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Königin Silvia regiert weiter

FRAUENFUSSBALL Bundestrainerin Silvia Neid musste zuletzt viel Kritik einstecken. Nach dem Gewinn der EM hat sie erst mal wieder Ruhe

„Wenn ich eines aus der WM 2011 gelernt habe, dann das, dass ich mir ein dickes Fell zugelegt habe“

BUNDESTRAINERIN SILVIA NEID

AUS SOLNA FRANK HELLMANN

Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Speziell bei Frauen in Modefragen. War denn nun das knallrote Cocktailkleid der Fatmire Bajramaj der Hingucker? Oder das schwarze Kostüm der Celia Okoyino da Mbabi? Es gab nicht wenige in der Partynacht der deutschen Fußballerinnen am Stadtrand von Stockholm, die auf die Frau im sandfarbenen Hosenanzug hinwiesen, die sich abseits der Theke mit Wolfgang Niersbach unterhielt. Die Bundestrainerin kam schließlich nicht umhin, jenen Siegertanz hinzulegen, den sie ihrem Vorgesetzten vor dem EM-Finale gegen Norwegen (1:0) versprochen hatte, sofern die deutschen Frauen denn gewinnen sollten.

Dass in der titelsammelnden Trainerin auch eine tadellose Tänzerin schlummert, war dabei nicht zu übersehen. Aber dass „Königin Silvia“ förmlich über den Holzboden schwebte, hatte noch andere Gründe. „Diese Spielerinnen haben so einen erfrischenden Charakter: Das hat mich zehn Jahre jünger gemacht“, gestand die 49-Jährige.

Die Metamorphose ihres zwangsverjüngten Teams vom Wackelkandidaten zum Titelträger mag überrascht haben – für Silvia Neid war es seit dem Viertelfinale vorhersehbar, dass sie ihren dritten großen Triumph als Cheftrainerin (nach der WM 2007 und der EM 2009) feiern könnte. „Mit dem Italien-Spiel hatten wir uns ins Turnier reingebissen.“ Und das war entscheidend ihr Verdienst.

Das Ensemble ist nach dem Gruppenspiel gegen Norwegen nämlich bei der Ehre gepackt worden. Silvia Neid setzte über einen Impuls Selbstreinigungsprozesse in Gang, bei denen die junge Garde eine Schlüsselrolle spielte, um Werte wie Respekt, Anstand oder eben Teamgeist auszuleben. Die auf Armbändchen mit der Aufschrift „Laganda 008“ (Laganda ist schwedisch und bedeutet „Teamgeist“) angebrachte Losung ist alles andere als eine hohle Phrase. Dass sich die deutsche Delegation am Montag auf dem Frankfurter Römer feiern ließ, schien mehr als angemessen.

In der launigen Dankesrede von Niersbach – mehrfach vom Singsang der Spielerinnen unterbrochen – kam Silvia Neid besonders gut weg: „Letztlich war es deine Arbeit. Du hast so erfolgreich den Generationswechsel vollzogen.“ Bei allen K.-o.-Partien in Växjö, Göteborg und Stockholm überzeugte sich der DFB-Boss glücklicherweise vor Ort, welche Entwicklung der Frauenfußball in Sachen Athletik, Tempo und auch Härte genommen hat.

Silvia Neid hat 111 Länderspiele in einer Zeit bestritten, in denen diese Attribute nicht zwingend für Erfolge vonnöten waren. Und als sie dem Druck der Heim-WM vor zwei Jahren nicht standhielt, kamen Stimmen auf, die ihr die Befähigung für die Weiterentwicklung absprachen.

Noch während des Turniers brachte Dauernörgler Bernd Schröder den tumben Vorschlag ein, in ihrem Trainerstab müsse ein Mann integriert werden – dabei hat Torwarttrainer Michael Fuchs eine Schlüsselrolle inne. Die Odenwälderin hat das weggelächelt. „Wenn ich eines aus der WM 2011 gelernt habe, dann das, dass ich mir ein dickes Fell zugelegt habe.“ Ihre frühere Verbissenheit kam nur einmal durch, als jemand wissen wollte, warum sie in der Kleinstadt Växjö nicht beim Spazieren anzutreffen wäre. Da antwortete sie: „Weil ich hier lieber in meinem Verlies bleibe.“ Ihre Detailverliebtheit in allen Fachfragen ist verbürgt; Fußball ihre große Liebe.

Vater Franz war selbst Amateuroberligaspieler, ihr Bruder Ricardo nahm sie später mit auf den Bolzplatz, wo sie sich anfangs immer gegen Jungs durchsetzen musste. In der Männerwelt beim DFB ist sie vertraglich noch bis 2016 gebunden. Die Qualifikation für die WM 2015 in Kanada sollte keine Mühe machen. Schwierig wird eher die Abwägung, wer von dem halben Dutzend verletzter Spielerinnen ihrem Perspektivkader wirklich weiterhilft. Aber darüber kann sich Silvia Neid irgendwann nach ihrem Urlaub in Ruhe Gedanken machen. Zu Hause in Wilnsdorf bei Siegen, wenn auch mal der Schlabberlook erlaubt ist.

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