: „Die Wellen sind da und erst mal kostenlos“
DER WELLENREITER Arnd Wiener war Kampfkunstlehrer und in der Antifa, bevor er mit Mitte zwanzig das Meer für sich entdeckte. Der heutige Jugendnationaltrainer der deutschen Surfer hätte sich seitdem auch ein Leben am Strand gut vorstellen können, entschied sich aber für Berlin. Nun arbeitet er daran, dass die Menschen auch hier bald auf den Wellen reiten können: Wiener hat Pläne für eine Surfanlage mitten auf dem Tempelhofer Feld
■ Der Mensch Der heute 47-Jährige wächst im niedersächsischen Nienburg auf. In Berlin wohnt er zunächst in Kreuzberg, engagiert sich in der Antifa und fährt 1992 nach Rostock-Lichtenhagen, um dort den ausländerfeindlichen Mob aufzuhalten. Die Übergriffe dort, sagt er, waren „das Krasseste, was ich je erlebt habe“. Arnd Wiener lebt heute mit Frau und Kind in Potsdam.
■ Der Surfer Nach Ausflügen in die Kampfkunst und die Heilmedizin sowie einem missglückten Versuch als Autoexporteur entdeckt Wiener im Alter von 26 Jahren das Surfen. Er arbeitet als Surflehrer auf Sylt, in Frankreich, Costa Rica, auf den Kanaren und in Portugal. Als aktiver Surfer wird er siebenmal deutscher Vizemeister, 2003 deutscher Meister. Als Mitglied der deutschen Nationalmannschaft wird er im selben Jahr Fünfter bei der EM. Vor sechs Jahren übernahm Wiener als Nationaltrainer die deutschen Jugendnationalmannschaften.
■ Das Projekt Mit einem Geschäftspartner will Wiener das Surfen bald auch in Berlin ermöglichen: Die Anlage Wavegarden erzeugt in einem überdimensionalen Pool eine künstliche Welle. Für die Finanzierung der Kosten von rund 5 Millionen Euro sucht Wiener Investoren. Als Ort schwebt ihm das Tempelhofer Feld vor, aber auch alternative Plätze wie der Olympiapark seien denkbar. (tla)
INTERVIEW TORSTEN LANDSBERG FOTOS MIGUEL LOPES
taz: Herr Wiener, nach einem sehr langen Winter eine von Neid getriebene Frage: Wie viel Zeit des Jahres verbringen Sie eigentlich in Deutschland?
Arnd Wiener: In den letzten Jahren war ich weniger in Deutschland als im Ausland, vielleicht so fünf Monate. Das wird sich jetzt aber ändern.
Warum?
Weil mein Sohn jetzt hier eingeschult wird.
Also weniger Strand und mehr grau. Hat sich der Surftrainer damit schon angefreundet?
Letztes Jahr war die Weltmeisterschaft in Panama, und weil ein Junge aus meiner Mannschaft in Costa Rica wohnt, bei einer der besten Wellen der Welt, haben wir vorher dort trainiert. Das wollte ich meiner Familie zeigen – ob das nicht auch ein gutes Land wäre zum Leben. Aber die Entscheidung ging 2:1 für Deutschland aus. Kann man nichts machen.
Die weltbeste Welle hat Ihre Familie nicht überzeugt?
Leider nein. Meine Frau ist da so semiiinteressiert. Der Surfer möchte ja auf einer Welle reiten, die lange in eine Richtung läuft. Diese dort läuft bis zu 800 Metern. Und am Ende der Welle ist eine kleine Schule am Strand, also so ein Schuppen aus Holz. Ich konnte mir gut vorstellen, dass mein Sohn da auch hingeht und ich derweil surfe. Wie gesagt, ist abschlägig behandelt worden.
Wie kamen Sie zum Surfen?
Ich war vor 20 Jahren mal in Costa Rica. Eigentlich hatte ich da eine Business-Idee, ich wollte von Hamburg aus alte Mercedes verschiffen. Ich hatte dann ein weißes Hemd mit und hab mich hoch gefragt bis zum Bruder des Finanzministers von Costa Rica. Der hat mir aber beim Essen klargemacht, dass das sein Geschäft ist und bleibt. Da hab ich das sein lassen und stattdessen mit einem Freund angefangen zu surfen.
Als Vollzeitjob?
Nein, ich habe zu der Zeit in der Adalbertstraße in einer Kampfkunstschule als Lehrer gearbeitet. Später habe ich auch angefangen, mich mit traditioneller chinesischer Medizin und Akupunktur zu beschäftigen, aber nicht weitergemacht.
Wegen des Surfens?
Ja, das Surfen hat sehr schnell eine Menge abgelöst von dem, was war.
Was hatte Sie denn aus der niedersächsischen Provinz nach Berlin verschlagen?
Ich war in den 80ern viel in Berlin, meine Schwestern haben hier gewohnt. Nachdem ich in Bremen Zivildienst gemacht hatte, bin ich hierher. Ich habe auch mal studiert, Politik an der FU, aber das war nur kurzfristig.
Kreuzberg war sehr politisch damals.
Wir waren aktiv in der politischen Arbeit, außerparlamentarisch. Man kam schnell mit Leuten in Kontakt, Ermittlungsausschuss Westberlin und so. Wir haben später auch viel Antifa gemacht, privat organisiert.
In Kreuzberg hat sich seitdem einiges geändert.
In Kreuzberg war es in den 80er und 90er Jahren auf der Straße astrein. Das ist auch etwas, das ich so in meinem alten Kiez rund um die Wrangelstraße nicht mehr sehe. In der Gegend waren 80 Prozent türkische Leute, mittlerweile sind es vielleicht noch 40. Das, was für mich so toll war, ist in der Form nicht mehr da. Ich bin jetzt nicht mehr so viel in Kreuzberg.
War das der Grund, ins Umland zu ziehen?
Nein, ich hatte mal ein bisschen was geerbt, und dann hat sich das angeboten. Wir sind vor zwei Jahren an den Stadtrand gezogen, Spandau raus, am Sacrower See. Da mach ich Paddeltraining, wenn ich in Deutschland bin. Dann bin ich fit, wenn ich ans Meer komme.
In den 90ern Lehrer für asiatische Kampfkunst in Kreuzberg zu sein, hatte das auch mit Sozialarbeit zu tun?
Nein. Wir hatten zwar aus dem Kiez alle möglichen Leute da, aber eher Erwachsene. Klar, da kamen schon Leute mit ordentlich Gepäck. So ein Training gibt einem einen starken Rückhalt, das ist ein positives Element. Das sehe ich beim Wellenreiten auch: Was da freigesetzt wird, wenn man morgens um sechs rausgeht.
Das klingt romantisch: Morgens um sechs ist die Welt noch in Ordnung.
Auf jeden Fall! Du bist allein im Wasser, die Sonne geht auf, da wird der Kopf frei, und das gibt dir Kraft für den Tag. Das ist für mich das Soulige am Wellenreiten.
Wie wurde das Hobby zum Beruf?
Ich habe immer mal in Surfschulen gearbeitet, in Frankreich, Portugal, Spanien. 1996 habe ich dann angefangen, deutsche Meisterschaften zu fahren. 2002 war ich zum ersten Mal als Ko-Trainer bei der Weltmeisterschaft, 2003 bin ich in der Nationalmannschaft gefahren, weil ich deutscher Meister war.
Seit sechs Jahren trainieren Sie die deutschen Jugendnationalmannschaften der unter 18- und der unter 16-Jährigen, die über die Welt verstreut leben. Wie oft kommen Sie überhaupt mit denen zusammen?
Wir können nicht so oft zusammen trainieren, das wäre viel zu teuer. Aber vor einer WM trainieren wir eine Woche vorher gemeinsam, bei der Deutschen Meisterschaft im Herbst in Frankreich, manchmal auf den Kanarischen Inseln.
Im Fußball gibt es Trainer wie Jürgen Klopp und José Mourinho, die als Aktive nie das Niveau der Spieler erreicht haben, die sie heute trainieren – trotzdem zählen diese Trainer weltweit zu den besten ihres Fachs. Muss ein Surftrainer ein sehr guter Surfer sein?
Ein Fußballtrainer, der nicht spielen kann, würde auch nicht funktionieren. Ich bin ein ganz okayer Surfer, aber kein Überflieger. Jetzt sowieso nicht mehr, bin ja auch schon älter.
Holen Sie sich denn Anregungen aus anderen Sportarten, zum Beispiel im Umgang mit der Mannschaft?
Du musst dir den Respekt der Jugendlichen verdienen. Du gehst da ja nicht autoritär ran, das bringt nichts. Jürgen Klopp ist ein klassisches Beispiel, den kannst du studieren. Ich finde diese Emotionen toll, der ist voll dabei. Der hat mal zu einem Stürmer gesagt: „I give you all my Power.“ Dann ist der reingegangen und hat ein Tor geschossen. Ich glaube an diese Dinge, ich gehe auch so mit meinen Kids um. Die können mir schreiben, wenn sie Stress haben zu Hause oder in der Schule, das ist ein sehr persönlicher Kontakt.
Wie steht es um den sportlichen Erfolg?
Wir haben eine steigende Tendenz bei den Meisterschaften. Ich habe zu Beginn gesagt: Wenn wir uns verschlechtern, trete ich zurück. Das klappt jetzt im sechsten Jahr.
Das gilt aber nicht für jedes Turnier, oder?
Doch.
Es gibt beim Surfen viele Faktoren, die von außen nicht beeinflussbar sind. Wenn der Fuß mal ein paar Millimeter zu weit vorn oder hinten auf dem Brett steht, ist das nicht unbedingt die Schuld des Trainers am Strand.
Eigentlich richtig, aber wir waren Fünfter bei der Europameisterschaft vor zwei Jahren, und jetzt in Frankreich, da kamen die Kids an: „Was machste denn?“ Na ja, Fünfter müsst ihr werden, Sechster hör ich auf, Vierter lad ich euch zum Essen ein und wenn wir Dritter werden, lass ich mir eure Anfangsbuchstaben auf den Rücken tätowieren. Und die wissen auch: Ich würd’s machen. Musste ich aber nicht, wir sind Fünfter geworden. Die merken, wie man sie behandelt, ob man sie respektiert.
Respekt ist ein gutes Stichwort: Gerade junge Sportler müssen nicht nur in ihrem Sport angeleitet werden, da geht es auch um Verantwortung, Persönlichkeit, Bodenhaftung.
Dessen sind sie sich bewusst, die wollen Topleistung geben. Alkohol ist nicht vor Wettkämpfen, um 10 Uhr sind die im Bett, sonst geht’s nach Hause. Das ist wie bei jeder anderen Sportart. Wir reisen in andere Ländern, da muss man sich anders benehmen, wegen Kulturen und Religionen. Das haben Jugendliche nicht immer von einem Tag auf den anderen drauf.
Wie viele Surfer und Surferinnen gehören zum Team?
Zwölf.
Sind Sie immer allein mit denen unterwegs?
Tatsächlich, meistens.
Ganz schön krass.
Ja. Ich bin dann auch froh, wenn alle wieder im Flieger sitzen. In Marokko war ich besonders froh. Da haben meine Leute mit den Franzosen gefeiert und meinten, sie müssten noch nach Agadir fahren, um da die Nacht zu verbringen. Ich hatte alle Hände voll zu tun. Aber meine Teamkapitänin ist 18, die hilft etwas mit und übernimmt Verantwortung.
Sind sich Ihre Mannschaften denn über ihre Privilegien bewusst? Sie reisen für ihr Hobby um die halbe Welt, verbringen viel Zeit am Strand.
Die Kids sind gut drauf, sie sind auch dankbar. Aber die Hälfte meiner Mannschaft hat nicht viel Geld. Manchmal gibt es Absagen, weil sie sich an Flugkosten beteiligen müssen. Der Verband kann nicht alles bezahlen, wir versuchen dann, über Sponsoren zu helfen. Ich habe ein Mädchen von den Kanaren, das würde sonst nicht kommen. Auch die, die in Ecuador leben, sind nicht privilegiert. Deren Eltern sind ausgewandert, sie haben Surfboards und gehen ins Wasser. Das ist nicht so wie ein teurer Skiurlaub. Die Wellen sind da, und die sind erst mal kostenlos.
Gerade in armen Ländern kann es trotzdem so wirken: Da kommen junge Leute eingeflogen, um ihrem Hobby nachzugehen. Sind sich die Kids der anderen Lebensumstände bewusst?
Auf jeden Fall. Wir sind mal mit dem Pick-up quer durch Panama und in Ecuador mit dem Kleinbus durch ein paar Dörfer gefahren, da war Ruhe im Bus. Die Menschen dort waren richtig arm. Da sprechen wir drüber. Aber: In Peru haben die Peruaner am Strand gefeiert. Sie sind Weltmeister geworden. Die kommen nicht von oben, sondern von unten. Da gibt es die Möglichkeit sich hochzuarbeiten, wenn du in einer Bretterbude am Meer wohnst.
Das klingt sehr ursprünglich: Ein Brett und Wellen, mehr braucht man nicht. Hinter dem Surfen steht aber eine riesige Industrie, die Szene ist sehr markenbewusst.
Das gibt es ja in jeder Kultur, ob das Surfen ist oder HipHop. Die Radfahrer auf Lanzarote haben auch Trikots an. Viele Marken haben aber auch tiefe Ursprünge bei den Surfern. Früher wurde mit eingefetteten Wollpullis gesurft, um die Kälte draußen zu halten. 1952 hat Jack O’Neill aus einem Flugzeugwrack die Verkleidung rausgeholt, die war aus Neopren, und daraus hat er den ersten Neoprenanzug genäht. So ist die Marke O’Neill entstanden.
Wie gehen Ihre Schützlinge damit um?
Die Kids stehen schon auf die Klamotten und suchen Sponsoren. Ich sage denen: Kommt zu mir, bevor ihr was unterschreibt! Macht das nicht wegen der paar Klamotten, sondern nur, wenn die euch im Werdegang unterstützen. Sonst rutscht ihr in eine Maschinerie, die ihr nicht wollt.
Diese Maschinerie sorgt für Erfolgsdruck: Wer nicht vorne mitsurft, verliert Sponsoren, Einnahmen, Ruhm. Der verstorbene US-Surfer Andy Irons ist daran zugrunde gegangen.
Das ist die nächste Stufe. Bei den Prime Events gibt es auf jeden Fall Stress. Aber du setzt dich immer nur so weit unter Druck, wie du es zulässt. Man muss sich darum kümmern, einen guten Trainer oder Begleiter zu haben, der das abschirmt.
In San Sebastián gibt es eine künstliche Surfanlage, den Wavegarden: Eine Walze erzeugt Wellen in einem zwei Fußballfelder langen Becken. Sie wollen das in Berlin etablieren. Was hat das noch mit dem ursprünglichen Spirit zu tun?
Es wird nicht das Gefühl auf dem Meer ersetzen, aber es hat das Riesenpotenzial, Surfen der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Wer in Berlin wohnt, setzt sich in die U-Bahn und kann herkommen.
Und bekommt Wellen dann nur gegen Bares.
Es ist nicht so gedacht, dass nur Leute mit viel Geld kommen und surfen. Ich arbeite gern mit Kindern und Jugendlichen. Surfen könnte Wahlsportfach werden, Schulklassen könnten kostenlos kommen, Kinder mit dem Ferienpass. Am besten wäre es, wenn es ein Berliner Projekt mit Unterstützung der Stadt wird.
Wenn es nach Ihnen geht, bekommt Wavegarden einen prominenten Standort: das Tempelhofer Feld. Die Lage ist begehrt, der Platz wird aber enger. Das Feld soll mit Wohnungen bebaut werden, eine Bibliothek ist geplant. Wie sind denn die Reaktionen der Projekt GmbH, die über Pläne auf dem Feld entscheidet?
Da gibt es Skepsis, denn viele wollen hier was. In dieser Stadt ist es nicht so, dass einer sagt: Mensch, das machen wir! Wenn Wowi jetzt sagen würde: „Arnd, das find ich gut“, dann würde das ein anderes Momentum bekommen. Ich versteh gar nicht, warum er’s nicht sagt.
Was sagt denn der Senat?
Bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gab es mal ein kleines Missverständnis. Da kam ein Schreiben zurück, dass sie nicht für W-LAN zuständig sind. Da merkst du schnell, wie voreilig Sachen abschlägig behandelt werden.
Ihren Sohn könnten Sie zum Auswandern aus der Schule nehmen, aber mit Wavegarden wären Sie auch selbst an Berlin gebunden. Ist Ihnen das Risiko nicht zu groß?
Im Winter tut’s weh, aber das war in Berlin immer so: Ein halbes Jahr musst du veranschlagen. Dafür ist der Sommer so top, und die Stadt ist immer noch die beste in Europa.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen