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Schnellabiturienten droht Warteschleife

Der Wissenschaftsrat warnt davor, dass Abiturienten für ihren Gymnasialeifer bestraft werden. Denn die Studienplätze reichen nicht aus. Die Vertreter der Politik stimmen zu – bremsen aber konkrete Forderungen des wichtigen Beratungsgremium aus

AUS BERLIN CHRISTIAN FÜLLER

Sie sputen sich fast überall. Viele Bundesländer verkürzen die Abiturzeit von neun auf acht Jahre. Doch die hurtigen Abiturienten, die sich mit viel Aufwand durch eine verkürzte Gymnasialzeit büffeln, werden dafür wohl nicht belohnt. Im Gegenteil. „Wir befürchten, dass viele der Schnellabiturienten erst durch eine verkürzte Gymnasialzeit gehen –um dann in einer Warteschleife geparkt zu werden“, warnte gestern Wedig von Heyden. Der Generalsekretär des Wissenschaftsrats hat Anlass, vor diesem grotesken Szenario zu warnen. Denn die Hoffnungen auf einen Kraftakt der Bundesländer, um die steigenden Studienzahlen abzufangen, sind gering.

Zwar sandten der scheidende und der neue Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Karl Max Einhäupl und Peter Strohschneider, wieder Appelle aus. „Wir brauchen mehr Studienplätze!“, bat der Mediziner Einhäupl, der seit 2001 an der Spitze des aus Politik und Wissenschaft zusammengesetzten Beratungsgremiums im Wissenschaftsrat steht. Und sein Nachfolger Strohschneider, ein Mediävist (Mittelaltergemanist) aus München, nickte heftig. Was die Politik von den Appellen der Wissenschaftler im gleichnamigen Rat hält, hat sie wieder allzu deutlich gezeigt. Sie unterstützt die Trompetenstöße der Forscher nach mehr Geld, mehr Exzellenz, mehr Studenten nur im Allgemeinen– aber sie konterkariert sie, sobald es zu konkreten Forderungen kommt.

So ist es auch diesmal. In einem Gutachten zum „demografiegerechten Ausbau der Hochschulen“ (siehe taz vom 30. Januar) plädiert das wichtigste wissenschaftliche Beratergremium für mehr Abiturienten, Studenten und mehr erfolgreiche Hochschulabsolventen. Das haben Wissenschaftler und Politiker in dem Gremium gemeinsam beschlossen. Statt wie heute 40 Prozent sollen künftig mindestens 50 Prozent der Schulabgänger eine Studienberechtigung erwerben. 35 Prozent eines Altersjahrgangs möchte der Wissenschaftsrat künftig als Jungakademiker von den Hochschulen ins Arbeitsleben entlassen. Heute sind dies knapp 20 Prozent. Durch bessere Betreuung und durch den schneller zu erwerbenden Bachelor-Abschluss soll die Zahl der Studienabbrecher deutlich verringert werden.

So weit die Kür. Die Pflicht aber, die wolkige Ausbauforderung mit konkreten Schritten zu untermauern, haben die Vertreter der Bundesländer in der so genannten Verwaltungskommission des Wissenschaftsrats abgeblockt. Generalsekretär von Heyden verwies darauf, dass es eben nur Prognosen seien, die einen Anstieg der Studierendenzahlen um über 300.000 in den nächsten fünf Jahren sehen. Und auf der Grundlage von Prognosen, so das „nachvollziehbare Argument“ (von Heyden) der Wissenschaftsminister, könne man keine konkreten Forderungen ableiten. Zahlen konnten die Chefs des Wissenschaftsrats daher nicht nennen. Als sich die Hochschulrektoren kürzlich mit dem Anstieg der Studentenzahlen befassten, war ihre Forderung sehr präzise: Das Lehrpersonal solle aufgestockt werden, indem 8.000 ab 2015 frei werdende Professorenstellen schon jetzt und damit über einen längeren Zeitraum doppelt besetzt würden.

Und weil es in den Ländern keinen erkennbaren politischen Willen gibt, die Studiennachfrage zu stillen, erging sich der scheidende Wissenschaftsratschef Einhäupl in einer Art schwarzen Rhetorik– über die Zukunft der Unis: „Wir müssen aufpassen, dass wir im Osten keine Wissenschaftswüste bekommen.“ Und: „Wenn wir die Finanzausstattung der Unis lassen, wie sie ist, werden Bachelor und Master kein Erfolg.“

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