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Discomeile, die vorerst letzte

JUSTIZ Vier Jahre nach der Schießerei im Bahnhofs-Amüsierviertel werden zwei Brüder zu sieben und acht Jahren Haft verurteilt – obwohl viele Fragen offen geblieben sind

„Ein hochexplosives Gemisch“ sei durch die Feindschaft der Türsteher benachbarter Clubs entstanden, sagte der Richter. „Es brauchte nur noch einen Funken.“

VON EIKEN BRUHN

Vier Jahre sind seit jener Nacht vergangen, in der auf der Bremer Discomeile vier Menschen – darunter zwei unbeteiligte – angeschossen und teils lebensgefährlich verletzt wurden.

Drei Mal hatten Bremer Gerichte wegen dieser Schießerei zwischen rivalisierenden Türsteher-Gangs schon verhandeln müssen. Zuletzt war der damals 25-jährige Gjete L. wegen versuchten Totschlags zu zehneinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Bereits in diesem Prozess waren immer wieder die Namen der Brüder Ahmet und Sinan B. gefallen, die auf derselben Seite standen wie L. Aber erst 2008 wurde gegen sie, die beide Informanten der Polizei waren, Anklage erhoben. Seitdem versuchte das Landgericht zu klären, welche Rolle sie in dem Geschehen spielten. Gestern wurde das Urteil verkündet.

Für acht Jahre muss der 29-jährige Ahmet B. ins Gefängnis, Sinan, sein 34-jähriger Bruder, wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt, beide wegen versuchten Totschlags und schwerer Körperverletzung. Vor allem das Urteil gegen Sinan B. kam überraschend: Sogar die Staatsanwaltschaft hatte einen Freispruch gefordert und für Ahmet B. nur sechseinhalb Jahre. Vorausahnend, dass seine Entscheidung für Trubel sorgen würde, wies der vorsitzende Richter Klaus-Dieter Schromek vor Urteilsverkündung darauf hin, dass jeder, der ihn durch Zwischenrufe unterbrechen würde, sofort des Saals verwiesen würde.

Tumult in Saal 218

Zunächst sah es so aus, als würden die Brüder sowie ihre Freunde und Verwandte auf der voll besetzten Zuschauertribüne den Richterspruch akzeptieren. Doch im Laufe der weiteren Ausführungen zum Tatverlauf und dessen Vorgeschichte wurde es laut im Saal 218.

„Hier wird jemand unschuldig verurteilt“, schimpfte Sinan B., sein Bruder regte sich zwischendurch so sehr auf, dass das Gericht ihm androhte, die Verhandlung ohne ihn fortzuführen. „Ist mir doch egal“, entgegnete Ahmet B., ließ sich dann aber von seinem Verteidiger beruhigen. Dafür wurden allerdings zwei Zuschauer von der Verhandlung ausgeschlossen, nachdem sie den Vorsitzenden beschimpft und für bestechlich erklärt hatten.

Was also war nach Überzeugung des Gerichts in jener Nacht vom 5. auf den 6. Januar 2006 geschehen? Dazu holte Schromek weit aus. Zunächst schilderte er den Lebenslauf der Angeklagten. Geboren und aufgewachsen sind sie in einer kurdischen Familie in der Türkei. Sinan war das einzige von 15 Kindern – der Vater hatte zwei Frauen –, das zur Schule gehen konnte.

Das half ihm, mit 13 Jahren nach Deutschland gekommen, wenig. Wie sein Bruder Ahmet, der mit 14 Jahren folgte, schlug er sich hier mit Aushilfstätigkeiten durch – unter anderem als Türsteher. Beide begingen, mitunter gemeinsam, mehrere Straftaten – auch Körperverletzung. Nach Überzeugung des Gerichts hofften sie seit dem Sommer 2005, gemeinsam mit Gjete L., der fürs Tollhaus arbeitete, Türsteher im Beatclub zu werden.

Der Trick mit der Waffe

Stattdessen bekam jemand aus der Familie M. den Zuschlag, worauf Gjete L. „enttäuscht“ reagierte, so Schromek. „Er fürchtete außerdem seine Vertreibung vom Tollhaus.“ Dass nun an dicht benachbarten Clubs die Türsteher verfeindet waren, sei „ein hochexplosives Gemisch“ gewesen. „Es brauchte nur noch einen Funken.“ Schließlich eskalierte die Auseinandersetzung in der Schießerei am 5. Januar 2006, die Gjete L. eröffnet haben soll.

Nach Auskunft von Augenzeugen sollen auch Sinan und Ahmet B. in die Menge zwischen Tollhaus und Beatclub geschossen haben. Die Verteidigung kritisierte gestern, dass sich das Gericht vor allem auf einen Zeugen – den Türsteher-Kollegen von Gjete L. – stützt, dessen Glaubwürdigkeit in einem Punkt erschüttert wurde: Anderthalb Jahre nach den Taten hatte der den Ermittlern den angeblichen Ablageort einer der Waffen genannt.

Diese war jedoch, wie sich bald herausstellte, erst wenige Tage zuvor dort deponiert worden. Das Gericht konnte sich das nicht erklären, sah aber weder Motiv noch Anhaltspunkte dafür, dass der – in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommene – Kollege von Gjete L. die Brüder falsch beschuldigt hätte. Ihre Anwälte kündigten an, das Urteil anzufechten.

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