: Klein-Bangkok im Preußenpark
WILMERSDORF Unter bunten Sonnenschirmen und auf kleinen Plastikstühlchen sitzend trifft sich die thailändische Community Berlins zum Arbeiten und Plaudern im Park. Wer will, kann hier eine schmackhafte Suppe genießen – oder sich von buddhistischen Mönchen segnen lassen
■ Gebiet: Wilmersdorf erstreckt sich auf 7,16 Quadratkilometern. Bis zum Jahr 2001 war es ein eigener Bezirk, danach wurden Charlottenburg und Wilmersdorf zu einem zusammengelegt.
■ Bevölkerung: In Wilmersdorf leben laut Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 94.633 Menschen. Damit hat Wilmersdorf im Verhältnis zu Berlin eine der höchsten Bevölkerungsdichten. Rund 22 Prozent der Einwohner sind über 65 Jahre alt.
■ Miete: Der durchschnittliche Mietpreis liegt laut der Online-Plattform Immobilienscout bei 8 Euro pro Quadratmeter.
■ Migrationshintergrund: Rund 18 Prozent der EinwohnerInnen in Wilmersdorf haben keine deutsche Staatsbürgerschaft. Rund 11 Prozent haben einen Migrationshintergrund. Damit liegt Wilmersdorf deutlich unter dem Berliner Durchschnitt, der mit 25,5 Prozent rund doppelt so hoch ist. (Benjamin Zimmermann)
VON SUSANNE MESSMER
An einem sonnigen Sonntagnachmittag kann man im Preußenpark am Fehrberlliner Platz in Wilmersdorf leicht das Gefühl entwickeln, man hätte für ein paar Stündchen Urlaub genommen von Berlin. Fast kein Fleckchen ist mehr auf der weiten Wiese frei: Überall sitzen Frauen auf kleinen Campingstühlen, umzingelt von großen Kühltaschen. Sie frittieren ganze Fische und Hühnerspieße oder stampfen in einem Holzmörser die grünen Papayas, Chilis und Limonen, die in den berühmten Salat namens Som Tam gehören. Diesen isst man vor allem in Isaan, dem Nordosten Thailands, der ärmsten Region des Landes.
Auf der sogenannten Thaiwiese, auf der sich die thailändische Community bereits seit Anfang der Neunziger trifft, könnte man ethnologische Studien anstellen. Denn viele Frauen, die hier kochen, stammen aus Isaan. In den Siebzigern und Achtzigern heirateten einige von ihnen deutsche Männer, um der Armut zu entkommen und die zu Haus gebliebene Familie zu unterstützen.
So zum Beispiel Sa, die gerade aus fünfzehn kleinen Schüsseln die Zutaten für eine Tom-Yam-Suppe in eine größere Plastikschüssel löffelt: Zum Hackfleisch und den fermentierten Krabben kommen noch Koriander, süßes Basilikum und Tamarinden, zum Schluss ein paar Nudeln und der gute, heiße Fonds, der auf einem mitgebrachten Gaskocher seit Stunden vor sich hin köchelt. Die Suppe kostet fünf Euro, sie schmeckt besser als in jedem Restaurant. Sa, die mit einem großen gelben Strohhut unter einem grünen Sonnenschirm hockt, lächelt und bedankt sich für das Kompliment. Dann erzählt sie in ebenso schnörkellosen wie eindrücklichen Sätzen, warum sie in Deutschland ist.
Sas Eltern waren arme Bauern in Isaan, sie hatte neun Geschwister. Nach sechs Pflichtjahren an der Schule war Schluss, obwohl Sa gern Lehrerin geworden wäre. Stattdessen musste sie zu Hause mitarbeiten. 1983 hörte sie von einer Heiratsagentur, da war sie gerade zwanzig. 1984 kam sie nach Berlin, mit ihrem Mann Thomas, der fünfzehn Jahre älter ist als sie. Anders als viele andere Paare sind Sa und Thomas zusammengeblieben. Normalerweise sitzt Thomas neben seiner Frau und hilft ihr beim Kochen. Heute hat er mal ein Stündchen frei bekommen und sonnt sich nebenan, bei einer Dose Bier mit seinen Kumpels, den anderen deutschen Männern der Wilmersdorfer Frauen aus Thailand.
Die Heiratsmigration
Sa und Thomas: Das ist ein typisches Paar auf der Thaiwiese, an denen sich prima studieren ließe, was aus der sogenannten Heiratsmigration geworden ist. Denn auch in Berlin sind laut Amt für Statistik Berlin-Brandenburg mehr als 80 Prozent der knapp 5.000 Menschen mit thailändischem Migrationshintergrund weiblich. Oft zahlten sie mehrere tausend Euro für den Kontakt zu ihrem deutschen Mann und hatten große Probleme in den ersten Jahren, weil vor der Hochzeit keine Zeit gewesen war, sich kennenzulernen. Und Scheidung kam auch nicht infrage, weil sie dann das Land wieder hätten verlassen müssen.
Und die deutschen Männer? Die hatten sich ihre Thaifrau nicht selten als still, freundlich, gehorsam, häuslich und sexuell freizügig vorgestellt. Kaum in Deutschland angekommen, folgte auch für sie Ernüchterung. Die wenigsten verstanden, dass die Frauen Geld nach Hause schicken wollten; die wenigsten wussten, dass in Thailand nach traditioneller Vorstellung die Frau das Familienleben bestimmt. Meist erbt die jüngste Tochter Land und Haus. Frauen verfügen also über wirtschaftliche Ressourcen und haben eine wichtige Position in der thailändischen Gesellschaft.
Wenn man sich bei einer der Frauen auf der Thaiwiese eine Suppe kauft, dann kann man sich gut vorstellen, wie es bei jenen weiterging, die trotz der anfänglichen Missverständnisse zusammenblieben. Eine Dame berichtet, sie würde durch ihre Salate in der Sommersaison das allzu schmale Familieneinkommen verdoppeln. Eine andere winkt nur verschmitzt lächelnd ab, denn es fällt schwer, über Geld zu reden an einem Ort, wo der Verkauf der Speisen eigentlich illegal ist und die Frauen ihre Töpfe oft schnell einpacken müssen, wenn mal wieder die Ordnungshüter über den Platz flanieren – Ordnungshüter übrigens, die den Eindruck erwecken, als würden sie sich jetzt lieber einen Hühnchenspieß gönnen als ihren Job zu tun.
„Eigentlich ist das eine Schweinerei, dass man die Frauen hier nicht in Ruhe lässt“, sagen zwei Jungs Anfang zwanzig mit Fönfrisuren und Ringelshirts, vielleicht ein Paar. Sie haben eine Decke im Schatten einer hohen Linde ausgebreitet und trinken pappsüße Milch mit Erdbeeraroma aus Plastikbechern. Sie heißen Jay und Lee und sind in Deutschland geboren. Ihre Eltern, die in den Achtzigern aus Thailand kamen, arbeiten in Reisebüros und Restaurants in Wilmersdorf und Schöneberg.
Fast jeden Sonntag picknicken Jay und Lee auf der Thaiwiese und berichten, dass hier auch eine der wichtigsten Informationsbörsen der thailändischen Community in Berlin sei. Warum man sich jedoch ausgerechnet diese im sonst eher gutbürgerlichen, wohlhabenden und wohlgeordneten Wilmersdorf ausgesucht habe, das vor allem für seine Witwen und Boulevardtheater berühmt ist – wer weiß. „Vielleicht wegen der deutschen Männer, die eben dort wohnten“, sagt Lee. „Vielleicht aber auch, damit die Kinder im möglichst aufgeräumten deutschen Umfeld aufwachsen“, sagt Jay.
Jay und Lee berichten, man finde auf der Thaiwiese Jobs und ärztlichen Rat. Und empfehlen eine Masseurin, die für die Stunde gerade mal 30 Euro nimmt. Sie weisen auch auf zwei buddhistische Mönche in orangenem Gewand, die auf einer Parkbank sitzen und gerade drei ältere Damen segnen, die vor ihnen auf dem Schotterweg knien.
Der Preußenpark habe durch die Community gewonnen, finden Jay und Lee. Tatsächlich geht es hier adretter zu als in vielen Parks in Prenzlauer Berg oder Kreuzberg. Vor den öffentlichen Toiletten sorgen zwei freundliche Frauen für Hygiene, selbstorganisierte Hilfskräfte laufen über den Platz und sammeln Müll ein. Nur vor den Kartenspielern und vor den Kartenspielerinnen, berichtet Jay, vor denen solle man sich hüten. „Die ziehen dich schnell über den Tisch“, sagt er. Und legt dann den Kopf nach hinten und lacht.
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