Wolfgang Gast LEUCHTEN DER MENSCHHEIT: Eine Geschichte ohne Erfolg
Das Urteil des Fachmanns ist eindeutig. Bei allen schweren terroristischen Anschlägen der vergangenen Jahre hat der Verfassungsschutz weder zur Verhinderung noch zur Aufklärung beigetragen. Der das sagt, sollte es wissen: Er heißt Winfried Ridder und war bis 1995 im Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz fast 20 Jahre als Referatsleiter zuständig für den linken Terrorismus. Er hat seine Überlegungen jetzt unter dem Titel „Verfassung ohne Schutz – Die Niederlagen der Geheimdienste im Kampf gegen den Terrorismus“ veröffentlicht (dtv, 2013). Das Kernproblem aus seiner Sicht: die „Vertrauenspersonen“, vulgo: V-Leute.
Jahrzehntelang hätten sich die Verfassungsschützer darauf konzentriert, mit V-Leuten die Pläne terroristischer Gruppen auszukundschaften. Illusion, sagt Ridder, weder bei der RAF noch bei den Hamburger Attentätern vom 11. September noch beim NSU sei dies gelungen. Ein Irrtum sei zu glauben, man könne sich auf V-Leute als Quellen verlassen. Im Fall der Zwickauer NSU-Zelle stellten diese eher ein „Sicherheitsrisiko als eine Hilfe für den Staat“ dar. Bravo!, möchte man rufen, endlich hat auch einer aus den Behörden verstanden, was schiefläuft.
Möchte. Denn da gibt es die Idee, was die V-Mann-Praxis ersetzen soll. Der Autor setzt auf Polizei. „Verdeckte Ermittler“ sollen die Szene aufklären. Dass Ridder so nebenbei das Trennungsgebot zwischen Geheimdienst und Polizei über Bord wirft, ist schon problematisch. Und von der psychischen Belastung, unter einer Legende zu leben, und auch vom steten Risiko der Enttarnung abgesehen. Was lässt den Autor glauben, dass Undercover Agents effizienter, charakterfester und loyaler sind als die Leute, die meist für Geld ihre Kumpels verpfeifen? Auch der beamtete Spitzel muss wenigsten zum Anschein so tun, als wolle er „seine“ Truppe unterstützen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass der Weg vom UCA zum „Agent provocateur“, also zum Anstifter, sehr, sehr kurz sein kann. So geschehen etwa bei den Protesten gegen den G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm oder gegen das Nato-Treffen 2010 in Baden-Baden, wo eingeschleuste Beamte zu Straftaten aufriefen. Nüchtern gesehen: Herr Ridder tauscht nur den Teufel gegen den Beelzebub aus.
■ Der Autor ist Redakteur der taz
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