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Der Abzug der US-Kultur

Das Amerika Haus an der Hardenbergstraße soll schließen. Für große Aufregung sorgt das nicht. Einst wurde hier die US-Kultur vorgestellt. Doch nach und nach verschwand das Haus aus der Öffentlichkeit

„Das Amerika Haus hat zur intellektuellen Sozialisation meiner Generation beigetragen“

VON MARTIN REISCHKE

Im Lesesaal herrscht akademische Ruhe. Kein Räuspern stört die Stille im Amerika Haus, nur das gedämpfte Rauschen des Verkehrs, der vor den großen Fenstern auf der Hardenbergstraße träge dahinfließt, dringt in den hellen Raum. Die schweren, in Leder gebundenen Enzyklopädien stehen so exakt aneinander gereiht in den Regalen, als hätte sie schon seit Jahren niemand mehr zur Hand genommen. Und tatsächlich ist es ein kleines Wunder, wenn sich zwei Leute im Lesesaal begegnen: Denn kaum fünf Leser besuchen die Bibliothek – pro Monat.

Das Abonnement amerikanischer Tageszeitungen wie der New York Times ist längst gekündigt. Die Bibliothek, die sich auf die Geschichte und Außenpolitik der USA spezialisiert hat, ist auf gerade einmal 2.000 Bände zusammengeschrumpft: Viele Bücher wurden in den vergangenen Jahren an öffentliche Bibliotheken in Berlin abgegeben.

Aus dem offenen Haus, das nach dem Krieg das USA-Bild vieler Berliner maßgeblich geprägt hat, ist seit dem 11. September 2001 eine Trutzburg geworden, in die man erst nach Anmeldung hineinkommt. Hinter dem weiß-roten Absperrgitter, das sich rund um das Amerika Haus zieht, patrouilliert ein Polizist. Im Foyer des Gebäudes passiert der Besucher eine Sicherheitsschleuse, Handys müssen abgegeben werden.

Ganz langsam und über viele Jahre hinweg hat sich das Amerika Haus aus der Berliner Öffentlichkeit verabschiedet. Deshalb bestätigte der US-Botschafter William Timken auch nur ein offenes Geheimnis, als er vor wenigen Wochen die Schließung der Einrichtung zum Ende kommenden Jahres ankündigte. Dann soll die neue US-amerikanische Botschaft eröffnet werden. Auch die rund 30 Leute, die heute noch in verschiedenen Abteilungen im Amerika Haus arbeiten, werden vom Bahnhof Zoo ans Brandenburger Tor ziehen.

Was danach mit dem Gebäude in der Hardenbergstraße passiert, das mit Mitteln des Marshallplans aufgebaut wurde, ist noch unklar. Zwar hat Berlin nach Angaben des hiesigen Liegenschaftsfonds das landeseigene Gebäude langfristig an die amerikanische Botschaft vermietet. Die aber will das Haus nicht weiter nutzen, sondern es möglichst schnell an die Stadt zurückgeben.

Schon wenige Monate nach Ende des Krieges hatten amerikanische Soldaten in einer provisorischen Passstelle in der Kleiststraße eine Lesestube eingerichtet. Kaum zwei Jahre später wurde die kleine Bücherei offiziell zum „U.S. Information Center“, seitdem durfte sie sich Amerika Haus nennen. Schnell war aus der Lesestube ein Kulturinstitut geworden, das sein Angebot mit jedem Umzug erweiterte – bis es 1957 die Räume des neu gebauten Hauses in der Hardenbergstraße bezog.

„Für US-Interessierte war die Bibliothek geradezu ein Geschenk des Himmels“, schwärmt Winfried Fluck, Amerikanistik-Professor am John-F.-Kennedy-Institut der FU, noch heute. „Das Amerika Haus hat auch zur intellektuellen Sozialisation meiner Generation beigetragen.“

In den frühen Jahren, als die amerikanische Popkultur Deutschland noch nicht flächendeckend erfasst hatte, war dies der zentrale Ort amerikanischer Kulturvermittlung in Berlin. Filmvorführungen, Vorträge, Ausstellungen und Diskussionen fanden hier statt. Prominente Schriftsteller wie Thornton Wilder und John Steinbeck kamen zu Lesungen, Politiker wie Richard Nixon und Robert Kennedy besuchten das Haus. Auch die Ostberliner interessierten sich für die USA: Bis zum Mauerbau 1961 kamen rund ein Drittel der Besucher aus dem russischen Sektor der Hauptstadt, um im Amerika Haus Englischkurse zu nehmen oder westliche Zeitungen zu lesen.

Mit dem Vietnamkrieg kippte die beschauliche Stimmung. Legendär geworden ist die Antikriegsdemo Berliner Studenten am 5. Februar 1966, als nach anfänglichen Sit-ins sogar Farbeier gegen die Fassade des Amerika Hauses flogen. Die Jugend wandte sich ab von den USA, und die Veranstaltungen im Amerika Haus wurden zu preachings to the already converted – debattenlosen Abenden mit arrivierten Amerikafreunden, die keiner kulturpolitischen Überzeugungsarbeit mehr bedurften.

Das änderte sich erst, als die USA den Krieg in Vietnam schon aufgegeben hatten. 1974 – der Höhepunkt der Antikriegsproteste war überschritten, die Amerikaner hatten sich im Jahr zuvor aus den Kampfhandlungen zurückgezogen – trat die damals 30-jährige Renate Semler die neue Stelle einer Programmreferentin an. Bis 2004 war sie maßgeblich daran beteiligt, dass das Amerika Haus nicht zur willfährigen Verlautbarungsinstitution der US-Regierung wurde.

Das gelang, indem auch kontroverse Themen wie die Lateinamerika-Politik der USA offen diskutiert wurden. „Es gab nie den Fall, dass ich einen Referenten aus politischen Gründen nicht einladen konnte“, sagt Semler. Auch viele schwarze oder hispanische Künstler wurden eingeladen – zu einem Zeitpunkt, als Multikulturalismus zumindest in Deutschland noch ein Fremdwort war. „Das Kunststück war, dass das Interesse vieler kritischer Leute aufrechterhalten wurde“, sagt der Amerikanist Winfried Fluck.

Für die Offenheit hat Semler selbst eine einfache Erklärung. Zwar sei das Haus bis 1999 der United States Information Agency, einer eigenständigen US-Bundesbehörde, unterstellt gewesen. Doch: „Die Behörde war zwar ein Kind des Kalten Krieges, aber auf der unteren Ebene hatten wir enorme Freiheiten.“ Im Gegensatz zu heute, denn seit sieben Jahren ist das Amerika Haus als Teil der Botschaft direkt dem amerikanischen Außenministerium zugeordnet. Wäre es unter diesen Umständen denkbar, einen kritischen Filmemacher wie Michael Moore im Amerika Haus auftreten zu lassen? „Ich könnte mir vorstellen, dass durch die klare Zuordnung auch die Schere im Kopf größer geworden ist“, sagt Semler. Doch vermutlich hätte Moore wohl selbst kaum Interesse, in einer diplomatischen Vertretung der USA zu gastieren.

Auch wenn die Kulturmittler nach dem Vietnamkrieg den kontroversen Dialog förderten, so waren es doch immer weniger, die sich daran beteiligten. Der Bildungsauftrag wurde professionalisiert, der Sendungsgedanke richtete sich nun an ein spezielles Zielpublikum. Studenten und Hochschuldozenten gehörten dazu, ebenso wie Lehrer und Experten aus Wirtschaft, Kultur und Politik. Angebote für die breite Öffentlichkeit wie die Bibliothek wurden dagegen sukzessive verkleinert, und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie ganz eingestellt werden. „Jetzt interessiert man sich nicht mehr für die Bevölkerung, sondern nur noch für die Entscheidungsträger“, kritisiert Fluck. „Ich halte das für einen großen Fehler.“

Seit das Amerika Haus dem Außenministerium unterstellt ist, sind die früheren Bibliotheksmitarbeiter Servicedienstleister einer Institution mit dem sperrigen Namen Information Resource Center geworden: Fünf Angestellte beantworten spezielle Anfragen von Hochschulprofessoren, Journalisten oder Politikern zu US-amerikanischen Themen.

Es ist still geworden um das Amerika Haus. Die Lesungen und Diskussionen, die heute von der Kulturabteilung der US-Botschaft organisiert werden, finden meist an anderen Orten statt. Die turbulente Geschichte des Hauses bewegt heute fast niemanden mehr. Sein Niedergang war schleichend, und so wird wohl auch die Schließung für keine große Aufregung sorgen.

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