„Gefahr besteht in der Unübersichtlichkeit“

GRUNDSICHERUNG Die neue Konstruktion ist kompliziert, bietet aber auch Chancen, sagt Arbeitsmarktexperte Matthias Knuth. Bisher gebe es kaum Erfahrung im Umgang mit Langzeitarbeitslosen

■ 60, ist Professor am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) an der Uni Duisburg-Essen und dort Leiter der Forschungsabteilung Entwicklungstrends des Erwerbssystems.

taz: Herr Knuth, sind Sie mit der Jobcenter-Lösung zufrieden?

Matthias Knuth: Ich bin absolut erleichtert, dass es nicht zur Demontage der Argen kommt. Natürlich ist die ganze Konstruktion äußerst kompliziert, aber das bleibt angesichts der Materie nicht aus.

Sie haben im Auftrag der Bundesregierung mitevaluiert, wie gut Argen und Optionskommunen arbeiten. Welche Unterschiede gibt es?

Entscheidend ist, dass Hartz-IV-Empfänger in Optionskommunen eine um 3,8 Prozent schlechtere Chance als bei den Argen hatten, Arbeit zu finden. Unter anderem, weil in den Argen schneller Erstgespräche mit dem Arbeitsvermittler stattfanden und häufiger Sanktionen ausgesprochen wurden. Für den Bund übersetzt sich dieser Nachteil in Mehrausgaben von 3,1 Milliarden Euro pro Jahr.

Andererseits achtet man in den Kommunen mehr auf Suchtprobleme oder fehlende Kindergartenplätze, fördert also ganzheitlicher.

Ja, die Optionskommunen waren in der Evaluation die Gärtner, die ihre Pfänzchen sorgsam hegen, sie aber nicht auf den Markt bringen. Unsere Evaluation hat jedoch zwischen Ende 2006 und Anfang 2008 stattgefunden. Die Unterschiede können sich mittlerweile angeglichen haben, Tendenzen dazu sind erkennbar. Zudem sieht der Bund jetzt striktere Kriterien für die Zulassung der Optionskommunen vor.

Reichen die aus?

Zumindest ist das Bemühen des Bundes erkennbar, die Qualität auch bei den Optionskommunen zu kontrollieren. Es wird ein viel strikteres Verfahren zur Eignungsprüfung von neuen Optionskommunen geben, dazu Zielvorgaben und Instrumente für ihr Controlling. Sollten die Länder aber über die Eignung der Optionskommunen entscheiden, hat man wieder das Problem, dass unklar ist, ob sie die gleichen Kriterien anwenden.

Setzt jetzt ein Ansturm auf die Option ein?

Eher nicht. Die neuen Anforderungen könnten abschreckend wirken. Zudem kam die große Welle von Optionswünschen ja auch zustande, weil Kommunen die Zerschlagung der Jobcenter befürchteten – die bleibt ja jetzt aus. Übrigens wird die Bundesagentur für Arbeit durch die Optionskommunen daran gehindert, gegenüber den Jobcentern allzu gutsherrenmäßig durchzuregieren, sie will ja nicht noch mehr Optionswünsche produzieren. Roland Koch hat nicht umsonst süffisant darauf hingewiesen, dass die latente Konkurrenz zwischen Arge und Optionskommune bestehen bleibt.

Was bedeutet die zunehmende Kommunalisierung auf lange Sicht für die Bezieher von Arbeitslosengeld II?

■ Grundsicherung: Die meisten Menschen, die Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) erhalten, werden in Jobcentern oder Optionskommunen betreut. In den Jobcentern arbeiten Bundesagentur für Arbeit (BA) und Kommune als Arbeitsgemeinschaft (Arge) zusammen. In den Optionskommunen leisten Kommunen die Betreuung allein.

■ Optionskommunen: sollen künftig strenger per Zielvorgaben, einheitliche Datenerfassung und Leistungsvergleiche kontrolliert und gesteuert werden. Allerdings kann der Bund in vielen Bereichen nur indirekt über die Länder Einfluss nehmen. Bei ihm liegen Finanzkontrolle und Rechtsaufsicht, nicht jedoch die Fachaufsicht. Neue Optionskommunen müssen künftig ihre Eignung und ein Arbeitsmarktkonzept vorweisen, zudem 90 Prozent des Personals der Bundesagentur für Arbeit (BA) übernehmen. Die Kommunalparlamente müssen mit einer Zweidrittelmehrheit für eine Optionslösung stimmen.

■ Jobcenter: erhalten eine Personalvertretung, die Stellung des Geschäftsführers und die Trägerversammlung werden gestärkt. Arbeitslose werden besser betreut: Ein Mitarbeiter soll künftig für 75 Arbeitssuchende unter 25 Jahren zuständig sein, für Ältere gilt eine Betreuungsquote von 1:150.

Künftig werden sie es eher mit einer Arbeits- und Sozialpolitik zu tun haben statt mit einer reinen Arbeitsmarktpolitik.

Ist das eine positive Entwicklung?

Man kann es von zwei Seiten sehen. Gefahr besteht in der zwangsläufig größer werdenden Unübersichtlichkeit. Die kann man positiv gewendet aber auch als Vielfalt begreifen. Wir haben ja kaum Erfahrung im Umgang mit Langzeitarbeitslosen und müssen noch viel lernen – dafür ist Vielfalt gut. Die Frage ist, wie man in den vorhandenen Strukturen gemeinsames Lernen organisiert. INTERVIEW: EVA VÖLPEL