno, aber auch Dub, HipHop und Black Music hören. „Wir sind da nicht richtig festgelegt“, sagt Constantin Boese, „wir wollen bezüglich des Programms rumprobieren.“ Konzerte soll es auch geben. Was die Liveacts betrifft, denkt Boese etwa an den Cumbia-Digital-Sound, der lateinamerikanische Tanzmusik mit Elektro verbindet.

Baustelle, Innenbereich, Etage eins. Dieser Raum ist schon fertig. Er sieht aus wie eine gute Hinterzimmerbar: Leicht verwinkelt, mit dunklen Ecken, anrüchig. Ein Wandbild gibt es auch hier. Das schlingenreiche Motiv wirkt leicht schamanistisch. Die Wände sind rötlich, neben der Bar haben einige Helfer in den Baupausen Graffiti-Tags hinterlassen. Hier oben wird der zweite Floor sein. Öffnet man die Tür, blickt man direkt auf die S-Bahn-Gleise und die Haltestelle.

Die große Frage: Wird es funktionieren? Clubs wie das Icon und das Horst Krzbrg mussten dichtmachen, generell aber scheint sich die Szene in der Stadt nur zu verlagern: Aus dem Icon wurde das Gretchen in Kreuzberg, selbst der Klub der Republik erlebt demnächst in Pankow eine Renaissance. Da passt es, dass nun im Wedding neben dem Stattbad ein weiterer subkultureller Fleck entsteht. „Auf’m Techno-Strich an der Revaler Straße wollte man vielleicht doch nicht unbedingt noch ’nen Laden aufmachen“, sagt Constantin Boese, „dort könnte das auch schiefgehen.“

Drei bis vier Leute sollen den Humboldthain-Club hauptberuflich betreiben, zwischen 20 und 40 Menschen werden etwa hinter der Theke, am Mischpult, an der Tür und der Garderobe arbeiten. Die Rentner von nebenan hätten sich schon erkundigt, was hier passiert: „Die Anwohner sind interessierter und neugieriger als zum Beispiel in Friedrichshain. Wir sind froh in einem Kiez gelandet zu sein, der sehr authentisch ist“, sagt Boese.

Eine Mauer aus Kalksandsteinen wird in der oberen Etage gerade noch gesetzt. Die Spiegelkugel hängt schon, eine ebenfalls verspiegelte Statue sucht noch ihren Platz. Die Lichtanlage liegt auf dem Boden. Ein Elektriker verlegt Leitungen im Main Floor. Nur noch drei Tage bis zur Eröffnung, Constantin Boese wirkt trotzdem einigermaßen locker: „Wird halt alles auf den letzten Drücker fertig, aber egal, das kennt man ja.“

Nicht glatt geleckt

Boese würde sich wünschen, dass der Wandel im Wedding, wo das Bild des Stadtteils gerade heterogener wird, anders vonstatten geht als in Prenzlauer Berg oder Mitte. „Es muss ja nicht glatt geleckt, nicht mit verkehrsberuhigten Zonen und Anzeigen wegen Ruhestörung enden“, sagt er. „Berlin sollte seine Clubkultur wertschätzen, die Stadt ist nun mal so was wie ein Hedonismustempel. Ich sehe das eher als Chance, dank der Wende an die 20er Jahre anzuknüpfen.“

Er habe Angst vor einer neuen konservativen Welle, die dann die ganze Stadt erfasst und die den lebendigen, rauen Kiezen ihren Charme nähme. Boese erinnert sich gerne an die 90er Jahre in Prenzlauer Berg, als Berlin für ihn einen völlig anderen Charakter bekam: „Man hat diesen Dreck und diese heruntergekommenen Häuser genossen, die haben geatmet“, sagt er.

Am Humboldthain ist fast alles mit eigenen Händen gebaut worden, von wenigen fachlichen Arbeiten abgesehen. An einem langen Tisch im Hof trifft man sich zur Lagebesprechung, es ist der improvisierte Bauwagen des Kollektivs. Ein Laptop ist aufgebaut, inmitten der Späne und des Lärms darf einer schon mal Werbung betreiben. Für die erste Party, die genauso anstrengend und schlafarm werden dürfte wie die letzten Tage am Bau.

Was Alexander von Humboldt wohl von der Clubkultur nahe dem nach ihm benannten Park gehalten hätte? Ganz einfach, er hätte auch hier forschen können. Vor seiner Südamerikareise Ende des 18. Jahrhunderts schrieb Humboldt: „Was mir den Hauptantrieb zu dieser Reise gewährte, war das Bestreben, Erscheinungen der körperlichen Dinge in ihrem allgemeinen Zusammenhang, die Natur als ein durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganzes aufzufassen.“ Und um die physische Natur des Menschen und um ein bewegtes und belebtes Ganzes geht es hier schließlich auch.

■ Eröffnungsparty „Die Entdeckung des Humboldthain“ noch bis 13. Mai, Hochstraße 46/ S-Bhf. Humboldthain. Info: www.facebook.com/Humboldthain.Club

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