: Letzter Notnagel Rassismus
RECHTE STIMMUNGSMACHE
Sie waren eigentlich schon erledigt. Bei der letzten Berlin-Wahl schmierte die NPD unter „ferner liefen“ ab. Die Mitgliederzahl stagniert seit Jahren bei 250 Hanseln, nicht mehr als die Berliner „Drehorgelfreunde“. Zwischenzeitlich musste die Partei wegen ihrer desaströsen Finanzlage gar alle Mitarbeiter in ihrer Zentrale entlassen. Eine rechtsextreme Spinner- und Splitterpartei, mehr nicht.
Und dann Hellersdorf. Dass die NPD dort gegen die geplante Notunterkunft für Flüchtlinge hetzen würde, war zu erwarten. Sie tat es zuvor auch andernorts, es ist ihre letzte Kampagne. Dass es ihr diesmal aber Anwohner derart gleichtaten, erschreckte doch.
Nur: Überraschend kam es nicht. In einer Studie äußerte sich vor anderthalb Jahren ein Viertel der Berliner fremdenfeindlich – die meisten kamen aus Marzahn-Hellersdorf. Hier wünschten sich sogar 48 Prozent der Befragten, dass „alle Ausländer aus Deutschland wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren“. Öffentlich ausgesprochen wird das aber höchstens am Stammtisch. Konsonanzstreben nennt die Soziologie das. Man weiß schon, welche Parolen gesellschaftlich nicht gut ankommen.
Am Dienstag aber brach das Ressentiment nach außen. Weil sich dessen Vertreter plötzlich in der Mehrheit fühlten. Weil andere mitgrölten. Die Notlage der Geflohenen, die Versicherung der Polizei, es werde nicht mehr Kriminalität geben – es drang nicht mehr durch. Es gab keine Argumente mehr, es gab nur noch Stimmung. Eine schaurige.
Trotzdem ist es ein Fehlglaube der NPD, wenn sie nun meint, „für das Volk“ zu sprechen. Denn es gab in Hellersdorf auch die Gegenstimmen, es gab die „Nazis raus“-Rufe. Es gibt eine Bürgergruppe „Hellersdorf hilft Asylbewerbern“, die heute größer ist als ihr rechtes Gegenpendant. Und noch findet, anders als Anfang der 90er, die Hetzstimmung keinen Widerhall auf Regierungsebene, noch verbittet sich der CDU-Sozialsenator rechtsextreme Stimmungsmache.
Auch wenn der Nährboden für Schlimmeres da ist: Bisher ist der Ausbruch von Hellersdorf ein Einzelfall, noch steht die NPD allein. Und es sagt viel über die Partei, dass ihr nicht mehr geblieben ist als blanker Rassismus. Aber ihr Volk ist, gemessen an der letzten Wahl im Bezirk: 4 Prozent groß. KONRAD LITSCHKO
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