CHRISTIAN BUSSDER WOCHENENDKRIMI: Heilen kann tödlich sein
Herrscht in Deutschland eine Zweiklassenmedizin? Auf keinen Fall – es herrscht eine Dreiklassenmedizin. Eine, die sich in Privatpatienten, Kassenpatienten und Personen ohne Papiere aufteilt. In einer Gemeinschaftspraxis in Halle streitet man darüber, welche der drei Gruppen man in Zukunft zu bedienen gedenkt: Während Dr. Thomas Kugler gern den Mittellosen zur Seite stehen will, zielen seine Ehefrau und sein Partner auf zahlungskräftige Kranke ab. Nach einem weiteren heftigen Richtungsstreit liegt der Idealist tot in der Praxis.
Dieser Krimi will viel: Partei ergreifen für die Rechtlosen, allerlei gesellschaftliche Schräglagen ausleuchten und nicht zuletzt auch noch spannende Unterhaltung bieten. Angemessen also, dass Kommissar Schmücke (Jaecki Schwarz) gerade mit dem Rauchen aufgehört hat, denn nun muss der alte Herr mit dem Kollegen Schneider (Wolfgang Winkler) durch die Elendssoziotope Halles jagen: Drogenabhängigkeit und Obdachlosigkeit, Leben in der Illegalität und modernes Lohnsklaventum – das sind hier die Themen.
Wirklich verweilen aber tut die Handlung weder hier noch dort, selbst wenn der gemütliche Schnauzer Schneider unter einer Brücke an der Saale hellem Strande abhängt, um Informationen bei einem jungen Clochard zu sammeln. Am Ende kriegt der Obdachlose fünf Euro für Zigaretten.
Lobenswert, dass der MDR für seinen „Polizeiruf“ das soziale Gewissen entdeckt hat: Aber „Schatten“ (Regie: Jorgo Papavassiliou, Buch: Renate Ziemer und Hans-Werner Honert) leidet an einem Missverhältnis von Engagement und Analyse. Man steigt nicht wirklich tief in die Themen ein; und Darsteller wie die ARD-Schauspielerattrappe Sandra Speichert als ehrgeizige Arztgattin gleichen den Mangel an politischer Schärfe nicht aus.
Nichtrauchen hin oder her: Beim Schweinsgalopp durch die sozialen Problemzonen geht Ermittlern und Drehbuchautoren recht zügig der Atem aus.
„Polizeiruf 110“: Schatten, So., 20.15 Uhr, ARD
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