piwik no script img

Arbeiten im Schleudersitz

ANPFIFF Wenn am Freitag die 1. Fußball-Bundesliga startet, wird sie beim Onlineradio Sport1.fm zu hören sein. Ein großer Spieler auf dem Markt der Sportmedien bekommt so noch mehr Macht. Und den viel gelobten Sender 90elf gibt es nicht mehr

Fußball hören

■ Senden: Das kostenlose und werbefinanzierte Angebot von Sport1.fm kann über die Internetseite und Mobil-Apps gehört werden. Fußball wird im Digitalradio DAB+ auf den Frequenzen der Energy-Gruppe ausgestrahlt.

■ Schimpfen: Konstantin Winkler kotzt auf www.konni.org/2013/05/90elf-abschied/

VON JENS TWIEHAUS

Als am 19. März der Sensenmann nach Leipzig kam, begannen in Ismaning bei München die Pläne zur Machtübernahme. Es war der Tag, an dem die Deutsche Fußball Liga (DFL) die Liveübertragungsrechte für Internetradios sehr überraschend an Sport1 vergab. Dieser Sieg des Fernsehsenders aus dem Süden, in dessen Nachtprogramm sich halbnackte Damen in Sexy Sport Clips räkeln, entzog dem von Fans hoch gelobten Onlinesender 90elf die Existenzgrundlage. In dessen Leipziger Studios gingen wenige Tage später die Lichter aus.

Olaf Schröder ist der Gewinner in dieser Geschichte und sieht das wenig sentimental. Der Chefredakteur und Programmdirektor von Sport1 sagt zu den Übertragungsrechten trocken: „So etwas kommt, und so etwas geht.“ In seinen 20 Jahren bei Sport1, das früher mal DSF hieß, kenne er die Situation: Mal verliere man Rechte, mal gewinne man sie. Schröder spricht mit rauer Stimme lieber in Superlativen von der grandiosen Leistung seiner Leute, binnen drei Monaten den Radiosender Sport1.fm aus dem Boden gestampft zu haben. Alle 612 Saisonspiele der Ersten und Zweiten Liga überträgt sein Team in voller Länge, jeweils einzeln und in einer Konferenzschaltung, und darüber hinaus Basketball und Handball: „Das grenzt schon an einen Weltrekord.“

Doch rekordverdächtig ist an diesem Vorgang, wenn überhaupt, dieser Kantersieg des Kommerzes über das kleine Internetprojekt 90elf, das 2011 noch den Deutschen Radiopreis erhielt. Auch wenn Schröder vehement bestreitet, dass Sport1 den 90elf-Anbieter Regiocast mit einem Millionenangebot ausstach, war die Rechtevergabe wohl auch Geldsache. Der frühere 90elf-Moderator Konstantin Winkler will lieber nicht in die Details des Deals einsteigen. „Ich würde dann währenddessen im Strahl kotzen“, schrieb er im Mai in seinem Blog konni.org. Und gibt umso überraschender einen Monat später seinen Wechsel zum neuen Sport1.fm bekannt. Mit ihm ist die halbe Mannschaft von 90elf von Leipzig nach Ismaning weitergezogen.

Sportreporter sind es gewohnt, Arbeitgeber regelmäßig zu wechseln. Sie akzeptieren die Logik des Geschäfts, das im Takt der Rechtevergaben tickt. Eine bekannte Stimme von 90elf wollte da nicht mitspielen. Chefreporter Tom Hilgers sagt: „Ich brauchte nach diesem Schock erst mal Ruhe.“ Für den Sportjournalisten ist der Abschied vom Herzblutprojekt, wie er es nennt, noch nicht geschafft. Er will durchatmen, ging nicht mit zu Sport1 nach Ismaning. Verstanden hat er die Entscheidung zur Rechtevergabe noch nicht. „Das musst du akzeptieren. Aber wenn du davon selbst betroffen bist, fällt das schon schwer“, sagt er. Auch Erich Laaser, einst Kommentator bei Sat.1, weiß: „Sportjournalisten bei den privaten Sendern sitzen immer auf dem Schleudersitz. Sie müssen mobil und flexibel bleiben.“ Der 61-jährige Präsident des Verbands Deutscher Sportjournalisten erlebt den Erstligastart mangels eines guten Angebots an diesem Freitag in vorläufiger Reporterrente. Laaser ist noch voll des Lobes für die Arbeit von 90elf und sagt, wenn so ein Sender die Übertragungsrechte nicht mehr bekomme, sei das „immer am wenigsten schuld der Journalisten“.

Mit Sport1 hat ein ganz großer Spieler im Sportmedienmarkt noch mehr Macht bekommen. Hinter dem Sender steht die Constantin Medien AG, die über Plazamedia auch europaweit Fernsehbilder von Sportereignissen produziert und mit dem Internetradio sein Portfolio weiter ausbaut. FußballfreundInnen kommen künftig kaum an Sport1 vorbei.

„Ich würde dann währenddessen im Strahl kotzen“

KONSTANTIN WINKLER, MODERATOR

Der Kanal nutzt die gewachsene Präsenz fleißig, überträgt Fernsehtalkrunden wie den „Doppelpass“ auch ins Internetradio und bewirbt seit dem Sendestart vor zweieinhalb Wochen ausdauernd sein Bundesliga-Sonderheft mit dem sinnigen Spruch „Das Must-Heft für alle Fans“. Sport1.fm erfindet die Liveberichterstattung nicht neu, nur die Vermarktungsmaschine drum herum ist um einiges besser geölt.

Fast jedes Spiel wird wie schon zuvor bei 90elf vom neuen Sendezentrum mit Studio und Tonkabinen übertragen und nicht etwa von der Tribüne aus. Für die „echte“ Atmosphäre sorgt eine untergemischte Tonspur aus dem Stadion.

Sicherheit gibt es für die Sport1.fm-Mitarbeiter immerhin vier Jahre lang: Die Übertragungsrechte gelten bis zur Saison 2016/17. Ausruhen kann sich darauf niemand. Gerade mal zwei Mitarbeiter haben feste Arbeitsverträge. Etwa 45 Kommentatoren und Moderatoren arbeiten von Spiel zu Spiel als Freiberufler.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen