: Anderes Wachstum gesucht
STATISTIK Die wirtschaftlichen Ziele der EU seien für die Bürger nicht mehr nachvollziehbar, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Deshalb will sie statt des BIPs lieber den Wohlstand eines Staates messen
BERLIN taz | Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rüttelt an den Grundpfeilern der europäischen Wirtschaftspolitik. In ihrem aktuellen Podcast vom Wochenende sagte sie, dass die Ziele der Lissabonstrategie, wonach Europa der Kontinent mit dem dynamischsten Wirtschaftswachstum werden soll, „für die Bürger zum Teil kaum noch nachzuvollziehen sind“.
Deutschland und Frankreich wollen den Gipfel daher nutzen, um auch über „neue Formen des Wachstums“ zu reden. „Wir müssen lernen, den Wachstumsbegriff für das 21. Jahrhundert neu zu definieren“, erklärte Merkel. Dabei würden neben den klassischen ökonomischen Größen auch die Fragen der Sicherheit, der Lebensqualität, der Gesundheit und des nachhaltigen Umgangs mit Rohstoffen eine Rolle spielen
Merkel bezog sich ausdrücklich auf die Vorschläge der vom französischen Staatspräsidenten Nicholas Sarkozy eingesetzten Kommission unter der Leitung des früheren Weltbankökonomen und Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz vom Sommer vergangenen Jahres. Die Experten, darunter insgesamt fünf Nobelpreisträger, forderten, nicht mehr allein auf das Wirtschaftswachstum zu schauen, sondern das „Wohlergehen“ eines Landes zu ermitteln. Dabei müssten auch das gemittelte Haushaltseinkommen, Familienarbeit, Freizeit, Gesundheit und der Zustand der Umwelt berücksichtigt werden. Das Bruttoinlandsprodukt habe ausgedient, sagte Sarkozy damals. „Frankreich wird dafür kämpfen, dass alle internationalen Organisationen ihr Statistiksystem ändern.“
Dass dies Merkel und Sarkozy aber bereits bei dem EU-Gipfel gelingt, ist kaum zu erwarten. „Die Frage, was wir unter Wohlstand verstehen, ist eine unserer Hauptpunkte“, hieß es am Mittwoch in Regierungskreisen. „Wir werden dies bei der Diskussion gemeinsam mit Frankreich vorbringen.“ Schnelle praktische Konsequenzen erwartet Berlin aber offenbar nicht. „Wir hoffen, dass es uns gelingt, die anderen Mitglieder zu überzeugen, dieser Frage weiter nachzugehen und entsprechende Aufträge an den Rat zu erteilen.“ STEP, MKR
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen