: Das Montagsinterview„Kreativität kann man nicht planen“
Richard Florida und kein Ende: Viel ist die Rede vom Wert der „kreativen Klasse“ für eine Stadt. Wie geht das eigentlich genau?KUNST ODER MARKETING Volker Kirchberg untersucht, welche Bedeutung Kunst und Kultur für die Stadtentwicklung haben. In der öffentlichen Wahrnehmung hat sein Thema zuletzt eine erstaunliche Karriere gemacht – auch, nachdem Künstler den Teilabriss und die Luxussanierung des Hamburger Gängeviertels abwendeten
■ Seine Diplomarbeit schrieb der gebürtige Hamburger 1985 über das politische Verhalten der Bewohner des Hamburger Schanzenviertels. Danach arbeitete er unter anderem an der Johns Hopkins Universität in Baltimore, am Hamburger Forschungs- und Beratungsinstitut „konsalt“ und an der FU Berlin.
■ Seit Oktober 2004 ist Kirchberg Professor für Kulturvermittlung und Kulturorganisation an der Leuphana-Universität Lüneburg, wo er das Institut für Kulturtheorie, Kulturforschung und Künste leitet.
INTERVIEW KLAUS IRLER
taz: Es wird derzeit viel gesprochen über die Bedeutung von Kunst und Kultur für die Stadtentwicklung in Hamburg. Handelt es sich dabei um ein Modethema, Herr Kirchberg?
Volker Kirchberg: Als ich 2004 aus Baltimore nach Hamburg zurückkam, war Kultur kein großes Thema für die Stadtentwicklung. In Baltimore war das anders. Da haben sich die Künstler extrem gefreut über den Wirtschaftsgeographen Richard Florida, weil er geholfen hat, das Thema zum Tagesgespräch zu machen. Und weil er den Ökonomen bewusst gemacht hat, dass Kultur ein Thema ist.
Welche Kultur meint Florida, wenn er von der „kreativen Klasse“ spricht, die zu umwerben sei?
Bei der kreativen Klasse denkt Florida an kommerziell orientierte Kreative. Da tauchen als erstes Designer, Werbe-Leute und Software-Entwickler auf.
Wenn Florida eigentlich an wirtschaftlichen Erfolg denkt: Wozu sollen dann die Künstler gut sein, die Kunst im engeren Sinne machen und möglicherweise keine große Wertschöpfung dabei erzielen?
Sie sollen eine Art kreatives Klima schaffen, eine Atmosphäre, die eine Stadt zu einer lebenswerten macht. Dann wird es dazu kommen, dass die wirklich qualifizierten Menschen neu in die Stadt ziehen oder nicht wegziehen. Das ist der Kern bei Florida.
Die Künstler also als eine Art Beiwerk?
Ja. Die amerikanische Stadtsoziologin Sharon Zukin spricht von „Framing“: Wir haben wirtschaftliche Aktionen wie zum Beispiel bei Beiersdorf oder im Hamburger Hafen. Die sind profitabel, aber im Prinzip eine trockene, langweilige Art und Weise, Werte zu schaffen. Viele der qualifizierten Mitarbeiter lassen sich durch Geld alleine nicht unbedingt anlocken. Das Rezept ist, einen schönen Goldrahmen um das Nüchterne zu packen.
Der VW-Konzern in Wolfsburg …
… ist da wahrscheinlich am extremsten. Die finanzieren ja nicht nur einen Fußball-Club, sondern auch das Phäno, das Kunstmuseum, das Theater. Die versuchen fast verzweifelt, in Wolfsburg eine Kulturszene zu schaffen, damit sie die hochqualifizierten Leute dazu bringen, sich anzusiedeln und bei VW zu arbeiten.
Klappt es denn?
Ich will da nicht in die Zukunft spekulieren. Der neueste Schrei in der amerikanischen Stadtsoziologie ist die „Los Angeles School“: Die verpassen jedem Stadtteil in Los Angeles durch erfolgreiches Marketing ein Image. Sie sagen: Stadtentwicklung wird nur noch durch die Konstruktion von Symbolen geschaffen und nicht mehr durch wirkliche Infrastrukturen. Solange wir die Symbolik hinbekommen, schaffen wir es, die Menschen in die Stadt zu locken. Das ist auch das, was das City-Marketing in Hamburg versucht. Und darauf fußt die Kausalität des Manifests „Not in our Name“, in dem sich Hamburger Künstler kritisch gegen dieses Modell geäußert haben.
Wenn man sich jetzt nicht nur mit einem Image zufrieden geben will, sondern gerne Tatsachen hätte: Kann man Kreativität in eine Stadt einspeisen?
Kreativität kann man nicht planen. Der Kreativität wohnt die Unmöglichkeit inne, zu sagen, was hinten rauskommt. Wenn wir kreative Menschen dazu bewegen, an bestimmten Orten zu leben und zu arbeiten, dann können dabei kreative Gedanken herauskommen. Da haben die Politiker in Hamburg viel von Florida gelernt.
Dabei schätzen Sie selbst aber den Stadtplaner Charles Landry weitaus mehr.
Landry macht sich konkret Gedanken darüber, wie man über Stadtplanung Kreativität fördern kann. Er stellt in einer Skala fünf verschiedene Grade an kreativer Stadt vor. „Good practice“ ist, was man an gelungener Bauplanung anderer Städte übernimmt. „Best practice“, dass man sich auch Neuerungen überlegt. „Innovativer Wandel“, wenn man alte Gebäude umnutzt. Auf diesem Level sind wir gerade in Hamburg. Darüber stellt Landry den „paradigmatischen Wandel“, der Probleme als Gelegenheit auffasst, um eine Stadt sich innovativ entwickeln zu lassen. Ich dachte immer: Paradigmatischen Wandel gibt es in Hamburg nicht. Beim Gängeviertel kam mein Weltbild erstmals ins Wanken. Die Politiker haben gesagt: Wir nehmen eine Bewegung, die zu alten Hafenstraßen-Zeiten ein Problem gewesen wäre, und fördern sie.
Also erreicht Hamburg immerhin Stufe vier … was wäre Landrys Stufe fünf?
Der „meta-paradigmatische Wandel“. Das machen die wirklich kreativen Städte. Das heißt, dass man nicht nur in einzelnen Freiräumen etwas erlaubt, sondern einen generellen Stadtumbau betreibt. Das ist utopisch, das gebe ich zu.
Genereller Stadtumbau?
Eines der wichtigsten Ziel der Stadtentwicklung ist, eine nachhaltige Gesellschaft zu entwickeln. Eine Stadtgesellschaft, die nicht auf dem Individualverkehr und nicht auf Wachstum beruht. Die Idee „Hamburg – wachsende Stadt“ ist ein Paradoxon zur Idee der Nachhaltigkeit. Die Idee vom unendlichen Weiterwachsen ist ein Unsinn, den wir überwinden müssen.
Wie sind Sie eigentlich zum Thema Kultur und Stadtentwicklung gekommen?
Ich habe in Hamburg bei Professor Jürgen Friedrichs studiert. Dessen Interesse war die kulturelle, soziale und ökologische Attraktivität von Innenstadtzentren. Die Kultur hat er aber nie weiter beachtet, obwohl er sagte: Es ist eine wichtige Dimension. Also habe mich für ein Fellowship an der Johns Hopkins-Universität in Baltimore beworben. Dort habe ich untersucht, wie die Stadt die Kultur instrumentalisiert und das mit Hamburg verglichen.
Lassen sich Baltimore und Hamburg vergleichen?
Baltimore ist in etwa gleich groß wie Hamburg, beide sind alte Hafenstädte und leben vom Handel. Baltimore ist aber eine arme Stadt. Baltimore ist ein hervorragendes Beispiel, wie man mit wenig Geld viel entwickeln kann. Es gibt dort die Urban Entertainment Districts, das sind Straßenblocks, die aus dem Bauleitplan rausgenommen wurden. Dort bekommen Künstler die Möglichkeit, zu leben und zu arbeiten. Betreiber von Kunst- und Kultur-Gewerbe bekommen Vergünstigungen: Sie müssen für zehn Jahre keine Gewerbesteuer und keine Mehrwertsteuer zahlen. Es gibt eine eigene Quartiersorganisation. Man lässt die Leute in Ruhe: Sie müssen nur jedes Jahr einen Bericht abliefern bei der Kulturverwaltung, sonst nichts. So etwas könnte ich mir in Hamburg nicht vorstellen. Hier wird immer alles von oben geplant.
Inwiefern instrumentalisiert Hamburg die Kultur?
Zunächst über die Leuchttürme. Es wurde immer oben gesagt: „Wir stehen zur Elbphilharmonie, das ist das wichtigste Kulturprojekt, das wir haben.“ Das meiste Geld für Kultur in Hamburg wird für die Oper ausgegeben. Dann kommen die Theater, auch die freien Theater kriegen was, dann kommen die Museen.
Die Stadt hat nach einer von Künstlern initiierten Protestwelle das Gängeviertel von einem Immobilieninvestor zurückgekauft. Die geplante Luxussanierung konnte so abgewendet werden. Unklar ist, was dort entstehen soll und welche Rolle die Künstler dabei spielen. Was ist Ihre Wunschvorstellung für die Zukunft des Viertels?
Vielleicht sollte sich die Stadt zurückhalten mit einer zu großen Einmischung. Man soll dort ein System der Selbstverwaltung aufbauen, das die Stadt in einem bestimmten Rahmen unterstützt. Das Gängeviertel ist genau die kreative Zelle, von der immer gesprochen wird.
Nicht einmischen? Das dürfte der Stadt schwer fallen.
Die Logik der Stadt ist: Wenn wir bezahlen, dann bestimmen wir, was zu tun ist. Das ist der Kaufmann. Wenn man bestimmt, was zu tun ist, dann plant man. Und wenn man plant, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass da etwas Innovatives, etwas außerhalb der Konventionen rauskommt, sehr gering.
Was sagt Richard Florida dazu?
Florida spricht von der Notwendigkeit des Konventionsbruchs, von der Subversion als Bedingung dafür, dass kreative Ideen sich entwickeln können. Die Stadt weiß genau, dass man nach außen dadurch einen Imagegewinn hinkriegen könnte.
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