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Ihr neoliberalen Ossis!

Neue Wege gehen? Das wäre ja noch schöner! Warum sich gerade der Westen über die Dresdner Entscheidung empört, kommunale Wohnungen zu verkaufen und so die Stadt zu entschulden

VON ROBIN ALEXANDER

Dresden hat sich unbeliebt gemacht. Die schöne Stadt in Sachsen hat vor einer Woche alle kommunalen Wohnungen an einen Investor aus den USA verkauft und ist damit komplett schuldenfrei. Eine Minderheit im Stadtrat war dagegen. Einige Mieter haben jetzt Angst um ihr Zuhause. Aber die Welle der Empörung, die seit dieser in Deutschland einmaligen Entscheidung auf die Stadtpolitiker niedergeht, kommt nicht von den eigenen Leuten. Der Westen ist sauer. Und wie.

Die Wut des Westens

Den aktuellsten Zornausbruch meldet die Sächsische Zeitung: Kommunalpolitiker aus Dortmund, Bremen und Frankfurt am Main fordern die Rückzahlung von Fördergeldern, die seit der Wende angeblich in den Bestand des jetzt verkauften Wohnungsunternehmens Woba geflossen sind.

Auch in Berlin schimpft man seit Tagen: Gewerkschaftsfunktionäre, linke Politiker und Journalisten werfen den Dresdnern einen „neoliberalen“ Sündenfall vor. Wohnungen, so das Argument, dienen der Daseinsvorsorge und wer sie in diesem Umfang privatisiert, vertraue das Wohlergehen der Mieter einem letztlich nicht kontrollierbaren Markt an. Den Vogel abgeschossen hat dabei unzweifelhaft Oskar Lafontaine. Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag forderte die Gruppe der Genossen, die im Dresdner Stadtrat für den Verkauf stimmten, zum Verlassen der Partei auf.

Die schöne Ironie, dass ausgerechnet der Westdeutsche Oskar Lafontaine in der Linkspartei Erinnerungen an SED-Parteiausschlussverfahren weckt, lassen wir hier einmal beiseite. Sicher ist: Die Dresdner Wohnungen sind plötzlich mehr als eine lokale Angelegenheit und ein interessanter Präzedenzfall für Kommunalpolitik. Hier geht es auch um Ost und West – und unser Bild voneinander.

Die Rückzahlungsforderungen der westdeutschen Kommunen sind natürlich nicht ernst gemeint. Im NRW-Landtagswahlkampf brachten Politiker von SPD und CDU die Schlaglöcher in den Straßen des Ruhrgebiets mit den neuen Autobahnen im Osten in Zusammenhang. Jetzt wird suggeriert: Mit unserem Geld haben sie ihre Wohnungen saniert und dann alles an den Ami verscherbelt! Besonders nett: Ausgerechnet Dortmund, das fast vollständig von Zuweisungen des Landes NRW lebt, und Bremen, das am Tropf des Länderfinanzausgleichs hängt, wollen eine Subventionsdebatte aufmachen.

Neoliberale? In Sachsen??

Bleibt der Vorwurf des „Neoliberalismus“. Tatsächlich gibt es ja Leute, die meinen, prinzipiell sollten weder Staat noch Kommune Wohnungen besitzen. Allerdings gibt es diese Leute nicht in Dresden. Hier haben die Stadtpolitiker eine Abwägung vorgenommen: Auf der einen Seite steht das öffentliche Gut der Wohnungen und die damit verbundene Möglichkeit, auf die Lebensverhältnisse der Mieter Einfluss zu nehmen. Auf der anderen Seite die Rückgewinnung intakter Finanzen und damit demokratischer Möglichkeiten, die in anderen deutschen Städten längst verloren sind. Eine geradezu klassische Entscheidung für das geringere Übel im Sinne Max Webers also und damit das genaue Gegenteil ideologischer Politik.

Der Vorwurf der Marktgläubigkeit ist im sächsischen Kontext besonders absurd: Hier haben sich bei der jüngsten Landtagswahl immerhin über 30 Prozent der Wähler mit Linkspartei oder NPD für eine Partei mit dezidiert antikapitalistischer Rhetorik entschieden. Gerade im Dresdner Umland dominiert ein antimoderner Mainstream: das kollektive Gefühl des notorischen Zukurzkommens, die Verklärung der letzten und vorletzten Diktatur und eine hässliche Tschechenphobie.

Schauriges Gegenbild

Damit hat sich die westdeutsche Öffentlichkeit erstaunlich gut abgefunden. Wie auch damit, dass Ostdeutschland trotz historisch einmaliger Transferzahlungen wirtschaftlich nicht auf die Beine kommt. Das schaurige Bild vom Osten hat ja für den Westen etwas Tröstliches: Die alte Bundesrepublik mag selbst tief in der Krise stecken – aber gegenüber „Dunkeldeutschland“ wirkt sie noch hell.

Vielleicht rührt daher der westdeutsche Zorn auf das Wenige, was nicht in das trübe Bild vom Osten passt: einzelne mutige Versuche, eigene Wege zu gehen. Wie die Leipziger Olympiabewerbung, die in Hamburg als Unverschämtheit empfunden wurde. Oder jetzt der Dresdner Sprung aus der Schuldenfalle, den sie in Dortmund, Bremen und Berlin nicht durchgehen lassen wollen.

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