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die taz vor 19 jahren über totgeburten und missbildungen bei kälbern infolge des gau von tschernobyl

Am 26. April wird sich die Welt pflicht- und kalendergemäß an den schwersten Unfall des Industriezeitalters erinnern: den durchgegangenen Reaktor von Tschernobyl. Was dieser Unfall und die bei dem großen Crash freigesetzte Radioaktivität angerichtet hat und noch anrichten wird, ist unklar – irgendetwas zwischen „gar nichts“ (KWU und Co.) und „einer Million Langzeit-Krebstoten“ (Studien von Atomgegnern). Der Fallout der Horrorszenarien aus allen Ecken der Umweltbewegung hat uns nicht nur abgestumpft, sondern auch mißtrauisch gemacht: War’s denn wirklich so schlimm? Kitzelt der Spinat denn nicht schon lange wieder aufs angenehmste unseren Gaumen?

In diese Haltung platzen die Nachrichten von auffällig vielen Babies mit Trisomie 21 oder – wie jetzt – von Totgeburten bei Kälbern. Das bereitet jenes „komische Gefühl“, das nun mal Halbwahrheiten produzieren. Doch die ganze Wahrheit, die eindeutige kausale Beweisführung für den Zusammenhang zwischen den strahlenden Teilchen und mißgebildeten Babies oder toten Kälbern, wird es nicht geben. Solange Behörden und Ministerien nicht daran denken, eine Post-Tschernobyl-Epidemiologie zu initiieren, werden die Indizien für einen Zusammenhang zwischen Tschernobyl und Mißbildungen sparsam bleiben und manchmal auch unwissenschaftlich.

Für Tschernobyl muß die Umkehr der Beweislast gelten. Die radioaktive (Niedrig-) Strahlung ist solange erbgutschädigend und krebserzeugend, bis uns die Atomindustrie und ihre politischen Helfer das Gegenteil bewiesen haben. Bis dahin dürfen die Bauern ein mißgebildetes Kalb weiter beim Namen nennen: „Tschernobyla“.

Manfred Kriener, 20. 3. 1987

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